Ingo Schulze
Endlager

Unter http://www.atom-endlager.de stehen nur zwei Zeilen in weißer Schrift vor einem schwarzen Hintergrund: „Atom-Endlager?/Es gibt keinen Ort dafür!“ Auch wenn es zutreffender wäre, von Atommüll oder radioaktiven Abfällen zu sprechen – diese zwei Zeilen fassen im Grunde zusammen, was man über ein Endlager für Rückstände aus Kernkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen wissen muss. Wahrscheinlich ist das Wort Endlager auch im Zusammenhang mit der Deponierung von CO2 und Sondermüll fragwürdig. Doch in dem Kontext, in dem es zur Zeit am häufigsten gebraucht wird, drängt sich die Frage auf: Was soll ein Wort, das etwas bezeichnet, das es gar nicht geben kann?

Endlager suggeriert, der atomare Abfall könne an einem bestimmten Ort für jetzt und alle Ewigkeit gelagert werden und wäre damit ein für allemal unschädlich gemacht. Aber hier geht es ja nicht um Jahrzehnte oder Jahrhunderte der Lagerung, sondern um Jahrtausende. Das häufig verwendete Plutonium 239 hat beispielsweise eine Halbwertszeit von vierundzwanzigtausend Jahren. Wie schnell sich ein Endlager zu einem Zwischenlager wandeln kann, das in Zukunft gar kein Lager für atomaren Abfall sein wird, zeigt das Beispiel der Schachtanlage Asse. Hinzu kommt: Schon jetzt übernimmt das Gemeinwesen den übergroßen Anteil der Kosten dieser Lagerung. Allein für die Schließung der Asse werden Kosten von zwei bis sechs Milliarden Euro erwartet. Das Wort Endlager jedoch ist wie ein Virus, das unterschwellig die Vorstellung verbreitet, der radioaktive Müll ließe sich entsorgen, das unlösbare Problem könnte gelöst werden, wir wären der Sorge für alle Ewigkeit enthoben. Das Wort Endlager in diesem Kontext zu benutzen, bezeichnet nichts, was es geben kann. Deshalb sollte es als Falschwort gekennzeichnet und sicher verwahrt werden.

Ingo Schulze, Oktober 2012