Alte Bekannte? Oder: Last und Lust der Tradition.
Herausgegeben von Herbert Heckmann. München: Hanser 1990. 140 S.
Wir mögen das Vertraute und Bekannte. Das wissen wir, und das weiß auch die Psychologie. In der ästhetischen, also auch der literarischen Diskussion dagegen erfahren wir in der Regel, dass alleine das Neue, das noch nicht Dagewesene das wirklich Schätzenswerte sei. Und während längst das emphatisch gefeierte Moderne in den Sog der Mode zu geraten droht, scheint die Gunst des Publikums sich dem Vertrauten zuzuwenden. Wo Literatur auch heute dieses Bedürfnis befriedigt, ist dem ästhetischen Urteil allzu leicht der Vorwurf des Traditionellen zur Hand, als hätte nicht längst auch das, was als Experiment gilt, Tradition. Dass Litertaur stets auch von ihr zehrt, scheint eine Binsenwahrheit, die vielleicht gerade deshalb der Aufmerksamkeit heutiger Kritik sich entzieht und die unkritische Feier des bloß Trivialen begünstigt. Zehrt aber Literatur nicht stets auch von ihrer Tradition? Und muss sie deswegen ein schlechtes Gewissen haben?