Georg-Büchner-Preis

The Georg Büchner Prize was first established during the Weimar Republic by the State of Hesse. Its purpose was to recognise writers, artists, actors and singers. It was first awarded in 1923 in the state capital, Darmstadt.
Since 1951 the new Büchner Prize has been awarded annually by the German Academy for Language and Literature. According to the charter of the Academy, it is given to authors »writing in the German language whose work is considered especially meritorious and who have made a significant contribution to contemporary German culture.«
The prize is awarded at a ceremony held during the autumn conference of the German Academy in Darmstadt.
The prize currently comes with an award of €50,000.

Erich Kästner

Writer
Born 23/2/1899
Deceased 29/7/1974
Member since 1949
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... dessen anmutige und menschlich-gütige Erzählungskunst die Jugend vieler Völker entzückt.

Jury members
Ehrenpräsidenten: Rudolf Pechel und Rudolf Alexander Schröder
Präsident: Hermann Kasack
Vizepräsidenten: Kasimir Edschmid, Fritz Usinger und Gerhard Storz
Beirat: Friedrich Bischoff, Adolf Grimme, Rudolf Hagelstange, Wilhelm Lehmann, Fritz Martini und Gerhart Pohl.

Laudatory Address by Kasimir Edschmid
Writer and Journalist, born 1890

Lieber Kästner, es ist nichts schwerer, als mit akademischem Ernst über einen Mann zu reden, der durch seinen Charme ebenso wie durch seine delikat dosierten Satiren viele Menschen heiter gestimmt hat. Diese Heiterkeit in Ihrem Werk wird oft mißverstanden. Sie ist mehr als Humor. Sie benutzen das Humorige nur so, wie die Chemie sich gelegentlich bestimmter Hülfsstoffe bedient, um ein hochmolekulares Ergebnis zu erreichen. Humor ist das Souterrain des Gebäudes, in dessen Höhe sich die Dachgärten der Heiterkeit erst entfalten. Heiterkeit ist der Weisheit benachbart, nicht der Komik.
Die Lacher kommen bei Ihnen nicht zu billigem Genuß, denn Sie zeigen ja stets, ob Sie scharf angreifen oder ob sie wohlwollend wie eine Katze schnurren, daß der Mensch aus zwei Teilen besteht, im Schlechten und im Guten... und indem Sie das stets klar auseinander halten, ja, indem dies Ihr wesentliches Thema ist, werden Sie der Moralist, der Sie sind. Ohne erhobenen Finger, ohne Pathos, ohne Traktat, ohne sentimentale Genüßlichkeit – nur, indem Sie wahr und wirklich sind, das genügt. Lediglich eine zarte Melancholie offenbart hin und wieder, wie betrübt Sie über das Los der Menschen sind, über ihre Dummheit und ihre Unfähigkeit, am Leben, an der Geschichte und am Schicksal zu lernen.
Aber da ich im Namen der Akademie spreche, möchte ich hier, ehe ich mit meiner Laudatio fortfahre, eine prinzipielle Erklärung abgeben, die im Grunde weder mit Ihrem Werk noch mit Ihnen etwas zu tun hat. Vor einigen Jahren stand ich hier und sprach zu Ehren von Kreuder, der den Büchner-Preis erhielt, im nächsten Jahr erhielt ihn Kessel, darauf stand ich wieder hier und sprach zu Ehren von Marie-Luise Kaschnitz. Im Jahre darauf erhielt den Preis Krolow. Nun kommen Sie daher, lieber Kästner, und es wird Ihnen wie allen Anwesenden nicht verborgen geblieben sein, daß die Namen aller Preisträger mit einem K anfangen. Hinzu kommt noch, daß der Präsident der Akademie Kasack heißt. Man könnte nun dahin spekulieren, die Akademie sei von ihrem Präsidenten auf den Buchstaben K festgelegt, und es handele sich nicht um eine deutsche, sondern um eine K-Akademie. Dies ist, ich versichere es, bestimmt nicht wahr.
Man könnte aber auch meinen, die Akademie sei in ein kontinuierliches Preis-Stottern geraten und könne, etwa so wie manche Gäule, bestimmte Hürden nicht nehmen, die Barriere K nicht überrennen, und es liege ein magischer Tabu auf diesem Konsonanten. Vielleicht ist das tatsächlich so, wie sollte ich es sonst begreifen, da ich nicht an Zufälle glaube? Hoffen wir also, im Interesse des Gesamt-Alphabets, daß die Ration an Schriftstellern mit Anfangsbuchstaben K nun bald erschöpft ist, obwohl ich weiß, daß dem gar nicht so ist.
