Peter Eisenberg
Holokaust/Holocaust
Die Etymologie führt auf die griechischen Adjektive holos (‚ganz’) und kaustos (Neutrum kauston ‚verbrannt’), die auch sonst in Gräzismen vorkommen (z.B. katholisch und kaustisch). Das Kompositum holokauston taucht in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen als Bezeichnung für ein Opfer auf, bei dem das Opfertier vollständig verbrannt wurde (was nur bei Opfergängen bestimmter Art der Fall war). Die Schreibung mit k als Transliteration des griechischen Kappa blieb im Deutschen lange präsent. Beispielsweise erscheint sie noch im Fremdwörterbuch von Heyse (1922) und im Brockhaus sogar bis 1969 als Holokaustum mit der ursprünglichen Bedeutung. Daneben findet sich seit der Übersetzung des Alten Testaments ins Lateinische (Vulgata, 405) die latinisierte Schreibweise holocaustum, als deutscher Latinismus später Holocaustum.
Dies war die Situation im Deutschen bis zum Jahr 1979, als bei uns eine amerikanische Fernsehserie mit dem Titel Holocaust ausgestrahlt wurde. Der Anglizismus hatte nun eine andere als die im Deutschen durchaus noch präsente Bedeutung ‚Brandopfer’. Er bezeichnete die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten, allgemeiner auch Massentötungen durch totale Zerstörung wie in Hiroschima und Nagasaki. Der Anglizismus Holocaust einerseits stand neben dem Gräzismus Holokauston und Latinismus Holocaustum andererseits. Der Rechtschreibduden etwa gibt heute als Herkunftsbezeichnug für Holocaust griech.-engl. an und lässt ausdrücklich die anglisierte Aussprache mit dem sog. Murmelvokal Schwa in der zweiten Silbe und mit dem langen, offenen [o] in der letzten Silbe zu. Dieser Laut ist typisch für das Englische (z. B. all, draw), im Deutschen gibt es nur den entsprechenden Kurzvokal wie in voll, Torf. Der Anglizimus mit der Bedeutung ‚Judenvernichtung, Massentötung’ war im Deutschen nach Schreibung, Lautung und Endung klar vom Gräzismus und Latinismus mit der Bedeutung ‚Brandopfer’ unterschieden.
Das ging so bis zum Jahr 2000, als das ZDF eine – nunmehr deutsche – Serie zum Thema Judenvernichtung ausstrahlte. Der begleitende Historiker Eberhard Jäckel erkundigte sich damals bei Mitgliedern der Rechtschreibkommission, ob man das Wort nicht mit k eindeutschen könne. Ihm wurde gesagt, das sei eine gute Idee, weil mit einer Eindeutschung die Verantwortung der Deutschen für den Holocaust herausgestellt werde. So schrieb man Holokaust, ohne sich vor Augen zu führen, dass damit eine Art Regräzisierung vorgenommen wurde, die einen wichtigen Unterschied zwischen zwei Wörtern verwischen musste. Die Schreibung mit k hat sich glücklicherweise nicht durchgesetzt. Wie es überhaupt zu der vielfach als skandalös bezeichneten Bedeutung ‚Judenvernichtung, Massentötung’ für holocaust im Englischen (und vergleichbar in anderen Sprachen) hatte kommen können, ist mehrfach beschrieben worden, z.B. von Ulrich Wyrwa im ‚Jahrbuch für Antisemitismusforschung’ (Band 8 1999, 300-311). Diese Bedeutung gibt auch die Basis für eine ganze Reihe missbräuchlicher Verwendungen ab, etwa wenn Neonazis von der Bombardierung Dresdens als einem ‚Bomben-Holocaust’ sprechen, um sie verbal in die Nähe der Schoah zu rücken.
Aus: Peter Eisenberg, Das Fremdwort im Deutschen. Berlin/New York (de Gruyter), Mai 2011.