Rüdiger Görner
Zwiewörter

Man kennt das Zwielicht(-ige); Vergleichbares findet sich auch in der Sprache, nämlich das, was aus Zwiewörtern besteht. Dieses Zwiewörtliche ist zumeist durch die Umstände bestimmt, die mit einem bestimmten Wort verbunden sind, einen Text bedingen oder umgeben. Das Deutsche hat sich damit aus Gründen heimsuchen lassen, die seit Victor Klemperer (Lingua tertii imperii, 1947) und Dolf Sternberger (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, 1957) hinlänglich bis leidvoll bekannt sind.

Man ist in der Spracharbeit vor Fallen nie gefeit. So erging es mir dieser Tage, als mir „A Charter Oak Poem“ von Mary de Rachewiltz zu Gesicht kam. Mich sprachen diese sechs Zweizeiler solchermaßen an, dass ich mich an ihre Übertragung machte; denn man lernt durch das Übersetzen bekanntlich seine Mutter- oder Vatersprache, pardon, Zielsprache genauer kennen und das Übersetzte zumal. Kaum hatte ich das Gedicht übersetzt – es durchlief vier Versionen –, da erfuhr ich vom hundertsten Geburtstag der Autorin, der in Meran feierlich in ihrer sehr präsenten Anwesenheit begangen wurde. Sie soll zuletzt in gehobener Stimmung sogar den früheren Landeshauptmann Südtirols zum Tanz aufgefordert haben. Ich war bereits dabei, das Gedicht zu kommentieren und zu erwägen, die Übersetzung für einen etwaigen Abdruck anzubieten, als sich Zweifel einschlichen an diesem Vorhaben. Denn es galt doch auch, sich pflichtschuldig über die Autorin kundig zu machen. Dabei stellte ich fest, dass es sich bei ihr um die Tochter Ezra Pounds handelt, des wohl umstrittensten Modernisten in der Dichtung, so man in diesem Zusammenhang je von Gabriele d’Annunzio, Knut Hamsun, Céline und Jean Cocteau absehen könnte. Der geniale Dichter der Cantos verhielt sich politisch verwerflich, faschistisch, offen antisemitisch – und das selbst nach seiner 1945 erfolgten, zehn Jahre dauernden Zwangseinlieferung in eine US-amerikanische psychiatrische Anstalt, um ihn auf diese fraglos zweifelhafte Weise für seine Verstrickung im Mussolinischen Faschismus und anti-amerikanischen Radiosendungen zu bestrafen. Ich erinnerte zudem, wie ich im Sommer 1988 durch einen seltsamen Zufall, die Tappeiner Promenade über Meran verlassend von einer imposanten Burg angezogen wurde, der Brunnenburg, wo, wie sich herausstellte, Pound eine zeitlang gelebt hatte. Die Rachewiltz-Familie hegte und pflegte dort sein Nachleben, wie mir Gelegenheitsbesucher damals überdeutlich vor Augen geführt wurde.

Und jetzt dieses Gedicht A Charter Oak Poem, das den Lyrikband mit dem ominösen, um nicht zu sagen: zwiewörtlichen Titel For the Wrong Reason (2002) eröffnet – wirkte nun in mir die Autorin und meiner Übersetzung der Pound-Makel nach? Ich machte mich mit Hilfe von südtiroler Bekannten weiter kundig und stieß auf den Hinweis einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Mary de Rachewiltz und einer radikal-faschistischen Aktionsgruppe, die sich den Namen Pounds angeeignet hatte (die CasaPound Italia, existent seit 2003). Mary nun hat jahrzehntelang versucht, wie aus ihren Memoiren (Discretions, 1971/deutsch 1993) hervorgeht, ihren Vater, dessen Cantos und andere Werke sie ins Italienische übersetzt hat, gewissermaßen zu spalten – um so den Faschisten vom Dichter säuberlich zu trennen.