Lieber Kästner, man hat Sie nicht nur einen Moralisten genannt und Sie mit dem Darmstädter Landsmann Lichtenberg verglichen, Sie haben sich selbst nicht gescheut, sich zum Moralisieren zu bekennen. Als der Krieg vorüber war und auch die Diktatur, bei deren Beginn Ihre Bücher verbrannt worden waren – sogar sozusagen unter Ihrer eigenen Patronanz (denn Sie brachten es fertig, wohl als einziger deutscher Schriftsteller, in persona zuzuschauen, als Herr Goebbels diese literarische Feuerbestattung dirigierte) –, als schließlich die zwölf Jahre zu Ende waren, während der Sie Schreibverbot in Deutschland hatten... und als Sie sich selbst, versehentlich noch am Leben, im Zillertal, wiederfanden und dann nach München übersiedelten – da gaben Sie unter dem Titel »Bei Durchsicht meiner Bücher«, eine Auswahl Ihrer Werke heraus.
Und Sie schrieben, sozusagen den Kopf in die Hände gestützt, nachdenklich das Dritte Reich von rückwärts überschauend, ein Vorwort, in dem Sie sagten, diese Verse sollten zeigen, wie es vor 1933 ausgesehen habe.
Denn von Ihrem ersten Buch bis zu dem Tage, an dem unsere Werke verbrannt wurden, hatten Sie ja überhaupt nur sechs Jahre Zeit gehabt, Bücher zu veröffentlichen – und dann mußten zwölf Jahre lang die Buchläden in Deutschland ohne Titel mit Ihrem Namen auskommen. Und Sie hatten begreiflicherweise Lust, diesen Zustand zu ändern.
Es wurde nunmehr klarer als vor der Nazizeit und vor dem Krieg, daß Sie als junger Mann durch Ironie, Kritik, Anklage, Hohn und Gelächter Ihre Zeitgenossen zu warnen versucht hatten. Sie waren gescheit genug, zu wissen, daß derartige Versuche praktisch keinen Sinn haben. Aber es war für Sie ebenso selbstverständlich, daß die Sinnlosigkeit solcher Versuche den Satiriker in Ihnen nicht zum Schweigen bringen dürfte. Satiriker, meinten Sie, könnten einfach deshalb nicht still sein, weil in einem versteckten Winkel ihres Herzens trotz allem Unfug der Welt die törichte Hoffnung keime, daß die Menschen vielleicht doch ein wenig zu verbessern seien.
Nun, das sind recht idealistische Worte und einem Nur-Satiriker, einem Karikaturisten pur sang, einem Spötter um jeden Preis kaum angemessen. Denn derjenige, der nur angreift und verhöhnt, um die bittere Wollust des Zerschlagens und Zerfetzens zu genießen, alle jene Angehörigen des Ordens des literarischen Sadismus haben unter keinen Umständen von vorneherein eine moralistische Legitimation.
Man muß das scharf und präzis unterscheiden. Ein Buch gegen Bonn ist noch keineswegs die Tat eines Moralisten, genau so wenig wie ein Buch gegen Moskau dies ist. Was den Satiriker von dem Moralisten, oft nur in Untertönen hörbar, unterscheidet, ist die Gesinnung. Der Moralist bedient sich selbstverständlich der Mittel und der Tonlage des Satirikers, aber er steht eine Rangstufe höher. Er inthronisiert, auch wenn er bis zur Schändung wild und peinlich wird, immer die Humanitas. Nicht umsonst hieß Ihr erstes Buch Herz auf Taille. Mit diesem Gedicht-Band wurde der deutschen Literatur tatsächlich ein neuer Moralist geboren.
Freilich, dieser Moralist war ein respektloser Bursche und schlug auf alles ein, was ihm mißfiel, und dessen gab es eine Menge. Und nicht die Herren der Reichsschrifttumskammer, sondern auch vernünftige Leute meinten, Herr Kästner sei eigentlich ein Raubtier, ein elegantes freilich, aber es komme ihm dennoch lediglich aufs Reißen an und nicht auf ethische Demonstrationen. Ja, ein Schüler des großen Lavater versuchte sogar, mit den Mitteln der physiognomischen Methode an der Stellung von Kästners Eckzähnen nachzuweisen, daß dieser Autor zu den Wölfen und nicht zu den Propheten gehörte.
Nun, die Zeit hat sich beeilt, lieber Kästner, Sie zu den Propheten emporzuheben. Schon 1933 und dann, nachdem der Doktor Goebbels mit öligem Pathos die Wehrpflicht verkündet hatte, saßen die jungen Leute, also die Achtzehnjährigen, da und lasen auf ihren Studentenzimmern und in den Kasernen heimlich Ihre Verse. Sie lasen sie, nicht, weil sie das verhöhnten, was nun die Nazis wieder auf die Postamente der Kriegerdenkmäler und der Sittlichkeitsparagraphen hoben, sondern weil die jungen Leute in Ihnen den kompromißlosen Kopf, den Kämpfer gegen Zwang und Ungeist sahen. Weil Sie, lieber Kästner, den Jünglingen, die bei der Lektüre Ihrer Bücher stündlich befürchten mußten, denunziert zu werden, tatsächlich ein Trostbringer und intellektueller Hilfsprediger waren... so peinlich Ihnen eine solche sentimentalische Feststellung auch sein mag. Es war nun einmal so.
