Wulf Oesterreicher
Amerika

Wir wollen langsam beginnen – und etymologisch ist die Sache ja zuerst einmal klar: Der Kontinent „Amerika“ hat seinen Namen von dem Kaufmann, Seefahrer und Entdecker Amerigo Vespucci, obschon dieser Amerika nicht entdeckt hat, sondern der Kontinent ‚nur’ 1507 in einer wichtigen Karte des Kartographen Martin Waldseemüller (genannt Hylocomynus) nach ihm benannt wurde. Man sprach aber noch lange von den Westindischen Inseln, die Kolumbus entdeckt hat, oder dann von Westindien, spanisch Indias Occidentales oder einfach las Indias. Nach der Unabhängigkeit Hispanoamerikas von der spanischen Krone zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es übrigens Versuche, Amerika etwa durch die Bezugnahmen auf Christoph Kolumbus oder Simon Bolívar durch Colombia/Kolumbien oder Bolivia/Bolivien zu ersetzen.

Bei diesem Sachstand ist es für nachdenkliche Zeitgenossen durchaus überraschend, wenn inzwischen der Ausdruck „ich fahre nach Amerika“ ganz selbstverständlich verwendet wird, wenn man ‚nur’ in die Vereinigten Staaten von Amerika fährt, oder der Ausdruck „die Amerikaner haben ziemlich lasche Waffengesetze“, wenn man auf die Verhinderung einer effektiven Waffenkontrolle bei den U.S.-Amerikanern durch die Lobbyisten der National Rifle Association (NRA) hinweisen möchte.

Diese an sich falschen Verwendungen, die in bestimmten Kontexten die Kommunikation nicht sehr behindern, sind aber gelegentlich doch nicht akzeptabel. So kann man etwa Peruaner oder Argentinier durchaus von den americanos sprechen hören, wenn sie U.S.-Amerikaner meinen. Die Gedankenlosigkeit dieser Verwendung wird nicht allein in den schönen und ernsthaften Formulierungen deutlich, die in Lateinamerika gelegentlich zu hören sind: man spricht dann nämlich von der Casa de las Américas oder verwendet den Ausdruck las dos Americas, mit dem das ‚gemeinsame Haus’, also die Einheit des Kontinents beschworen wird. Dass eine derartig differenzierte, auch rührende terminologische Sicht der Dinge von den bewunderten (gelegentlich auch verhassten) nordamerikanischen gringos nicht zu erwarten ist, versteht sich von selbst. Es wäre aber durchaus angebracht, die Ausdrücke Amerika und Amerikaner strikt für den Kontinent und seine Bewohner zu reservieren.

Aber auch die gängige Unterscheidung von Südamerika/Südamerikaner und Nordamerika/Nordamerikaner hat ihre Tücken. Mexiko gehört streng geographisch nämlich klar zu Nordamerika, es wird im Sprachgebrauch aber gerne Mittelamerika zugeschlagen. Insgesamt ist es aber häufig einfach so, dass, auf Grund der historischen sprachlich-kulturellen Prägung, Lateinamerika − dies wissen nicht nur die Westernfreunde − einfach bis zum Rio Grande reicht! Auch bei der Gleichsetzung von Südamerika und Lateinamerika gibt es Widersprüche, weil erstens die Sonderrolle Brasiliens, wo ja portugiesisch gesprochen wird, eingeebnet erscheint, und, zweitens, auch das kanadische Québec, wo man ja Französisch spricht, nicht wirklich valorisiert ist (ganz zu schweigen von der Situation in Louisiana, das die Vereinigten Staaten erst im Louisiana Purchase 1803 von Napoleon kauften). Die Verhältnisse erfordern also weitere Unterscheidungen wie Hispanoamerika, Brasilien, Karibik usw.; Amerika und Amerikaner ist dabei in jedem Fall ein Fehlgriff ...

Es steht übrigens außer Zweifel, dass auch der Zweite Weltkrieg mit dem „Kriegseintritt der Amerikaner“ als griffige Formulierung für die wichtigsten, sichtbarsten Alliierten − denn es gab ja etwa auch noch die Kanadier − diesen verkürzenden Sprachgebrauch beförderte.

Ganz abgesehen von diesen kulturhistorischen Fakten und den angedeuteten sachlichen, begrifflichen und terminologischen Ambivalenzen ist nach unseren Überlegungen ganz offensichtlich, dass Verleger, Autoren und Übersetzer die Formulierung „übersetzt aus dem Amerikanischen“ umgehend aufgeben sollten, wenn sie sich nicht lächerlich machen wollen. Das Amerikanische gibt es nämlich nicht, und die Tatsache, dass man meist aus anderen Gründen weiß, dass es sich um eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch handelt, sollte dazu führen, genau dies auch zu sagen: „übersetzt aus dem amerikanischen Englisch“. Eben dazu und zum Thema des Englischen als einer plurizentrischen Sprache vergleiche meinen Beitrag im Forum Sprachkritik, der unter dem Titel „Amerikanisches Englisch“ 2013 erschienen ist.

Dass unsere Bemerkungen zu Amerika und den Amerikanern gerade auch im Bereich der Wissenschaftsorganisation von Bedeutung sind, möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen Beitrag im Forum Sprachkritik besprechen. Er wird das Verhältnis von Englischer Philologie, also der Anglistik, und der so genannten Amerikanistik betreffen, wobei uns naturgemäß bei der Amerikanistik ein Teil der angeführten fragwürdigen Argumente in einem anderen Kontext und in anderer Form wieder begegnen wird, bei der dann aber sehr wichtige wissenschaftssystematische und universitäre Fachstrukturen zur Debatte stehen.

Wulf Oesterreicher, Januar 2014