Svetlana Lukić
Zusammenfassung der Debatte
Im Verlauf der zweiten Podiumsdiskussion der Belgrader Debatte über Europa sollten die kontextbedingten, voneinander abweichenden Sichtweisen der Gesprächsteilnehmer zur »Kultur der Demokratie« sichtbar werden. Diese Unterschiede sollten dabei helfen, auch einige Gemeinsamkeiten über unsere Kulturgrenzen hinweg klarer zu sehen. Die wichtigste Gemeinsamkeit liegt demzufolge offenbar im Bestreben der politischen Gemeinschaften, aus denen die Teilnehmer kommen, vollwertige Mitglieder der Europäischen Union zu werden. Die Gesprächsteilnehmer kamen aus vier Ländern, von denen zwei bereits EU-Mitglieder sind – Kroatien und Rumänien – und zwei weitere Kandidatenstatus haben – Albanien und Serbien.
Während des Gesprächs sollte sich herausstellen, welche Rolle die Kultur in diesem Prozess der Annäherung an die EU spielt, und welche Erfahrungen im Hinblick auf die Kultur die Länder machen, wenn sie der EU beitreten. Solche Beiträge wurden von Slavenka Drakulić (Kroatien) und Andrei Pleșu (Rumänien) erwartet. Die Teilnehmer Fatos Lubonja (Albanien) und Dragan Velikić (Serbien) sollten über die Bedeutung der Kultur im nachbarschaftlichen Annäherungsprozess sprechen, aber auch darüber, inwiefern dieser Prozess die Beziehungen zwischen Serbien und Albanien verbessern könnte, vor allem vor dem Hintergrund jüngster unangenehmer Vorfälle in Serbien (Fußballspiel Serbien-Albanien und der Besuch des albanischen Premiers in Belgrad).
All das musste natürlich in einen breiteren Kontext gestellt werden, wobei die Bedeutung der Kultur für den demokratischen Fortschritt thematisiert wurde, sowie der Beitrag, den die Kultur beim Ausbau der Demokratie leisten kann. Es stellte sich jedoch heraus, dass anstelle der erwarteten Unterschiede im Falle von Kroatien, Albanien und Serbien eher einige Gemeinsamkeiten zum Tragen kamen; diese Gemeinsamkeiten gehen auf das jüngste ähnliche historische Erbe zurück. Sowohl Slavenka Drakulić als auch Fatos Lubonja und Dragan Velikić schlugen einen Bogen zwischen den sozialistischen und nationalistischen Mustern in der Kultur Kroatiens, Albaniens bzw. Serbiens.
Slavenka Drakulić betonte insbesondere den Beitrag der nationalistischen Kultur zur Zerschlagung des Bundesstaates Jugoslawien und zur Herbeiführung der Kriege. Sie sagte, diese Kriege seien im kulturellen Umfeld vorbereitet worden, indem beispielsweise in der Literatur die nächsten »anderen« als Feinde dargestellt wurden, mit denen man nicht zusammenleben konnte. Ihrer Meinung nach dominiert eine solche Kultur weiterhin die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, weil sie mit der Zeit institutionalisiert wurde. Den Grund dafür, warum Schriftsteller und Künstler sich überhaupt damit einverstanden erklärten, an der Verbreitung von Hass beteiligt zu sein, verortet sie im System des früheren sozialistischen Staates, in dem alle Künstler direkt und existenziell vom Staat abhängig waren, was dazu führte, dass sie als willfährige Vollstrecker von Befehlen aus der politischen Arena agierten. Bei Drakulić findet sich allerdings auch eine optimistische Note, die sich durch ihre Ausführungen zieht: Wenn die Kultur in der Lage gewesen war, die Völker zu verführen, dann wird sie auch in der Lage sein, andere Verhaltensmuster und andere Wahrnehmungen der nächsten »anderen« zu etablieren. Aber, um das zu erreichen, brauche es eine durchdachte Kulturpolitik, für welche die jeweiligen Staaten Ressourcen zur Verfügung stellen müssen.
Der serbische Schriftsteller Dragan Velikić stimmte in vielen Punkten seiner Kollegin aus Kroatien zu und betonte zusätzlich den ideologischen Druck, dem die Künstler im sozialistischen Jugoslawien ausgesetzt waren.
