Hans-Martin Gauger
Englisches im Deutschen
Was die unleugbar starke Präsenz des Englischen im Deutschen angeht, möchte man zunächst einmal genauer wissen: wie stark ist sie eigentlich? Und dies heißt auch: wie ist sie tatsächlich verteilt? Genauer: wer spricht mit wem über was und wann und wo ein englisch durchlöchertes Deutsch oder, wie man’s nimmt, ein deutsch durchlöchertes Englisch?
Dann aber – und darum soll es hier gehen – gibt es zu dieser Präsenz zwei schnell- und leichtfertige Positionen. Es gibt den national oder nationalistisch bestimmten Laien-Untergangs-Diskurs im Sinne von ‚das Deutsche schafft sich ab’, und es gibt den Wissenschafts-Abfertigungsdiskurs der Germanisten, jedenfalls soweit diese Deutsche sind, denn die nicht-deutschen oder nicht-deutschsprachigen sehen es möglicherweise anders. Von dem Untergangs-Diskurs will ich hier nicht reden, sondern nur von der sprachwissenschaftlichen Argumentation. Auch diese also scheint mir brüchig. Denn hier ergibt sich die problematische Folgerung: so wie das Deutsche schließlich durch das Französische nicht weggeschwemmt oder auch nur deformiert worden sei, so werde es am Ende auch mit dem Englischen gehen. Da habe ich nun drei schüchterne Einwände.
Zunächst war vormals das Französische nur bei den Gebildeten und also schichtspezifisch präsent. Darum ging es, wenn man im 18. Jahrhundert von der „Universalität der französischen Sprache“, der „universalité de la langue française“, redete. Sie endete übrigens ziemlich genau 1918, also mit Versailles. Man könnte auch sagen, sie dauerte von Versailles bis Versailles – von dem Ludwigs XIV. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zu dem des Vertrags. Und diese Universalität galt, wie der Name sagt, nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa und weit über Europa hinaus. Die Präsenz also des Französischen im Deutschen damals war sehr anders als die des Englischen heute.
Zweitens gab es in Deutschland, und zwar bereits vom 18. Jahrhundert an (Lessings Riccaut de la Marlinière in seiner Minna ist dafür ein hübsches, aber nicht ganz harmloses Beispiel), eine starke und breite, zum Teil hochnationalistische Gegenwehr, die bis fast in die Mitte des 20. Jahrhunderts reichte. Da sind wir nun bei Hitler. Der aber war, so sehr er die Franzosen verachtete, sprachlich kein Deutschtümler. Er hat 1941 praktisch pragmatisch die lateinische Schrift, die etwas seltsam sogenannte „Antiqua“, eingeführt. Und niemand wollte nach 1945, dies ist bemerkenswerter, die alte „Fraktur“ und die erst 1935 eingeführte „Sütterlin-Schrift“ wieder haben. Die nationale Gegenwehr gegen das Französische erreichte ihren Höhepunkt im ersten Weltkrieg. Und hier finden wir vor allem den Namen eines hochassimilierten und übrigens hochgebildeten jüdischen Deutschen, Eduard Engel, der sie scharf und widerwärtig artikulierte. Von ihm gibt es ein Buch mit dem Titel Sprich Deutsch!, Untertitel: Ein Buch zur Entwelschung. Es erschien, wie das Titelblatt vermerkt, „Im dritten Jahr des Weltkrieges ums deutsche Dasein“, also 1917. Und 1918, als der Krieg „ums deutsche Dasein“ entschieden war und dieses „Dasein“ trotzdem weiterging, brachte er, wieder unter dem scheußlichen Titel Entwelschung, ein „Verdeutschungswörterbuch“,heraus: „für Amt, Schule, Haus, Leben“, also eigentlich für alles. Im Vorwort ist, neben anderem Unsinn, zu lesen: „es ist mein fester Vorsatz durch dieses Buch planmäßig und schonungslos die Welscherei in Deutschland so lächerlich, so verächtlich, so verhasst, so ekelhaft zu machen, wie es mit jedem anständigen, wissenschaftlichen und schriftstellerischem Mittel nur irgend möglich ist“. Und dann: „Kein etwaiges Lob der sachlichen Brauchbarkeit meiner Arbeit, wird mich mit solcher Genugtuung erfüllen wie der Widerhall meines Hasses gegen die Schändung der schönsten Sprache der Welt“. Das ist nun wirklich Nationalismus pur: Exaltierung des Eigenen durch Erniedrigung des Fremden (anders geht es ja auch nicht). Und mit ‚welsch’ und ‚Welscherei’ bezieht sich der Mann nicht nur auf das Französische, sondern auf alles Lateinische. Ich nenne Engel nur als ein exponiertes Beispiel, denn es gibt viele. Und Engel, der, wie schon die zitierten Sätze zeigen, nun wirklich kein guter Schreiber war, obwohl er hier in der Tat nur ‚deutsche’ Wörter verwendet (lediglich der Latinismus ‚planmäßig’ ist ihm da unterlaufen), war überaus erfolgreich.
