Hans-Martin Gauger
Innovation

Seit längerem schon tönt uns überall das Wort entgegen – für sich selbst oder in Zusammensetzungen: Innovationsplan, Innovationsimpuls, Innovationsschub, Innovationsanstrengung, Innovationspotential. Bundeskanzler Schröder hatte einen ‚Innovationsrat’ für Forschung, Technologie (und so weiter) einberufen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Dann natürlich das zugehörende Eigenschaftswort innovativ. Es ist das positive Prädikat schlechthin.

Besonders als Wissenschaftler hat man innovativ zu sein. Bei ihm (oder ihr) gehört innovativ, etwa in den Evaluationen, zu den möglichen kostbaren Eigenschaften, auf die offiziell zu achten ist. Es steht in den Handreichungen, die den Evaluierenden vorher zugesandt werden. „Innovativ und kreativ“ muss ein Wissenschaftler, ein Gelehrter sein. Als ob kreativ nicht genügte!

Es ist da ein Fall von Vernebelung durch Sprache. Und es ist höchste Zeit – sprachkritisch und kritisch überhaupt – daran zu erinnern, dass sinnvollerweise die Wörter Innovation und innovativ nur in neutralem Sinn zu verwenden sind. Gegenwärtig werden sie aber ausschließlich positiv verwendet und zwar äußerst positiv. Positiveres, Größeres, Schöneres als Innovation scheint es jetzt für viele gar nicht geben zu können. Dies ist aber doch eigentlich – schon eine kurze Überlegung müsste es deutlich machen – pure Gedankenlosigkeit. Denn es gibt doch ganz offensichtlich zwei Arten von Innovationen: positive und negative. Das Alte, das schon da war, war nicht immer besser, natürlich nicht, als das Neue, das kam. Aber das Neue war oder ist auch nicht immer besser als das Alte war.

Eigentlich gibt es im Blick auf Innovationen stets zwei Dinge zu prüfen. Zunächst ist zu prüfen, ob das, was ‚Innovation’ genannt wird, tatsächlich eine ist. Also die Frage: ist es wirklich neu? Oder: in welcher Hinsicht ist es neu? Denn ganz Neues gibt es gar nicht so häufig. Und Innovationen tun oft so, als seien sie völlig neu. Dann muss geprüft werden, ob das Neue, das die Innovation brachte oder das sie bringen würde, besser war oder wäre als das, was schon da war oder ist. Das gilt im Raum des Politischen, in der Lebenswelt und auch in den Wissenschaften, die ja auch etwas wie durchgehend rationale Lebenswelten bilden, in denen die Wissenschaftler ja nicht ausschließlich, sondern nur als Wissenschaftler leben.

Muss man konservativ sein, um daran zu erinnern? Eigentlich doch nicht. Die heute übliche Verwendung der Wörter Innovation und innovativ setzt naiv voraus, dass das Neue überhaupt nur positiv sein kann. Das bekannte und so modern klingende Wort von Lichtenberg „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Ich weiß nur, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll“ ist da weit vorsichtiger, realistischer, vernünftiger. Oder vielmehr: es ist vernünftig.

Natürlich: wenn die Situation insgesamt schlecht ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Innovation positiv sei, weit größer. Selbst dann aber kann man nicht sicher sein. Die Innovation könnte ja noch schlechter sein als das, was jetzt schon ist. Die Spanier haben ein abgründig pessimistisches Sprichwort: „Das Schlechte, das man schon kennt, ist besser als das Gute, das man erst kennenlernen soll“, „Más vale malo conocido que bueno por conocer“. Unter dieses umfassend skeptische Verdikt fällt jede Veränderung. Es ist witzig, aber nicht klug.

Also: Innovation ist nicht, allein weil sie Innovation ist, schon positiv. Und: wer eine Innovation will, hat eine doppelte Bringschuld: er muss zeigen, dass oder in welcher Hinsicht das von ihm Vorgeschlagene tatsächlich eine Innovation ist, und er muss zweitens zeigen, dass es eine Besserung bringt gegenüber dem, was schon ist. Oder zumindest, dass es eine Besserung bringen könnte, denn in der Tat kann man dies nicht immer vorher schon sicher sagen, und manches muss auch erst ausprobiert werden dürfen. Dies gilt vor allem in den Wissenschaften, die ja auch etwas wie eine Spielwiese sind. Da wäre es ganz falsch, gleich nach Zwecken und Wirkungen zu fragen. Dies heißt dann aber auch: sinnvolle Innovation setzt voraus, dass das, was ist, zunächst einmal so gesehen wird, wie es tatsächlich ist. Wenn aber das Bestehende klar als negativ erkannt wurde und die ins Auge gefasste Veränderung wirklich eine ist und Besserung wirklich verspricht, sollte man innovieren, in der Tat.

Postscriptum.
Ich sprach hier im Blick auf ‚Innovation’ von der Wissenschaft, der Politik und von dem, was der Philosoph Edmund Husserl mit einem schönen Ausdruck „Lebenswelt“ nannte (und in diese greift das Politische ja durchaus ein). Ich habe hier nicht vom Ästhetischen gesprochen. Da bin ich nämlich unsicher. Da könnte es sein (die Sache wäre zu prüfen), dass Innovation für sich selbst schon etwas Positives ist. „Kinder, schafft Neues!“, sagte einst Richard Wagner, und da meinte er ganz ohne Zweifel die Kunst.

Hans-Martin Gauger, November 2010