Writer
Born 11/5/1970
Member since 2023
Robert Menasse ist heute nicht anwesend, deshalb kann ich mit und bei ihm beginnen. Überall, wo ich hinkam, war mein großer Bruder vor mir da, überall hatte er sich schon mehr als bekannt, nämlich: unvergesslich gemacht, im Gymnasium, auf der Uni, später durch sein Schreiben.
Zwar fallen wir Menasses anderen Menschen gern und ständig ins Wort – denn anders hätten wir bei uns zu Hause auch niemals einen sprachlichen Fuß in die Familiendiskussionstür gekriegt – aber in meinen jüngeren Jahren genügte es, nachdem ich namentlich vorgestellt worden war, zu einem „Ach, sind Sie …“ anzusetzen, damit ich nach diesen drei Silben bereits unterbrach und sagte, „Ja, bin ich – die Schwester“.
Wenn Menschen darauf versöhnlich reagieren wollten, indem sie etwa erklärten, sie hätten mich für die Frau des berühmten Schriftstellers gehalten, die auch schriebe – meine Damen und Herren, Sie müssen zugeben, so ein Gespräch über Namensgleichheiten wird ja selten besser –, legte ich noch unfreundlicher nach: Was glauben Sie, ist wahrscheinlicher - ein Schreibtalent zu erben oder eins zu heiraten?
Inzwischen ist mir das alles peinlich, werten Sie das Eingeständnis bitte als Buße für meine jugendliche Kratzbürstigkeit. Ich musste mich aber wirklich zur Wehr setzen, denn ich wurde auf der Uni sogar einmal gefragt, ob mein Bruder meine Seminararbeit geschrieben hätte.
Inzwischen bin ich milde und versöhnlich geworden. Zweifellos ist es ähnlich schwer, der Erste wie die Zweite mit so einem schrulligen, exotischen Beruf zu sein, innerhalb einer einzigen Familie. Heute kann ich auch die enormen Vorteile sehen, die es mir brachte.
In unserer Familie galt Schriftsteller definitiv nicht als Beruf. Brotlose Kunst, murmelte unser Vater mit seinem berühmten sorgenvollen Blick, der nur sein Befremden verschleiern sollte. Die anderen Familienmitglieder schüttelten betreten den Kopf. Das Kopfschütteln hieß: Flausen, überspannte Ideen, Spompanadeln (Spompanadeln ist, was in Österreich synonym für Fisimatenten
gebraucht wird, letzteres aus dem Französischen, ersteres aus dem Italienischen, auch das wäre schon wieder einen Exkurs wert, aber dafür fehlt die Zeit). Mein Bruder wusste sehr früh und sehr bestimmt, dass er Schriftsteller werden wollte, nichts anderes, und ließ sich durch die Missbilligung nicht abhalten. Das bewundere ich, ich hätte das nicht gekonnt. Ich war viel anpasslerischer. Als sich herausstellte, dass ich für den Spitzensport (unser Vater, der Fußballnationalspieler, hätte mindestens Vergleichbares von seinen Kindern erwartet) genauso unbegabt war wie für die Mathematik – ansonsten galt nämlich Bankkaufmann
in unserer Familie als erstrebenswerter und krisenfester Beruf – und dass leider auch ich vor allem mit Worten klingeln konnte, lernte ich das schöne Handwerk des Journalismus. Das ging in Ordnung, denn Großvater, Vater und Onkel waren manische Zeitungsleser.
Über das Aufwachsen in einer sprachbesessenen, dauer-kalauernden Familie haben mein Bruder und ich schon öfters berichtet. Wörter und Redensarten ständig darauf abzuklopfen, ob sie man sie verdrehen, neu arrangieren oder zu einem wirklich dummen Witz umformen konnte, war nicht einmal familienspezifisch, sondern gehört in Wien bis heute zum Volkssport. Vielleicht war es bei uns zu Hause nur ein bisschen extremer. Ich gebe zwei Beispiele. Der Tiger aus Plüsch, den meine Nichte als Kind besaß, hieß natürlich „Euphrat“. Als ich darüber lachte, sagte die 5jährige leicht beleidigt: „Das war Papis Idee“. Und unser Vater antwortete ganz kurz vor seinem Tod auf die Frage nach dem Befinden eines seiner alten Freunde mit wegwerfender Handbewegung: „Der ist auch schon im freien Verfall“.
Aber von Literatur hatte der Vater, hatten die anderen Witzemacher und Sprachbastler meiner Familie keine Ahnung. Der väterliche Stoßseufzer, inzwischen auch schon eine Anekdote, war viel ernster, als er klingt: „Drei Kinder, zwei Schriftsteller – womit habe ich das verdient?“
Meine Lebensbücher, die ersten großen Lektüren und die, die wichtig geblieben sind – die habe ich alle von meinem Bruder bekommen. Er hat mir, als ich zehn Jahre alt war, Briefe aus Südamerika geschrieben, wohin er geflüchtet war, um der familiären Missbilligung zu entkommen. Er nahm mich als Schreibende ernst, als ich noch ein Kind war. Er zeigte mir, was Erzählen alles kann, wies mich auf die Autoren hin, die er bewunderte. Er war in dieser, aber auch in vieler anderer Hinsicht der beste große Bruder, den ich mir nur wünschen konnte. Und deshalb möchte ich mich heute bei Ihnen herzlich für die große Ehre bedanken, in diese Akademie aufgenommen worden zu sein, in der mein Bruder schon so lange ist.