Ingo Schulze
Arbeitgeber/Arbeitnehmer
„Wenn es keine Arbeitgeber gibt, gibt es auch nichts zu arbeiten. So einfach ist das“, sagte A.
„Das ist nicht dein Ernst?“, erwiderte B.
„Doch, wieso denn nicht?“
„Haben wir nicht schon in der Schule gelernt, dass das nicht stimmt?“, fragte B.
Das Gesicht von A., der ebenfalls aus dem Osten stammte, erstrahlte. „Na, und wohin hat das, was wir in der Schule gelernt haben, geführt?“, fragte er und gab gleich selbst die Antwort. „In den Abgrund!“
„Wie kannst du nur das Wort für die Sache nehmen?“, sagte B. und schüttelte den Kopf. „Das ist doch eine grundsätzliche Verwechslung!“
„Ohne Arbeitgeber keine Arbeit. Je besser es den Arbeitgebern geht, umso mehr Arbeit gibt es“, beharrte A.
B. griff sich an den Kopf. „Überall kannst du lesen, was das für ein Humbug ist. Was du fälschlicherweise „Arbeitnehmer“ nennst, ist in Wirklichkeit jemand, der seine Arbeitskraft verkaufen muss, um leben zu können, weil er selbst keine Produktionsmittel besitzt. Das hat mit gesellschaftlicher Arbeitsteilung zu tun. Dein „Arbeitnehmer“ gibt seine Arbeitskraft demjenigen, der die Produktionsmittel besitzt, also jemandem, den man zu Recht Arbeitnehmer nennen sollte. Du kannst ihn aber auch Unternehmer, Ausbeuter oder Eigentümer nennen, nur bitte nicht Arbeitgeber!“
A. lächelte.
„Bis 1999“, fuhr B. fort, „nannte man sie offiziell noch ‚abhängig Beschäftigte’. Die Volkswirtschaftler sprechen vom ‚Anbieter des Produktionsfaktors Arbeit’, und vom ‚Nachfrager nach dem Produktionsfaktor Arbeit’.“
A. lächelte immer noch. „Also zunächst einmal bin ich derjenige, den alle verstehen, wenn ich von Arbeitnehmer spreche“, sagte er, „und du bist es, der mit seinem Neusprech Verwirrung stiftet. Denn die Bedeutung eines Wortes – und das wirst du wohl nicht bestreiten wollen - bestimmt sich doch daher, wie wir es im Alltag verwenden. Nicht mal jene Parteien, die vorgeben, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, verwenden es in deinem Sinn. Selbst die haben kapiert, dass Arbeitgeber Arbeitgeber sind und Arbeitnehmer Arbeitnehmer.“
B. verdrehte die Augen. „Ich habe dir doch gerade erklärt, warum das nicht stimmt. Und statt zu argumentieren, kommst du mir damit, dass die meisten diese Worte falsch gebrauchen! Sie so zu verwenden ist tatsächlich ein Skandal oder lächerlich oder Absicht oder ganz einfach eine Dummheit. Ein Wort hat doch eine enge Beziehung zu dem, was es ausdrückt, eine – wie nennt man das – eine aufschließende Qualität. Und wenn die einen als Geber und die anderen als Nehmer bezeichnet werden, stellt das die Beziehung einfach auf den Kopf. Ich weiß nicht, wie man das anders sehen soll!?“
„Willst du behaupten, ich sei ein Demagoge?“, fragte A.
„Alle, die es in diesem Sinne verwenden sind darauf reingefallen oder machen es sich bewusst zunutze. Du siehst ja an dir, wohin das führt.“
„Dann erkläre mir doch bitte mal, warum man dann die Arbeitgeber immer und überall anbettelt, mehr zu investieren, sich hier oder da niederzulassen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen? Sonst müsste man doch sagen, liebe Arbeiter, arbeitet alle mehr, dann wird alles besser.“
„Mein Gott!“, rief B. „Das Geld, die Maschinen etc., das ist doch nicht vom Himmel gefallen, das ist doch auch mal erarbeitet worden. Aber ohne diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, die ihre Arbeit geben, entsteht nichts. Auch die Ingenieure, auch die Erfinder sind doch welche, die ihre Arbeit geben. Oder sie gründen eine eigene Firma, aber dann brauchen sie andere, die ihnen helfen, die ihnen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Hörst du nicht den Unterton in Arbeitgeber, der Herr, der ohne Not etwas gibt, obwohl er es nicht nötig hat, und der Arbeiter, der dir Arbeit dankbar entgegennimmt?“
„Das ist ja nicht meine Erfindung. Die Begriffe stehen schon im Grimmschen Wörterbuch.“
„Da ist der Arbeitgeber aber einer“, sagte B., „’der für sich arbeiten lässt, die Arbeit bestellt und zahlt’, und der Arbeitnehmer einer, ‚der die aufgetragene Arbeit annimmt’.“
„Aber dort steht nicht, dass die Begriffe irreführend sind, wie du es behauptest.“
„Nein, leider nicht“, sagte B. „Aber nimm das Englische oder Französische, da gibt es den ‚employee’ beziehungsweise den „employée“. Das darf man doch nicht mit ‚Arbeitnehmer’ übersetzen!“
„Mal angenommen“, sagte A., „ich würde mich darauf einlassen. Warum verwenden es trotzdem alle in meinem Sinn? Weil sich in der Sprache das Richtige durchsetzt, der Abschied vom Klassenkampf!“
„Wer sich der offiziellen Terminologie ergibt – und das solltest du wissen – steht von vorn herein auf verlorenem Boden.“
A. schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er schließlich. „So einfach ist das nicht.“
„Doch, so einfach ist das“, sagte B.
„Ist es nicht“, erwiderte A.
„Ist es doch!“, beharrte B.
Und weil A. das erste Wort hatte, soll B. nun das letzte haben.
Ingo Schulze, Juni 2010