Forum Sprachkritik

Über das Forum Sprachkritik

Das Forum Sprachkritik versammelt und diskutiert Texte von Mitgliedern der Akademie, die sich mit Entwicklungen, Phänomenen und Auffälligkeiten der Gegenwartssprache befassen. Gegenstand dieser Sprachkritik ist der Sprachgebrauch auf allen Ebenen und in allen Bereichen.

Das Forum öffnet sich für alle Gattungen der Sprachkritik: Kleine Formen, Randnotizen, Skizzen, Essays und sprachkritische Untersuchungen. Es lädt ein zu Beiträgen, die gleichermaßen unterhaltend und aufklärend, kurzweilig und nachdenklich sein können.

Das Forum wird getragen von der Auffassung, dass Sprachkritik keine Normen setzt und nicht den Anspruch erhebt, über »richtig« und »falsch« im Sprachgebrauch entscheiden zu können und zu wollen. Vielmehr will es Beispiel und Anregung zur Sprachreflexion sein und durchaus die Implikationen aufzeigen, die ein bestimmter Sprachgebrauch mit sich bringen kann. Die einzelnen Beiträge werden namentlich gekennzeichnet und geben stets die Position der Autorin oder des Autors wieder, nicht aber die der Akademie.

Das Forum Sprachkritik knüpft an das zwischen 2010 und 2016 bereits bestehende gleichnamige Format an.

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Wulf Oesterreicher
ach so, zum Bahnhof

„Bitte, wo geht es hier zum Bahnhof?“

Es scheint eine niedersächsische Spezialität zu sein, bei Fragen zuerst einmal das Erfragte zu wiederholen und freundlich mit ach so, ja, also usw. zu ergänzen oder einzurahmen. Der Prototyp wäre entsprechend: „Bitte, wo geht es hier zum Bahnhof?“ − „Ach so, zum Bahnhof, also, ja zum Bahnhof, hm da müssen Sie...“

Ein denkwürdiges Beispiel für diese diskurspragmatisch sehr eigene Formulierungskunst ist mir einmal in Göttingen begegnet: Beim Gang durch die Stadt bogen wir um eine Ecke und sahen in der Straße Ambulanzen und Sanitäter und viel Militärpolizei; offenbar gab es auch Verletzte, die noch auf dem Boden lagen und hinter Absperrungen behandelt wurden; auch Schaulustige hielten sich im Bereich der polizeilichen Blaulichter und der roten Lichter der Krankenwagen auf.

An der Ecke standen nun drei junge Männer mit Bierflaschen in den Händen, die sich unterhielten und die Szene betrachteten. Auf meine interessierte Frage „Was ist denn hier los?“ schaute mich einer der Jugendlichen verständnislos an und sagte dann in aller Seelenruhe: „Ach so, ja, was hier los ist, ja also − da gab es vorhin eine Schlägerei, eine Schlägerei zwischen englischen und deutschen Soldaten.“

Diese Episode ist nicht einfach als Einzelfall abzutun. Wenn wir uns in Hannover oder Göttingen oder sonst irgendwo in Niedersachsen aufhielten, haben wir uns als Freiburger und Münchner Süddeutsche systematisch einen Spaß daraus gemacht, diese kommunikationspragmatische Spezialität zu provozieren und die Probe aufs Exempel zu machen. Auch wenn wir gar nicht zum Bahnhof wollten oder genau wussten, wo dieser sich befand, fragten wir nach dem Bahnhof, und bekamen dann, hocherfreut, die erwartete Antwort: „So, ja, also zum Bahnhof, Sie wollen zum Bahnhof...“. Besonders ergiebig waren diese Antworten auf unsere Fragen beim Besuch der Expo in Hannover, aber auch in unserem kleinen Urlaubsort Alvern, wo man allerdings nicht nach dem Bahnhof fragen konnte, gab es schöne Belege für den Typ dieser freundlichen Antworten.

Diese Geschichte darf man übrigens auf gar keinen Fall in die Nähe des bekannten Witzes rücken, in dem der Jargon der Sozialpädagogen ironisiert wird. Ein Sozialarbeiter wird gefragt: „Wo geht es denn hier zum Bahnhof?“ Er antwortet: „Das weiß ich nicht, ich find’s aber gut, dass du das mal ansprichst“.

Wulf Oesterreicher, März 2013

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