Jurek Becker

Writer
Born 30/9/1937
Deceased 14/3/1997
Member since 1983

Mich Ihnen vorzustellen fällt mir dann am leichtesten, wenn ich kurzerhand glaube, daß Sie sich für mich interessieren und ein wenig neugierig sind, etwas über mich neues Mitglied dieser Akademie zu erfahren.
Da ich in einen Kreis hineingewählt worden bin, unter dessen Aufgaben die pflegliche Behandlung der deutschen Sprache ganz vornean steht, sollte ich wohl erwähnen, daß meine Muttersprache polnisch ist. Als ich acht Jahre alt war, hörte mein Vater, der letzte nach dem Krieg mir verbliebene Verwandte, von einem Tag zum nächsten auf, mit mir polnisch zu sprechen; seine Absicht war die beste, er vermutete, daß mir dann gar nichts anderes übrigbleiben würde, als im Handumdrehen deutsch zu lernen. Was er nicht bedacht hatte, war, daß ich das Polnische viel schneller vergaß, als ich die neue Sprache lernte. So mußte ich einige Zeit buchstäblich sprachlos leben. Das ist vorbei, der Lernprozeß ist inzwischen gut vorangekommen, wenn ich ihn auch längst noch nicht für abgeschlossen halte.
Mich selbst mutet es seltsam an, daß ich da ausgerechnet Schriftsteller werden mußte; als hätte ich zeigen wollen, daß eine Aufgabe mir gar nicht groß genug sein kann; als wäre ich jemand, dem eine Herausforderung wichtiger ist als eine günstige Ausgangsposition. Ich habe zwar, als dergleichen einmal über mich behauptet wurde, entschieden den Kopf geschüttelt, aber was weiß ich denn? Mir fällt ein Bericht ein, den ich vor dreißig oder fünfundzwanzig Jahren las: über einen Australier mit Namen John Konrads, dessen Beine von Kind an gelähmt waren, dessen Eltern ihn zu fortgesetzten Bewegungsübungen im Wasser zwangen und der später Schwimm-Olympiasieger wurde. Nun habe ich es nicht gar so weit gebracht, doch bis zu dieser hochwohllöblichen Vereinigung immerhin.
Wenn ich einen sagen höre, er fühle sich in einer Sprache zu Hause, kann ich nur dünn vermuten, was er damit meint. Es geht mir dann auch durch den Sinn, daß sein Verhältnis zu seiner Sprache am Ende so ist wie meins zu meiner deutschen, und daß er dies Verhältnis eben mit den Worten »Zu Hause« bezeichnet; eigentlich glaube ich das aber nicht, denn ich komme mir nicht zu Hause inmitten all dieser merkwürdigen Wörter und Konstruktionen und Andeutungen vor. Ich will nicht sagen, daß ich mich unwohl darin fühle, das nicht. Doch es fehlen mir Vertrautheit und eine Sicherheit, die zum »Zu-Hause-Sein« wohl gehören und die ich dann und wann bei anderen zu bemerken meine. Ich dagegen muß ständig auf der Hut sein, wo andere die Augen schließen und sich räkeln können, ich muß gewissermaßen lernen, auf die Blicke der Zuhörer zu achten und Hinweise zu erkennen, die den allermeisten allein schon deshalb zu winzig sind, weil sie keine Hinweise brauchen.
Ich habe inzwischen einige Bücher geschrieben, die mich ziemlich enttäuschen; dennoch müssen die Bücher für Sie der Grund gewesen sein, mir diese Ehre anzutun. Das freut mich und beruhigt mich ein wenig, wenn ich auch einen Grund darin sehe, Ihrem Urteil gegenüber skeptisch zu sein. Jedenfalls danke ich Ihnen herzlich.