Ich will damit aber auf etwas anderes hinaus. Nämlich: ohne diese starke und breite Gegenwehr, die gerade von der gebildeten Elite getragen wurde, zu der etwa Engel gehörte, wäre die Sache mit dem Französischen im Deutschen sicher anders ausgegangen. Also sollten die Sprachwissenschaftler unsere Laien-Puristen (Puristen sind immer Laien), sogar wenn sie diejenigen, die Englisches in ihr Deutsch einfließen lassen, einer „Affensprache“ bezichtigen, sie also geradezu ins Tierreich verbannen, sich einfach austoben lassen. Diese Puristen sind für uns Sprachwissenschaftler keine Gegner, sondern nur Material – Material für unsere Beschreibungen.
Drittens ist der Hinweis auf das Französische im Blick auf das Englische überhaupt nur ein Analogieschluss, und anderes als Analogieschlüsse kann es hier ja gar nicht geben. Analogieschlüsse sind aber prinzipiell, auch wo nur solche Schlüsse möglich sind, unzuverlässig. Und hier kommt, wie gesagt, noch hinzu, dass die schlichte Analogisierung „Französisch damals / Englisch heute“ unerlaubt ist, weil die Analogie schwach ist. Also da machen es sich die Germanisten, insoweit sie tatsächlich so argumentieren, zu leicht, da sind sie buchstäblich zu schnell fertig, wenn ihnen außer ‚ist doch nicht so schlimm’ oder (was natürlich völlig richtig ist) ‚es gibt sowieso keine reine Sprache’ nichts einfällt. Es gibt ja den sympathisch fahrlässigen Kölner Spruch: „Et hett noch emmer joot jejange“. An den halten sich faktisch diese wissenschaftlichen Betrachter. Aber er wurde oft und gelegentlich sogar in Köln selbst drastisch widerlegt. Also: was mit dem Französischen in der Tat gut endete, muss mit dem Englischen nicht notwendig auch gut ausgehen.
Und in den Wissenschaften wird es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht gut ausgehen. Oder vielmehr: ist es nicht eigentlich jetzt schon klar, dass es nicht gut ausgehen wird? Mit dem Deutschen nicht und übrigens mit dem Französischen und anderen Sprachen auch nicht. Es sei denn, es setzte massive Gegenwehr ein. Woher aber sollte diese gerade in den Wissenschaften kommen? Denn diese interessieren sich ja ausschließlich für ihre jeweiligen ‚Gegenstände’ und das rasche Bekanntwerden ihrer ‚Ergebnisse’. Und dies wäre ein anderes Thema: die Bedeutung der Muttersprache für die Begrifflichkeit, für die Entdeckung des Neuen in Wissenschaften, von denen einige, wie zum Beispiel die Jurisprudenz, weit enger als andere spezifisch sprachlich geprägt sind.
Hans-Martin Gauger, Mai 2011