Kurt Drawert

Writer
Born 15/3/1956
Member since 2014

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Das Wesentliche des Wesentlichen (in fünf etwas längeren Minuten)

Hochgeschätzte Akademie, verehrte Kollegen, liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
wie sagt man das Wesentliche des Wesentlichen in einer Rede von fünf Minuten? Wenn das keine Herausforderung für einen Schriftsteller ist, dann gibt es keine. Denn nicht selten braucht er Stunden oder gar Tage dafür, um einmal auf einen Satz zu stoßen, der alles enthält, worum es ihm geht. Dieser Satz ist dann zu einem sich selbst erfassten Wissen geworden, zum Wissen des Unbewussten, zum Rätsel, das sich für den Augenblick löst, um sich gleich daraufhin wieder neu zu verschließen. Zwei Wörter nun sollen mir helfen, dieses für mich Wesentliche freizulegen und damit auch in den Ursprung meiner inneren Welt vorzudringen, ohne den ich nicht wäre. Und es sind jene zwei Wörter, die den Namen der Akademie, der anzugehören mir Ehre, Freude und Verantwortung gleichermaßen bedeutet, genauer bestimmen: »Sprache« und »Dichtung«. Nichts anderes nämlich grundiert meine Existenz von Anbeginn, im politischen wie im poetischen, im sozialen wie im subjektiven Sinn. Diese Wörter nun, die hier in einem Zug genannt werden können, weil sie aufs Produktivste miteinander korrespondieren, gehören nicht zwangsläufig zusammen. Denn es gibt durchaus ein funktionales Sprechen, das, mit einer Bezeichnung Lacans, im »Namen des Vaters« geschieht und das Gesetz an und für sich meint. Es ist das Sprechen, das die Sache vom Wort trennt und ein unerfülltes Begehren persistent einführt; ein Sprechen der Verneinung des Einzelnen zugunsten einer Kollektivierung und sozialen Norm; ein Sprechen der Macht, die zur Ohnmacht des Hörenden wird, kurz: eines der Unterwerfung und der Besetzung des Körpers mit Ideologie, wie ich es von den autoritären Verfasstheiten des Ostens her nur allzu gut kenne. So schrieb ich sehr früh schon Verse wie: »Ich bin, was ich in meiner Sprache bin, / Was ich in den Worten bin, die ich mir über mich mache«, und ein Kapitel meines Romans Spiegelland von 1991 beginnt: »... aber wie mein Vater (oder mein Großvater, beispielsweise) wollte ich nicht sprechen«. Doch diese Sprache der Besitzergreifung und Disziplinierung, wie sie auch das Unbewusste der Subjekte besetzt, ist ein Bestandteil aller Kulturen und sozialen Verhältnisse, und wir, heute, sind ganz und gar nicht frei davon, sprachliche Substanz zu verlieren und Etiketten schon für die Botschaft zu halten. Deshalb muss Sprache beobachtet, analysiert und verstanden werden; es muss verstanden werden, wie und was sie assoziiert, denn es sind die falschen Metaphern, die falsche Gedanken erzeugen und die Welt in einer Weise abbilden, die dann kontingent bleibt. Das ist die eine große Arbeit, die eine Akademie unseres Namens zu leisten hat. Nun aber ist Sprache, ohne die alles nichts wäre, nichts als blinde, ewige Nacht, auch mit einer sich selbst sprechenden Rückseite ausgestattet, mit einem diskursiven Gegenteil, das Saussure parole genannt hat – die sehr intime und individuelle Art und Weise nämlich, mit der ein Sprachsubjekt die Regeln der Sprache aktualisiert und für sich selber verwendet. Hier nun hat Dichtung ihren Anfang und ihren Ort, jene unhintergehbare Ausübung von sprechender Sprache, die noch nichts von sich weiß und erst im Entstehen, im Zusammenfluss vorher undenkbar gebliebener Wortfolgen, Bilder und Räume Auskunft vom Unmöglichen gibt. Das Wie des Was, die Architektur der Kombination aller Zeichen, der Rhythmus und die Syntaktik – und ich stelle hier die Semantik mit Absicht nach hinten, weil der Inhalt der Form niemals vorausgehen kann – sind die Zugänge eines freien Subjektes oder, besser, eines Subjektes, das sich seiner Freiheit auch offenbar wird. Ich bin von nichts mehr überzeugt als davon, dass Dichtung, und ich meine hier Literatur im weitesten, alle literarischen Genres umschließenden Sinn, Einfluss auf das Leben nimmt und gelegentlich das Leben selber ist. – Und jetzt sehe ich zum ersten Mal auf die Uhr und bin erschrocken, weil ich die siebente Minute streife. Gleich also zu einem Zitat des von mir so sehr verehrten Franz Kafka in einem Brief an Felice vom 14. August 1913: »Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.« Das, verehrte Kollegen und liebe Freunde, hätte ich so gerne auch aufgeschrieben. Aber leider, damit komme ich, und nicht nur für heute, zu spät. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufnahme in diese wertvolle, wichtige, schöne Akademie!