Péter Esterházy

Writer
Born 14/4/1950
Deceased 14/7/2016
Member since 1993

Motto: »Wirklichkeit und Satz stehen bei mir im umgekehrten Verhältnis zum üblichen, ich messe den Satz an der Wirklichkeit, ich beobachte also nicht, ob der Satz die Wirklichkeit gut beschreibt, ich beobachte, ob die Wirklichkeit ein Stück hat, das von meinem Satz beschrieben wird, das heißt, ob mein Satz wirklich ist. Folglich: wenn kein Satz, dann keine Wirklichkeit, zumindest weiß ich nichts mit ihr anzufangen. Ich mag sie nicht ansehen, ich behaupte nicht, im Anfang war das Wort oder der Sinn oder die Kraft oder die Tat, ich behaupte nur das mit dem Nicht-ansehen-Mögen. Wenn es auch nicht zutrifft, daß ich statt des Lebens die Literatur wähle, weil sie das Leben sei (ein anderes Weil: ›Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang‹), so scheint doch die Feststellung stimmig zu sein, daß ich in Papiernähe am ehesten ich bin, was ich selbstverständlich nicht als Gewinn hinstellen möchte.« (In: Eine Geschichte)
Das waren natürlich Sätze nur des Ich-Erzählers – aber auch ich versuche es, in Papiernähe zu bleiben.
Anouilh meint, so lese ich, er habe keine Biographie, und darüber freue er sich; in diesem Sinne habe ich ebenfalls keinen Lebenslauf, doch das erfüllt mich weder mit Freude noch mit Schrecken.
Wie auch immer, am 14. April 1950 wurde ich in Budapest geboren, in der Hauptstadt eines osteuropäischen Landes, als Sproß einer alten Familie, wie man so sagt. In einem ungarischen Spruch heißt es: »Wenn Gottes Hut die Erde wär, dann Ungarn dazu sein Blumenmeer.« Wir müßten also nur wissen, ob die Erde Gottes Hut ist, und schon hätten wir mehr oder weniger gewonnenes Spiel. Meine Kindheit fiel mit einigen tragischen Irrtümern des (frühen) Sozialismus zusammen (als Sprößlinge hatte man am 17. Juni 1951 auch unsere Familie deportiert), doch so etwas, wenn man am Leben bleibt, kann der Kindheit kaum schaden. Meine Kindheit war nur für meine Eltern schrecklich. Denke ich jetzt daran zurück, dann weiß auch ich, was Schrecken ist.
1956: ein wichtiges Jahr: wurde ich eingeschult – so könnte ich kokett sagen. Von der Zeit an ging ich nur zur Schule und spielte Fußball. Für letzteres, und darauf bin ich stolz, bekam ich ungefähr mit zwanzig für kurze Zeit sogar Geld (und natürlich blase ich mich gern mit meinem Bruder auf, der als Mitglied der ungarischen Nationalelf in den verschiedensten Sprachräumen – alles lauter Übersetzungsmöglichkeiten! – Tore schießt, geschossen hat). Ich habe sehr gern gelernt, am Piaristengymnasium habe ich mit dem Abenteuer, der Bitternis und dem Rausch des Lernens Bekanntschaft gemacht.
Ein bißchen überspitzt formuliert, das Studium der Mathematik an der Budapester Universität absolvierte ich aus Abenteuerlust, anschließend arbeitete ich vier Jahre lang an einem Rechentechnischen Forschungsinstitut, wo ich sozusagen das Dickicht des Lebens kennenlernen sollte. Seither arbeite ich als freier Schriftsteller. Ich bin Vater vierer Kinder, Mann einer Frau. Der Titel meiner Diplomarbeit lautete: Optimum Binary Search Trees. Auf zirka halbem Weg des Menschenlebens finde ich mich in einen dichten finstern Wald der optimalen binären Such-Räume verschlagen.
Auf deutsch sind folgende meiner Bücher zu lesen: Die Hilfsverben des Herzens, Wer haftet für die Sicherheit der Lady?, Kleine ungarische Pornographie, Fuhrleute, Das Buch Hrabals, Donauabwärts und zuletzt zusammen mit Imre Kertész Eine Geschichte.
Warum schreiben?, pourquoi?, lautet die klassische Umfrage. Jeder hat seine Gründe: Für den einen ist die Kunst eine Flucht, für den anderen ein Mittel zur Eroberung. Man kann aber in Einsiedelei fliehen, in die Narrheit, in den Tod, und erobern kann man auch durch Waffen. Warum aber verwirklicht man die Flucht und die Eroberung ausgerechnet durch Schreiben?, lese ich. Wir schreiben, lese ich, um geliebt zu werden, und gelesen werden wir so, daß man uns nicht lieben kann; diese Distanz ist es, die mit ziemlicher Gewißheit den Schriftsteller ausmacht.
Also: Ich schreibe: aus Wollust, aus Angst, für Freiheit und aus freien Stücken; und weil »ich diese betäubende, abscheuliche und empörende Welt nicht liebe. Weil ich sie verändern will«, Zitat Ende, schreibe ich.
Im ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet.