Robert Schindel

Writer
Born 4/4/1944
Member since 1996

Mein Präsident
Meine Damen und Herren
Liebe Kolleginnen und Kollegen

Wer sind Sie überhaupt? Wenn einer den Konzertsaal betritt, hat er entweder ein Billett oder ein Musikinstrument dabei, oder er weist sich durch Handlungen, Zeichen oder Dokumente als ein Dazugehöriger aus. Mit der Weinflasche im Plastiksackerl, Stoppelbart und Herrgottspatschen angetan wird man unschwer als deplazierte Person erkannt und zumeist auch verwiesen.
Für eine ursprünglich deplazierte Person habe ich bei der Vorstellung für eine Akademie meine Schwierigkeiten. Ich bin doch von Ihnen aufgenommen, gewählt worden, es kann sich doch wohl um keinen Irrtum handeln, weder Vetter noch Namensvetter sind mir bekannt, es muß doch ich der sein, den Sie aufgenommen haben. Einen Ausweis habe ich dabei. Warum muß ich mich vorstellen? Hätten Sie gesagt: Ach, lesen Sie uns einfach etwas vor, damit wir wissen, wer Sie sind, könnte ich zustimmend antworten: Das ist womöglich ganz gut. Ich schreibe zwar im engeren Sinn nicht autobiographisch, aber die Texte lassen sich schon irgendwie meiner Person zuordnen, grade eben auch, weil sich die Person in den Texten verbirgt und offenbart.
»Die Verleugnung der Person ist die Vollendung der Form«, sagte einmal ein unglücklicher deutscher Dichter und er verleugnete sich sehr. Ich aber soll eine Vorstellung von mir abgeben, damit Sie eine Vorstellung von mir haben, die über meine Texte und mein Aussehen hinausgeht. Schwierig.

Als ich, also gut, am 4.4.44 in Bad Hall, Oberösterreich zur Welt kam, galt ich dieser als Sohn der Elsässerin Susanne Soel, die freiwillig als Fremdarbeiterin ins Deutsche Reich gekommen war. Sie und der Elsässer Pierre Lutz arbeiteten in Linz an der Donau, und als es so weit war, daß ich raus mußte, war die dortige Gebärklinik zerbombt, und alles, was rausdrängte, mußte nach Wels oder Bad Hall. Als schwarzhaariger Franzos blieb ich in Bad Hall eine Woche, um sodann in die Fremdarbeitersiedlung nach Linz zurückzukehren.
Nach vier Monaten wurde das Geheimnis gelüftet. Susanne Soel stellte sich als die Wiener Jüdin und Kommunistin Gerty Schindel heraus, Pierre Lutz war der Wiener Jude und Kommunist René Hajek. Beide waren sie vorher in der Résistance tätig in Südfrankreich und in Paris, meine Mutter ist noch früher während des Austrofaschismus im Gefängnis gesessen und war durchaus aktenbekannt. Die beiden wurden nach Auschwitz verbracht und ich? In Auschwitz wäre ich nach dem damaligen Zeitgeist nicht deplaziert gewesen, doch ich kam dort niemals an. Nach einer Version hätte mich eine mit der Linzer Widerstandsgruppe sympathisierende Kinderschwester an sich genommen, nach der anderen Version der verhörende Gestapomann, der einen Sohn im gleichen Alter hatte. Entweder sie oder er hätten mich aus dem Belang der Gestapo weggeschafft und bei der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in Wien Leopoldstadt als Kind asozialer oder bei einem Bombenangriff umgekommener unbekannter Eltern verwahrt. Jedenfalls lag der Judenbalg unerkannt in der arischen Kinderkrippe und ließ wie alle anderen Wiener die Bomben über sich ergehen. Meine Mutter kam aus Auschwitz und Ravensbrück und von den Todesmärschen zurück, René Hajek, meinen Vater, erschossen sie noch am 30.3.1945 in Dachau, er war eben 34 Jahre alt geworden.
An meinem Geburtsdatum, dem Vornamen und einem Leberfleck (statt einer Nummer) am rechten Unterarm erkannte mich meine Mutter im August ’45, und ab dann begann, wie ich glaubte, mein Leben als Plazierter. Ich erhielt meinen Namen, den ich heute noch habe, die Dokumente wurden umgeschrieben, und da war ich, da bin ich.
In der Volksschule erklärten mir die Kinder, ich gehöre nicht hierher, denn ich sei ein Judenbub. So wurde ich in Deutsch ganz gut und auch den breiten Wiener Dialekt sprach ich bald besser als die anderen. Mein prononciertes Aussehen, meine Franzosenhaftigkeit blieb mir aber und führte dazu, daß ich überall schnell erkannt und gemerkt wurde, ob ich mich vorstellte oder nicht. Dem heutigen Zeitgeist zufolge bin ich ein österreichischer Schriftsteller mit allen Rechten und Pflichten eines österreichischen Staatsbürgers. Gelegentlich werde ich daran erinnert, daß ich eigentlich nicht so wirklich dazugehörig bin und nicht bloß von meinen Landsleuten. Auch der eine oder andere Jude findet es abgeschmackt, daß ich im Land der Täter der Illusion nachhänge, ein Österreicher zu sein, und ich sollte doch lieber...
Vielleicht hätte ich das alles nicht sagen müssen. Aber ich sollte mich doch vorstellen. Hätte ich die Wahl, wählte ich gewiß eine schlichtere Biographie.
Ich empfinde so etwas wie Genugtuung, ein seltenes, aber durchaus angenehmes Gefühl. Lassen Sie mich dieses einen Augenblick auskosten, bevor ich mich der Sehnsucht nach Normalität wiederum hingebe.
Vielleicht ist die Deplaziertheit ein guter Humus für einen Schreibenden, vielleicht hat sie mich zu einem Schreibenden gemacht, wer weiß.
Seitdem sitze ich in den Kaffeehäusern der Welt, das heißt in Wien und Umgebung herum und klamüsere mir zusammen, was ich zu begreifen glaube. Die bisherigen Ergebnisse liegen vor.
Wenn ich nun Aufnahme finde in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, so fühle ich mich wenigstens dort nicht schlecht plaziert. Dafür danke ich Ihnen. Vorhang.