Hanns Grössel

Translator and Journalist
Born 18/4/1932
Deceased 1/8/2012
Member since 2010

Johann-Heinrich-Voß-Preis

Ich heiße Hanns Grössel und stamme aus Sachsen. Geboren bin ich 1932 in Leipzig, aufgewachsen in Grimma an der Mulde, wo die eine der drei sächsischen Fürstenschulen steht: Sankt Augustin. Mein Großvater war Grimmaer Fürstenschüler – alumnus grimmensis steht mit seiner Handschrift in einem altgriechischen Wörterbuch, das auf mich gekommen ist –, mein Vater war es gleichfalls, und der hat bis 1939 an seiner alten Schule auch unterrichtet: Hauptfach Musik.

Kurz vor Kriegsbeginn wurde er nach Dänemark versetzt – an die Sankt Petri Schule in Kopenhagen, die zweisprachig konzipiert ist: Dänische und deutsche Lehrer unterrichten dänische und deutsche Schüler, und da jeder Lehrer sein Fach in seiner Sprache lehrt, werden die Schüler früh in Zweisprachigkeit eingeübt.

Aus acht Jahren in Dänemark, die auch Kriegsjahre eines deutschen Knaben unter deutscher Besatzung waren, ist mir Dänisch als Zweitsprache geblieben. Das Studienfach Skandinavistik habe ich aber nicht gewählt, sondern, neben der Germanistik, die Altphilologie – in Verlängerung meiner letzten Schuljahre am Johanneum in Lüneburg.

Zu einer zweiten modernen Fremdsprache habe ich es später noch gebracht: Weil es mir nicht reichte, französische Literatur in Übersetzungen zu lesen, habe ich nach einem halbjährigen Sprachstudium in Paris die Altphilologie gegen die Romanistik eingetauscht und bin bis zum Studienabschluss in Göttingen geblieben. Einen meiner akademischen Lehrer darf ich nicht ungenannt lassen: den Germanisten Wolfgang Kayser, dem ich viel Förderung verdanke und der im Januar 1960, wenige Wochen vor dem Termin für das Rigorosum, gänzlich unerwartet starb.

Ich habe dann sechs Jahre als Verlagslektor und die restlichen Berufsjahre als Literaturredakteur beim Hörfunk des WDR in Köln gearbeitet. Daneben habe ich aus dem Französischen und dem Dänischen, gelegentlich auch aus dem Schwedischen übersetzt, habe für Zeitungen Bücher besprochen und für literarische Zeitschriften Aufsätze geschrieben; ich bin als Moderator von Dichterlesungen und als Laudator aufgetreten, habe in Jurys an der Vergabe von Preisen und Stipendien mitgewirkt und eine Dokumentation zu Ray-mond Roussel sowie eine Studie über Louis-Ferdinand Céline veröffentlicht. All diese Betätigungen habe ich mir angewöhnt als angewandte Philologie zu betrachten und mich selbst als philologischen Wanderarbeiter – Philologie so verstanden, wie ein schöner kunstvoller Zweizeiler sie umschreibt; er lautet:

»Einst fanden und verbanden sich Kritik und Phantasie;
aus ihrem Bund ein Kind entstund, es heißt: Philologie.«

Den Zweizeiler hat ein Däne verfasst, der früh gestorbene Philologe Julius Hoffory, an den ich zum Schluss erinnern will. Hoffory war 1855 in Aarhus geboren, ging zum Studieren nach Kopenhagen, wurde aber schon mit neun-zehn Jahren relegiert, weil er in angetrunkenem Zustand das Vaterunser auf-gesagt hatte. Daraufhin wechselte er nach Berlin und studierte bei Karl Müllenhoff und Emil Scherer weiter. 1883 legte er als seine Dissertation »Altnordische Konsonantenstudien« vor, wurde im Jahre danach Privatdozent und 1887 außerordentlicher Professor für nordische Philologie.

Folgenreich für den literarischen Austausch zwischen Skandinavien und Deutschland wurde, dass Julius Hoffory von 1888 an im Verlag von Samuel Fischer eine »Nordische Bibliothek« herausgab, die es bis 1891 auf siebzehn Titel brachte – alle in gelben Heften, denn Gelb war Hofforys Lieblingsfarbe.

Paul Schlenther hat ihm nachgerühmt, er sei »der leidenschaftlichste Ibsen-prophet in Deutschland« gewesen. Band 1 der »Nordischen Bibliothek« war denn auch Henrik Ibsens Schauspiel Die Frau vom Meere, das Hoffory selber ins Deutsche übersetzt hatte.

Unter den philologischen Wanderarbeitern muss Julius Hoffory einer der exzentrischsten gewesen sein, einer auch, der es mit sich nicht leicht hatte. 1889 erschütterte eine Typhuserkrankung seinen Geisteszustand aufs bedrohlichste. Zwar nahm er seine Arbeit wieder auf, aber sein »Denk- und Vorstellungsvermögen« hatte gelitten, wie Ibsen in einem Brief schreibt.

Von 1893 an war Julius Hoffory unheilbar geisteskrank. Am 12. April 1897 starb er in der Privatanstalt für Gemüthskranke von Dr. Julius Waldschmidt im Berliner Westend und wurde drei Tage später auf dem Luisenkirchhof III beerdigt. Dort stand als Trauergast auch Alfred Kerr, seinerseits ein unermüdlicher Vorkämpfer Henrik Ibsens, der sich von Hoffory ins Dänisch-Norwegische hatte einführen lassen. In der Breslauer Zeitung widmete er ihm einen ausführlichen Nachruf, der von intimer Kenntnis des Gestorbenen zeugt.

Und nur Verehrung für den Lehrer und Zuneigung zu dem Freund können Kerr den Satz eingegeben haben: »Ein Glück, daß er endlich starb«.

Wie ich sehe, ist die Darmstädter Akademie »ein ungeheuer weitläufiges Gebäude« – anders und biblisch gesprochen: in ihrem Hause sind viele Wohnungen – so viele, dass auch philologische Wanderarbeiter darin Aufnahme finden. Ich freue mich darüber und danke Ihnen.