Mir drängte sich nun die Frage auf, in welchen möglichen Kalamitäten ich mich wiederfände, wenn ich diese Übersetzung eines kleinen, aber markanten Gedichts von Mary de Rachewiltz, deren Ehename ja etwas Rächendes in sich birgt, veröffentlichte. Würde sich dies an mir rächen, wenn ‚falsche Freunde‘ auf diese Übersetzung in dem Sinn reagierten, dass sie davon ausgehen könnten, ich würde mich durch diese Übersetzung mit Mary und ihrer Sache solidarisch erklären? Welche Art Vorsicht gilt es heute walten zu lassen? So musste ich mich in einer Zeit, unserer Gegenwart, fragen, in der faschistoide Eigenschaften nur allzu unübersehbar geworden sind. Oder sollte ich ‚einfach‘ festhalten am Prinzip der ‚bloßen Kunst‘, die nichts verdächtig Politisches an sich zu haben braucht, auch wenn hier von einer Eiche so betont die Rede ist. Eichen haben es bekanntlich in nationalistischer Hinsicht in sich. Die Eiche ist ein Zwiewort; wie es der Buchenwald auch geworden ist. Wofür Eichen und Buchen nichts können, wohl aber diejenigen, die mythisch-mörderisch sich dieser Baumsymbole bedient haben.

„A Charter Oak Poem“ ist ein gelungenes Gedicht, sogar als ein Liebesgedicht lesbar, wie es das erste Wort bereits nahelegt. Mitfühlend klingt es gegen Ende, nicht ohne neutestamentliche Anspielung: Lasset die Frierenden zu mir kommen, ohne dass wir diesem Ich sogleich vorwerfen sollten, sich dadurch eine Jesus-Haltung anzumaßen. Es spricht von (verfehlter) Selbstfindung, wobei jeglicher Reim kunstvoll vermieden wird, weil es eben bei dieser Thematik nichts zu reimen gibt. Nein, das ist kein lyrischer Modernismus nach der Art der Cantos des Vaters. Dieses Gedicht wie die anderen des Bandes ist um Eigenständigkeit bemüht, um eine eigene Sprache, die sich geradezu absetzt von jener der Cantos. Und doch, man wird die Vorbehalte nicht mehr los, wenn sie erst einmal da sind. Zwielicht legt sich dann über diese Zweizeiler, auch wenn es nicht durch diese Dichtung begründet ist.

Wie ‚haftbar‘ ist „A Charter Oak Poem“, wie sträflich naiv ein Übersetzer, der es in seinen Worten hier und heute wiedergibt und neu in diese Welt setzt, die dabei ist, sich neofaschistisch erneut zu verpesten? Eines zumindest bleibt von diesem Gedicht ‚haften‘, zwiewörtlich verstanden: das ansprechend ‚Schöne‘ an ihm und der (irrationale?) üble Beigeschmack.

Hier nun besagtes Gedicht und eine Übertragung:

Mary de Rachewiltz

A Charter Oak Poem

Love is a sunny substance
flesh cannot endure its ray.

Nowhere will the twice burnt find
a tree to shelter the charred

Self if her very own oak
has been struck down by lightning

to be firewood and a voice
shouts in the wilderness:

come all who are suffering
the cold, take and carry away

of my twenty cords to your
homesteads a bundle.


Ureichengedicht

Liebe ist lichte Materie,
kein Körper hält ihr stand.

Nirgends fände die zweifach
Gebrannte einen Baum,

um ihr gezeichnetes Selbst
zu bergen, wenn ein Blitz

ihre Eiche zu Brennholz machte;
dann riefe eine Stimme in die Wildnis:

kommt her, die ihr Kälte
leidet, nehmt meine zwanzig

Klafter und tragt sie als Bündel
hinweg in eure Heimstatt.

(Übers. v. Rüdiger Görner)

Mary de Rachewiltz, For the Wrong Reason. Poems. Edgewise Publishers. New York/Paris/Turin 2002, S. 13.

Möchten Sie den Beitrag kommentieren? Schicken Sie uns Ihre Meinung, wir veröffentlichen sie nach redaktioneller Prüfung.