Fatos Lubonja griff das Thema ebenfalls auf. Er beschrieb die Situation in Albanien, wo der Nationalismus zunächst mit der sozialistischen Regierungsform einherging. Heute werde der Nationalismus jedoch mit Bestrebungen, der EU beizutreten in Verbindung gebracht. Für Lubonja ist der Nationalismus also ebenfalls ein wichtiges Charakteristikum für die Kultur, aus der er kommt. Zudem hob er eine neue Dimension der hiesigen Kulturen hervor, nämlich ihre offensichtliche Ambivalenz. Lubonja ist der Meinung, dass es sich um Kulturen mit zwei Gesichtern handele: ein Gesicht für den äußeren Gebrauch, ein Gesicht für Europa, das sich darin manifestiert, dass demokratische Werte und Toleranz gegenüber den Nachbarn hochgehalten werden. Das andere Gesicht wird den eigenen Bürgern gezeigt: dieses Gesicht ist weiterhin nationalistisch. Das nationalistische Gesicht richte sich auch gegen die Nachbarstaaten. Lubonja zufolge würden keinerlei Anstrengungen unternommen, um diese nationalistische Kultur zu verändern. Außerdem findet er die Situation in der Europäischen Union besorgniserregend, denn die Union sei ebenfalls in der Krise. Diese Krise habe gleichermaßen einen ambivalenten Charakter, der sich unter anderem in den starken nationalistischen Strömungen innerhalb der EU selbst manifestiere. Laut Lubonja bedeutet die Krise eine zusätzliche Erschwernis für die Reformbestrebungen in den Ländern der Balkanregion.
Andrei Pleșu aus Rumänien brachte das Gespräch auf das anfängliche Thema zurück, also auf das Verhältnis zwischen Demokratie und Kultur. Seiner Meinung nach drohe der Demokratie Gefahr von zwei Kulturmodellen. Eines davon ist der Populismus, das andere die Indifferenz gegenüber den politischen Prozessen. Beide Modelle unterminierten die demokratischen Grundfesten der Gesellschaft. Pleșu setzt sich für eine Kultur ein, die ein aktives Verhältnis der Bürger zum politischen Entscheidungsfindungsprozess anregt. Außerdem sollte eine solche politische Kultur die Bürger dazu anhalten, bereit und fähig zu sein, kritisch auf alles zu reagieren, was die demokratische Ordnung gefährden könnte.
Ebenso wie Drakulić sprach Pleșu über den materiellen Status des Künstlers in der Europäischen Union. Er erzählte, dass die Künstler aus den ehemaligen sozialistischen Staaten überrascht darüber waren, dass es in der EU keine allumfassende Kulturpolitik gibt, was dazu führt, dass kein kontinuierlicher und ausgearbeiteter Plan zur Finanzierung von kulturellen Aktivitäten besteht. Einerseits beruhe dies auf der Entscheidung der EU, sich nicht in die Kulturpolitik der Mitgliedsstaaten einzumischen, um nicht die kollektiven Identitäten zu gefährden, die diese Kulturen jeweils pflegen; andererseits sei es aber auch eine Entscheidung im Einklang mit den Marktprinzipien, denen sich die EU verpflichtet fühle. An beides müssten sich die Künstler aus den ehemaligen sozialistischen Staaten erst noch gewöhnen.
Dieses kurze Resümee legt den Schluss nahe, dass einige Problematiken im Hinblick auf Kultur und Demokratie die Schriftsteller aus der Balkan-Region beschäftigen. Zum einen ist da die Besorgnis über die nationalistischen Kulturmodelle, die weiterhin in den Staaten der Region vorherrschend sind. Diese Tatsache ist in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend, sowohl aufgrund des kriegerischen Erbes der jüngsten Vergangenheit, aber auch wegen der Inkompatibilität einer solchen Kultur mit den proklamierten Werten der EU. Zweitens gibt es offensichtlich eine Besorgnis im Zusammenhang mit den Ressourcen, die den Kulturschaffenden innerhalb und außerhalb der EU zur Verfügung stehen. Drittens sorgt das Fehlen von klaren Richtlinien für ein Unbehagen – es gibt also keine allumfassende Kulturpolitik, an welcher die kulturellen Aktivitäten sich orientieren könnten. Und viertens wird daran gezweifelt, dass der Markt ein relevanter Mechanismus zur Ausrichtung kultureller Aktivitäten sein kann.
Diese vier Aspekte lassen sich auch interpretieren als eine spezifische Reaktion, die sich daraus ergeben hat, dass sich zwei unterschiedliche Kulturmodelle miteinander gekreuzt haben: das eine Kulturmodell entwickelte sich in den ehemals sozialistischen Staaten und hängt weiterhin vom sozialistischen Erbe ab, während das andere Kulturmodell gerade erst dabei ist, sich innerhalb der Europäischen Union zu entwickeln.
Aus dem Serbischen von Mascha Dabić