Hans-Martin Gauger
Grottenfalsch ist krottenfalsch
Vielleicht täusche ich mich, aber mir scheint, dass das Wort, das der „Duden“ mit einem g schreibt, aus dem Schwäbischen ins sogenannten Hochdeutsche kam. Der erste Bestandteil des Worts, sagt der „Duden“, komme „wohl“ (ganz sicher ist er sich also nicht) aus süddeutsch krotten-, und dies gehöre zu mundartlich krotte = Kröte. Also ich meine, Krott sei schwäbisch, wobei das Wort ja sicher schwäbisch ist, die Frage ist nur, ob es sich dialektal auch anderswo findet. Ich lese und glaube es ja, dass es sich „von der mittleren Mosel bis ins östliche Österreich“ findet. Im Schwäbischen jedenfalls ist es geläufig und da haben wir die Krott als Singular, also ohne e, und etwa zwoi Krotta als Plural, und ‚hochdeutsch’ würden wir das mit „zwei Krotten“ wiedergeben.
Der „Duden“ bringt seine Erklärung unter der Zusammensetzung ‚grottendoof’. Er bringt und erläutert auch die Zusammensetzungen grottenfalsch, grottenhässlich und grottenschlecht. Grottenfalsch scheintmir übrigens das, vom Schwäbischen her gesehen, zunächst einzige und das bis jetzt eigentliche Wort mit dem verstärkenden Bestandteil krotten zu sein, der jetzt fast zu einem Präfix geworden ist. Die anderen kamen, meine ich, hinzu, grottendoof sowieso, weil doof im Schwäbischen ja ein Import ist (unser Wort hierfür ist blöd oder bleed).
Die Bedeutung, die grottenfalsch im Schwäbischen hat, ist nach meiner Beobachtung für die Außenstehenden oder -sprechenden nicht klar. Gemeint ist nämlich: in jeder auch nur denkbaren Hinsicht falsch, der äußerste Grad an Falschheit, also hier natürlich falsch im Sinn von nicht-richtig. Es ist mehr als nur „vollkommen falsch“ wie der Duden umschreibt. Das ist klar zu wenig. Das Wort wird denn auch im Schwäbischen nur im Ärger, in der Erregung gebraucht. Die Stillage übrigens kennzeichnet der Duden mit „salopp“. Das gilt für das Standarddeutsche, und insofern hat er recht, denn dieses Deutsch beschreibt er ja. Im Dialekt jedoch ist der Ausdruck gar nicht „salopp“.
Doch darf man sich, wenn krotten- von Kröte kommt, schon fragen, weshalb der Duden das Wort mit g schreibt – über seine Herkunft weiß er ja Bescheid. Er weiß, dass dieser erste Bestandteil mit einer Grotte rein gar nichts zu tun hat. Grotte kommt übrigens aus dem italienischen grotta, und dieses Wort geht letztlich, über das Lateinische, auf das griechische krýpte zurück. Mit grotta hängt dann auch grotesk zusammen – etymologisch heißt grotesk „grottenhaft“. Insofern könnte ich auch sagen, die Schreibung von krottenfalsch mit g sei grotesk falsch. Sie beruht natürlich darauf, dass die Norddeutschen, denen diese süddeutschen Bildungen offensichtlich gefielen, sie ‚volksetymologisch’ mit einem ihnen vertrauten ähnlich klingenden Wort, also eben Grotte, verbanden. ‚Volksetymologisch’ nennt die Sprachwissenschaft solche Umformungen nach Anklängen an ein vertrautes und von der Bedeutung her irgendwie passendes Wort – aber mit ‚Etymologie’ hat dies psychologisch eigentlich gar nichts zu tun (dies darzulegen wäre eine andere Glosse).
Ein bekannter und hübscher Fall solcher ‚Volksetymologie’ ist französisch la choucroûte, „Sauerkraut“, das vom elsässischen Surkrut herkommt und in das die Franzosen ihr Wort für Kraut le chou und das für Kruste la croûte hineinhörten und dann entsprechend schrieben – so wurde aus sauer der Kohl und aus Kraut, also dem Kohl, die Kruste, obwohl das Sauerkraut ja wirklich keine Kruste hat. Von der Sache her (Landeskunde!) gilt in Frankreich das Sauerkraut als elsässische Spezialität – natürlich sieht es von Paris aus so aus. In Wirklichkeit aber ist das Sauerkraut im Elsass der westlichste Ausläufer dieses überall in Deutschland und auch weiter östlich verbreiteten Gerichts. Wenn die Engländer uns the krauts nennen, liegen sie da richtiger als die Franzosen.
