Frank Witzel

Writer
Born 12/11/1955
Member since 2022

Meine verehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder der Akademie,

bei der Beschäftigung mit meiner Vorstellungsrede, kam mir der Gedanke, ob es vielleicht genau diese kleinen »Anlasstexte« sind, an denen sich die wirkliche Meisterschaft gegenüber der Sprache beweist. Dieser Gedanke kam mir, weil ich mich entsprechend schwertat und dieses Schwertun mich daran erinnerte, dass ich einer Arbeit nachgehe, nämlich der des Schreibens, die mich immer wieder aufs Neue fordert und nicht zulässt, dass ich mich an einem Punkt damit zufriedengebe, eine gewisse Meisterschaft erlangt zu haben. Ganz im Gegenteil.

Als vor genau 45 Jahren mein erster Band mit Gedichten erschien, hielt ich mich zwar nicht für einen Könner, war aber mit 23 Jahren naiv genug, um mich als Teil der Literatur zu sehen, die ich damals las und bewunderte. Das waren Autoren wie Brinkmann, Theobaldy, Ginsberg, Brainard oder Padgett, um nur einige wenige zu nennen. Auch dachte ich, dass meine Karriere als Dichter von nun an recht gradlinig verlaufen würde. 1980 erschien zwar mein zweiter Band mit einem Langgedicht in konsequenter Kleinschreibung, doch dann lehnte der Verlag meinen dritten Band ab, gar nicht aus literarischen Erwägungen heraus, sondern allein aus ökonomischen: Das Geld war ohnehin knapp und meine ersten beiden Bände hatten sich nur sehr mäßig verkauft. Diese Ablehnung kam mir nicht ganz unrecht, denn ich hatte angefangen, Prosa zu schreiben und schätzte – ich weiß nicht, wie ich damals auf diese Zahl kam –, dass ich etwa fünf Jahre brauchen würde, um auf diesem Gebiet eine vorzeigbare Reife zu erlangen. Dann wäre ich zwar schon 30, hätte aber doch noch einige Jahre vor mir.

Es dauerte allerdings gut zwanzig Jahre, bis 2001 mein erster Roman erschien. Was hatte ich in der Zwischenzeit getan? Nun, geschrieben. Tatsächlich hat sich mein Alltag in den letzten 45 Jahren nicht wesentlich verändert. Ich sitze am Schreibtisch und schreibe. Meine ersten beiden Romane waren ebenfalls nicht weiter erfolgreich. Der dritte Roman folgte fünf Jahre später, dann gab es erneut eine mehrjährige Pause. Ich war inzwischen Mitte fünfzig, hatte weder einen Preis noch ein Stipendium erhalten, gab aber weiterhin tapfer bei meiner Steuererklärung, die ich jedes Jahr eher pro forma ablieferte, als Berufsbezeichnung »Schriftsteller« an.

Ich will diese Zeit keineswegs beschönigen, oft genug hatte ich meine Arbeit zu unterbrechen oder in die Nachtstunden zu verlegen, weil ich mein Geld anderweitig verdienen musste. Nachdem ich lange Zeit als Gitarrenlehrer in einer Musikschule gearbeitet hatte, waren es zunehmend meiner Tätigkeit verwandte Arbeiten. So machte ich Übersetzungen, schrieb Katalogtexte für bildende Künstler oder schnitt einmal einen ganzen Sommer lang Tonbänder mit Interviews, die das Akademiemitglied Heinz Ludwig Arnold mit den berühmtesten deutschsprachigen Autoren geführt hatte, für eine CD-Ausgabe und verfasste in seinem Namen, er war damals bereits schwerkrank, die Booklet-Texte. Ich war dabei aber keineswegs unglücklich, oder wenn ich unglücklich war, dann aus anderen Gründen. Ich dachte immer weniger an Ruhm, Ehre und Erfolg, sondern erlangte eine gewisse Zufriedenheit in meinem nach außen hin letztlich bedeutungslosen Alltag.

Ich lebte in einer erschwinglichen Wohnung ganz hier in der Nähe in Offenbach und schrieb. Im benachbarten Hinterhaus wohnte seit über dreißig Jahren ein Mann, den ich lediglich vom Sehen her kannte. Einmal sah ich mittags Rauch aus seiner Wohnung im Parterre kommen, lief hinüber und läutete bei ihm. Er hatte eine Pfanne mit einem Stück Fleisch auf den Herd gestellt, war aber in der Zwischenzeit auf dem Sofa eingeschlafen. Vor drei Wochen ist dieser Mann verstorben, und da er keine Kinder oder Verwandte hat, wurden vor einigen Tagen seine Möbel als Sperrmüll auf die Straße gestellt. Es waren eine Unmenge selbstgezimmerter Kommoden, Schränkchen, Tische und Regale, die sich bei näherem Hinsehen als meist funktionslose Objekte entpuppten, die er liebevoll bemalt oder mit den Kopien großer Meister verziert hatte. Er hatte sich eine Art Merzbau in seiner Wohnung geschaffen, der nur für einen kurzen Augenblick, bevor die Müllabfuhr ihn abholte, für andere sichtbar wurde. Das hat etwas Trauriges. Aber eben nicht nur, denn er hatte seine eigene Welt erschaffen und in ihr sein Leben gelebt.

Dass ich das unerwartete Glück hatte, mit meinen Arbeiten doch noch etwas mehr in die Öffentlichkeit treten zu können, macht mich dankbar, ebenso die Aufnahme in diese Akademie, die mich sehr ehrt. Ich habe gelesen, dass die Mitgliedschaft ein Leben lang gilt. Das hat etwas Beruhigendes. Als noch beruhigender allerdings empfinde ich die Tatsache, dass sämtliche Mitglieder, unabhängig davon, ob sie noch leben oder bereits verstorben sind, in alphabetischer Reihenfolge im Mitgliedsverzeichnis aufgeführt sind. Vor allem für diese Möglichkeit, mit Autorinnen und Autoren aus Vergangenheit und Gegenwart, deren Werk ich bewundere, assoziiert zu sein, bedanke ich mich bei Ihnen mit aller Herzlichkeit.