Monika Rinck

Writer
Born 29/4/1969
Member since 2014

Sehr geehrte Damen und Herren,
hochgeschätzte Akademie!

Haben Sie vielen Dank! Monika Rinck stellt sich vor. Um das zu tun, stelle ich mich ein kleines Stück neben mich, zu den anderen, von denen allein eine Deutung zu beziehen ist, von der sich leben lässt. Unwahrscheinlich, ja höchst unwahrscheinlich, dachte ich, als ich gestern vor dem Best Worscht-Kiosk auf dem Darmstädter Schlossplatz stand und darüber nachdachte, wie das wohl anzugehen sei. Bei herabgesenktem dunklem Himmel hatte das Licht die Kontraste deutlich erhöht und die Tiefenschärfe etwas verringert. Es muss eine Serie unwahrscheinlicher Zufälle gewesen sein, die ich retrospektiv nicht zur Konsequenz umlügen kann. Zufälle, wohl Glücksfälle, ja, oder mit einer Sentenz Schmidt-Biggemanns gesprochen: »Glück ist für die Topik einer unverfügbaren Welt selbst unentbehrlich.«

Geboren 1969 in Zweibrücken, in einer Stadt sehr am Rand, noch in der Pfalz, an der Grenze zu Frankreich, die seit Jahrhunderten ein militärischer Standort war, 1994 verließen uns nach den Kanadiern und den Franzosen auch die Amerikaner und ein Drittel der Stadt stand mit einem Mal leer. Es war ja eine gemischte Stadt gewesen, in der in manch einer Kaschemme, wie der Brau‘heyt Buckuhun ein eigenartiges Creole entstand: »Geysche in Kaufhall, kaufsche dir a geiles Rock and a kilou Hänschebäeinsche«. Stolz war der ehemalige Bürgermeister, ein weitläufiger Verwandter Tolstois, vor allem darauf, dass Zweibrücken die Geburtsstadt des Erfinders des Kreiselkompasses ist. Meine Eltern, beide Lehrer, ihre Eltern Bauern, Bergleute, noch weiter zurück, Winzer und Förster. Meine Mutter malte, das Haus war voller Bücher und ein Buch führte zum andern: the great chain of reading. Die Wochenenden meiner Jugend verbrachte ich auf Kanuwettkämpfen, Slalom, an so offenkundig seltsamen Orten wie Monschau, Rastatt, Neuss, Neheim-Hüsten, Haunau, Frankenberg, Bad Kreuznach, Kassel und Hohenlimburg, die Ferien in französischen Trainingslagern, an der Isère, an der Ardêche. Das Wasser war wichtig. Davongetragen zu werden, mit den Strömungen des Kehrwassers zu rechnen, sich Wegreißen zu lassen und zu lernen, dass es nichts nützt, auf das aufgewühlte schäumende Wasser einzuschlagen, weil die Gischt dem Paddel keinen Widerstand bietet.

Dann schloss sich ein langes Studium an, das in Bochum begann, viele Jahre später in Berlin mit einer Arbeit zu Meister Eckhart und Musil beendet wurde, und dann in den USA weiterging. The Courage to be A Part: Während meines Studiums baute und führte ich mit einer Hand voll Leuten ein Programmkino in der Kulturfabrik Lehrter Straße in Moabit, den Filmrauschpalast, den es heute noch gibt. Wir veranstalteten dort unter dem Namen »Meiers Schöner Fleischsalon« (es handelte sich um das Gebäude der ehemaligen preußischen Heeresfleischerei) ein Poetry Café und eine Bühne für unspielbare Texte. Mit vier anderen Frauen gründete ich die Gruppe ÜBUNG AM PHANTOM, in der wir feministische Filmwissenschaft betrieben, die Befreiung durch die gerade aufkommenden Gender Studies erlebten, Filmreihen kuratierten, Vorträge hielten und Anfang der neunziger Jahre in Zürich und Berlin an der Ausstellung »When Tekkno turns to Sound of Poetry« teilnahmen. Damals entstanden Freundschaften, die bis heute bestehen. In der theoretischen Zehnjahres-Zeitschrift A.N.Y.P. (das stand für Anti-New-York-Pläne) erschienen erste Veröffentlichungen. Jahrelang war ich Teil des Film-Projekts »Le PingPong d'Amour« (wir drehten über zehn Jahre hinweg eine fiktionale Doku-Soap im Stil der Nouvelle Vague, die von uns handelte: und von den geringsten und größten Verschiebungen), ich führte und verschickte das Begriffsstudio, eine Sammlung bemerkenswerter Begriffe und Formulierungen, die 1996 begann und nach wie vor weiterbesteht, besuchte die langjährigen Vorlesungen des Religionsphilosophen Klaus Heinrich im Henry Ford Bau, traf auf meinen wichtigsten Lehrer, den Religionswissenschaftler Lorenz Wilkens, veranstaltete mit der Performance-Gruppe DAS LEMMA sehr verstörende bis hin zu beschämende Theater-Abende, die mich lehrten, dass auch kluge Leute gemeinsam, mit guten Zutaten, großer Mühe und viel Zeit furchtbare künstlerische Ergebnisse erzielen können.

Und mit einem Mal war ich in den USA, es war 1999 und ich saß nachts im Lesesaal der Sterling-Library der Yale University, blätterte in Poetry Magazines, die mir so viel attraktiver erschienen als vieles was ich kannte, vor allem attraktiver als die Arbeit an meiner Dissertation Apokalyptik zwischen den beiden Weltkriegen aus religionsphilosophischer Perspektive, mit der ich den Tag verbracht hatte. Und dachte, da wo die Gedichte sind, da will ich hin. Dass ich dann, elf Jahre später mit Übersetzungen meiner Gedichte in der Chicago Review vertreten war: unfassbar. Höchst unwahrscheinlich.

Wie ich dort hinkam, weiß ich nicht, vielleicht begünstigt, durch die Tendenz JA zu sagen, weil eines zum anderen führt, ohne zu wissen, wo oder was das andere im Einzelnen sei, to have done instead of not doing – denn es nicht zu tun, das kannte ich schon. Dabei hatte ich das Glück, immer wieder auf Menschen zu treffen, Freundinnen und Freunde, Verlegerinnen und Verleger, Lehrerinnen und Lehrer, die mir halfen, das sinnvoll zu finden, was ich im Begriff war zu tun. Und: »Glück ist für die Topik einer unverfügbaren Welt selbst unentbehrlich.«

Ich bedanke mich herzlich für die Aufnahme in die Akademie und bei Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.