Warum also krottenfalsch mit g? Gut, die Redakteure des „Großen Wörterbuchs der Deutschen Sprache“ werden einem sagen, so habe sich – aufgrund dieser Volksetymologie der anderen Deutschen – die Schreibung im Sinne jener ‚Volksetymologie’ halt eingebürgert. So sei es üblich, so sei der Gebrauch. Mit diesem rituellen Hinweis auf den Gebrauch, der an sich nicht zu kritisieren ist, kann man sich aber in diesem Fall nicht zufrieden geben. Und als Schwabe schon gar nicht. Das ist eine irritierend alberne, also nicht hinnehmbare Verballhornung eines zentralen schwäbischen Begriffs! Wir Schwaben haben in der jeweiligen Erregung, in der wir krottenfalsch sagen, die Kröte, vor Augen! Wenn man uns jedenfalls danach fragte. Und Krott ist für uns ein normales oder das normale Wort. So heißt nun einmal für uns die Kröte. Ernst Jünger, der ja die letzten Jahrzehnte seines langen Lebens im Oberschwäbischen, in dem Dorf Wilflingen lebte, hatte in seinem Garten von anderswo stammende Schildkröten ausgesetzt, die ihm jedoch gelegentlich entwichen. Da sei es nicht selten vorgekommen, berichtet er, dass es läutete und ein Junge vor seiner Tür stand mit einer Schildkröte in den Händen und sagte: „Herr Jinger, do isch Ihr Krott!“ (ein ü ist dem Schwäbischen bekanntlich ebenso unbekannt wie ein ö). Hier also der Beleg eines Norddeutschen!
Der „Kluge / Seebold“ (1989) bringt zu den Bildungen wie grottenfalsch gar nichts (muss er auch nicht). Natürlich aber erklärt er Kröte und verweist da auf mittelhochdeutsch krot, krote, krotte, krete. Kröte sei, sagt er, „die Form Luthers und wohl ursprünglich eine Mischung aus den beiden älteren Formen“. Also ist das Schwäbische oder das Oberdeutsche überhaupt hier einfach vorlutherisch und mittelhochdeutsch geblieben. Was die Herkunft des Worts angeht, sagt Kluge / Seebold nur, dass sie „unklar“ sei, während der „Kluge- Mitzka“ von 1963 einen Zusammenhang mit griechisch bátrachos vermutet. Es ist häufig so, dass der „Kluge“ früher scheinbar mehr wusste als der neue, also der von Seebold. Auch die Betonung von Unklarheit dort, wo keine Klarheit mehr ist, ist in der Wissenschaft Fortschritt.
Interessanterweise wird schwäbisch das Wort Krott häufig auch positiv verwendet. Es ist ambivalent und zwar dort, wo Ambivalenz besonders zu Hause ist, nämlich im Erotischen. Männer sagen zum Beispiel von einem Mädchen, das ihnen gefällt ‚Des isch aber a nette Krott’ oder natürlich auch verkleinernd ‚a netts Krettle’. Wenn es also auch nette Krotten geben kann, ist die Bewertung in diesem Wort gar nicht so ausschließlich negativ. Die Sprache ist widersprüchlich wie das Leben selbst.
Meine dezidierte Meinung zu grottenfalsch ist also: hier sollte man sich mit dem „Duden“ nicht abfinden. Oder der „Duden“ sollte beide Schreibungen tolerieren. Zumindest sollten sich die Schwaben selbst dem Diktat des „Duden“ in diesem Fall klar widersetzen, weil hier ein Dialekt geradezu verhöhnt, verunglimpft, für dumm verkauft wird. Diese norddeutsche ‚Volksetymologie’, meine ich, ist zurückzuweisen. Warum sollte sie für die maßgeblich sein, die es besser wissen? Und außerdem ist ja krotten- nicht weit von kröten-. Grottenfalsch ist krottenfalsch!
Hans-Martin Gauger, November 2010