Sie waren, nicht nur in Ihren Großstadt-Versen, der Künder des menschlichen Mitleids und des Erbarmens mit den Elenden, Entrechteten, Gedrückten und ihrer geistigen Freiheit totalitär Beraubten, Sie waren der echte Held in einer Epoche der unechten Helden – auch wenn Sie, da es die Natur so wollte, tatsächlich die Eckzähne des Raubtiers besaßen, von denen Gottfried Benn, damals heftig irrend, auf der anderen Seite der Barrikade, so enthusiastisch sprach. Bei Ihnen, dem Spötter, dem Asphalt-Literaten, der Intellekt-Bestie, fanden die jungen Leute, sei Gefühl, Empfinden und mehr Vaterlandsliebe als bei den Kerlen, die sich in plattem Patriotismus die dicken Hälse heiser schrien.
Selten in der deutschen Literatur ist so nebenbei, so gar nicht theatralisch, so ganz zwischen den Zeilen soviel sozialer Mut proklamiert worden.
Während der Zeit, in der Sie schweigen mußten, sind Ihre Bücher als Krypto-Literatur in die Katakomben gegangen und haben dort weiter gewirkt. Jede Zeile hob einen SA-Sturm auf. Jetzt aber ist Ihr Werk mit vielen neuen Büchern wieder sichtbare Wirklichkeit. Im Ausland sind Sie mit Ihren alten und Ihren neuen Werken einer der sicheren Garanten für die Freiheit im Raume des deutschen geistigen Lebens.
Lieber Kästner, wir haben, um einmal einen Augenblick nicht von der Literatur, sondern von uns beiden zu reden, wir haben sieben Jahre lang zusammen am deutschen PEN-Zentrum gearbeitet, und wir haben uns bei diesem Bemühen im Jahre 1949 in Venedig kennengelernt, als der PEN-Club Deutschland und damit die Gesamtheit der deutschen Literatur noch einem Ozean von Mißtrauen gegenüberstand. Wir haben nach dem Kongreß in Venedig das Unsere getan, ich denke mit Erfolg, das Mißtrauen der internationalen literarischen Welt abzubauen. Ich habe Sie in dieser Zeit kennengelernt mit Ihrem Ernst und Ihrem Verantwortungsgefühl, mit Ihrem unwiderstehlichen Charme und Ihren gewissen Unleidlichkeiten (zum Beispiel, daß Sie zur Verzweiflung der Sie einladenden Hausfrau nie richtig zu Mittag essen), und ich weiß jetzt so ungefähr, wie Sie sind. Zu einem großen Teil nämlich ein Kind. Und das hat wahrscheinlich Ihren großen globalen Erfolg mitbestimmt, ohne daß Sie es wußten.
Es ist ja eine groteske Zusammenstellung, und eigentlich ist sie unmöglich, aber sie ist bei Ihnen tatsächlich gelungen: einer der schärfsten zeitkritischen Dichter ist in seinem Wesen gekoppelt mit der naiven Natur eines ganz jungen Menschen. Und deshalb wohl allein konnten Sie die Jugendbücher schreiben, über welche die australischen Farmerkinder ebenso lächelnd gebeugt sind wie die japanischen. An Ihren Büchern lernen die Kinder in den Schulen Schwedens und Amerikas die deutsche Sprache. Schon dadurch haben Sie mehr als hundert heutige patriotische Uhlande für Ihr Vaterland getan.
Daß Sie dabei kein Bayrischer Hirtenknabe und kein Tiroler Jodler sind, wem soll man das noch erklären? Wenn man Sie im literarischen Raum suchen wollte, so fände man Sie wahrscheinlich in der Nähe von Heinrich Heine, einer Vogelart zugehörig, die selten über die Landstriche Deutschlands zieht und deren heiterer Gesang nicht vergessen läßt, daß hinter ihm ein Vorhang von Tränen steht.
Aber es ist auch nicht zu übersehen, daß Sie mit Ihrem Werk nicht allzuweit von Georg Büchner sich angesiedelt haben, mit dessen Namen Ihr Ehrenpreis verbunden ist. Büchner hat in Leonce und Lena auf entzückende Weise das Paradiso der persönlichen Freiheit geschildert. Sie haben in Ihrem Theaterstück Die Schule der Diktatoren, indem Sie die These umkehrten, zum Lobe derselben Freiheit, die unmenschliche Mechanik des totalitären Staates gezeigt und enthüllt.
Jedoch wir wollen die Parallelen nicht zu Tode hetzen, sie sind im Grunde nicht allzu gewichtig, um ein soziologisches und dichterisches Phänomen und einen so reizenden Mann wie Sie zu charakterisieren. Zwölf Jahre waren Sie der Unmoralist, der nationale Zersetzer, die Berliner Wühlmaus, die Großstadthyäne, der Sexual-Panegyriker und so fort – wir freuen uns, Ihnen heute sagen zu können, daß Sie ein mutiger Drachen-Bekämpfer, ein Partisan im Gebiet der Dunkelmänner und immer unter den Vorposten derer sind, welche für die Freiheit eintreten, heute, morgen und einerlei, wo.