Eva Zeller

Writer
Born 25/1/1923
Deceased 5/9/2022
Member since 1975

In wenigen Minuten etwas sagen zu sollen, fordert mich zu einer spontanen Äußerung heraus, spontan in dem Sinne, daß ich, mehr fragend als antwortend, mehr betroffen als problembewußt, etwas zu einem Phänomen anmerke, das mich nachhaltig beschäftigt: es ist der Zusammenhang, das Spannungsverhältnis zwischen dem Autor und seinem Stoff – oder auch umgekehrt, zwischen einem Stoff und seinem Autor. Der Autor, der, der autorisiert sein sollte, dem auctoritas zukommt, Urheber, Gewährsmann, der zitierbar wird und der sich hoffentlich oft in Gefahr begibt, Risiken auf sich nimmt, wenn er hartnäckig seinen subtilen Protest anzettelt an der Stelle, wo seine Berührungslinie mit der Welt verläuft.

Und Stoff, Außenwelt, sintflutartig ansteigende Wirklichkeit, uns durch die Perfektion der Medien immer rigoroser und unzweideutiger eingetrichtert, als seien wir Augenzeugen fast des gesamten Welttheaters. Lieferte man sich dieser Stoffmasse aus, es käme zu einer Willkürherrschaft des Stoffes und einer totalen Überforderung des Autors durch schieren Stoff.

Was ich aussparen muß, ist der nächste Schritt vom Stoff zum Stil – Stil als Konsequenz des Stoffes, der dem zu Sagenden erst die Durchschlagskraft gibt. Aber die klassische Trennung Stoff – Stil, Inhalt – Form, Thema – Struktur, vollzieht sich ja eher im Nachhinein und theoretisch; es kann durchaus ein einziges Wort zum zündenden Initialwort werden und damit bereits zum Thema, im Glücksfall können sich Ereignis und Sprachereignis decken.

Meine Neugier bezieht sich auf die Disposition, die Anfälligkeit eines Autors für einen bestimmten Stoff, für den, der sich nicht anbiedert, sondern ihm unausweichlich in die Quere kommt. Das ist ein erotischer Vorgang. Eine Erwählung muß stattfinden, bis dieser Stoff einen so verpflichtenden Charakter zeigt, daß einer dann zu äußerster Wesensanspannung und zur redlichen Arbeit an diesem Stoff getrieben wird – und das alles heute ohne das »Urvertrauen in Sprache«, das andere Generationen noch hatten.

Stoff scheint mir weniger eine Erfindung als eine Findung, ein Fund; der Finder weniger ein Ergreifender als ein Ergriffener; seine Disposition eine angelegte oder erworbene Bereitschaft, ein ganz bestimmtes Erregungspotential für eben diesen Stoff unter vielen. Man könnte im Leibnizschen Sinne von »angeborenen Ideen und natürlichen Möglichkeiten« eines Menschen sprechen, die ihm seine Spielraumbreite zumessen, sein Gerichtetsein auf ganz bestimmte Tatbestände, die seinem »Trieb nach Definition« entgegenkommen, diesem Trieb, von dem Benn gesagt hat, er sei »qualvoller als der Hunger und erschütternder als die Liebe«.

»Die Wahrheit ausfindig machen, die zu sagen sich lohnt«, so Brecht. Diese Wahrheit ist selten die vom Zeitgeist gerade proklamierte und bereits institutionalisierte. Der Zusammenprall mit einem bestimmten Thema wird als Widerspruch und Verstörtsein erlebt. Was der Entscheidung die eigentliche Schärfe gibt, ist der Schock.

Ein letzter Gedanke dazu: sein Thema zu finden, sich ihm zu stellen, ist heute nicht nur durch den Informationsdruck erschwert, sondern auch durch den Zwang zur Versachlichung, den uns unser schneidenderes und gebrocheneres Bewußtsein abverlangt, Versachlichung im Sinne emotionaler Verarmung und Verdrängung. So notwendig Sachlichsein bei der Arbeit eines Schriftstellers ist, der sein Anliegen exemplarisch für seine Leser machen will, – Persönlichwerden, Ich anstelle von Man zu sagen, ist sicher ebenso not-wendig.

Wenn ich von jetzt ab hier in dieser Akademie mitarbeiten darf, möchte ich bei meinem Einstand uns allen, jedem Einzelnen, den Stoff wünschen, der gerade für ihn freigegeben ist aus dem Wirrwarr und Überangebot der Stoffe, der seine besondere Aufmerksamkeit mobilisiert, und mit dem er sich dann herumschlagen kann. Nichts wäre schlimmer für einen Schriftsteller als fehlendes Augenmaß für die Angemessenheit eines Themas.