Forum Sprachkritik

Über das Forum Sprachkritik

Das Forum Sprachkritik versammelt und diskutiert Texte von Mitgliedern der Akademie, die sich mit Entwicklungen, Phänomenen und Auffälligkeiten der Gegenwartssprache befassen. Gegenstand dieser Sprachkritik ist der Sprachgebrauch auf allen Ebenen und in allen Bereichen.

Das Forum öffnet sich für alle Gattungen der Sprachkritik: Kleine Formen, Randnotizen, Skizzen, Essays und sprachkritische Untersuchungen. Es lädt ein zu Beiträgen, die gleichermaßen unterhaltend und aufklärend, kurzweilig und nachdenklich sein können.

Das Forum wird getragen von der Auffassung, dass Sprachkritik keine Normen setzt und nicht den Anspruch erhebt, über »richtig« und »falsch« im Sprachgebrauch entscheiden zu können und zu wollen. Vielmehr will es Beispiel und Anregung zur Sprachreflexion sein und durchaus die Implikationen aufzeigen, die ein bestimmter Sprachgebrauch mit sich bringen kann. Die einzelnen Beiträge werden namentlich gekennzeichnet und geben stets die Position der Autorin oder des Autors wieder, nicht aber die der Akademie.

Das Forum Sprachkritik knüpft an das zwischen 2010 und 2016 bereits bestehende gleichnamige Format an.

Kommentare

Das Forum Sprachkritik freut sich über Kommentare von Akademie-Mitgliedern und interessierten Leserinnen und Lesern zu den Beiträgen. Das können Rückfragen sein, aber auch Widerspruch, Variation und Ergänzung. Kommentare sollten eher knapp gehalten und sachlich auf das Thema des Beitrags bezogen sein. Unsachliche, beleidigende und auch strafrechtlich bedenkliche Kommentare können nicht veröffentlicht werden. Kommentare werden mit Ihrem Verfassernamen veröffentlicht.

Bitte schicken Sie Ihren Kommentar mit Angabe des Bezugstextes und Ihrer Kontaktadresse an die folgende E-Mail-Adresse der Akademie:

Hans-Martin Gauger
Hingerichtet

Seit Ende August halte ich mich in Madrid auf. Hier finde ich in den Medien denselben Sprachgebrauch, über den ich mich schon seit längerem bei uns geärgert habe und der, durch schockierende Geschehnisse bedingt, in der letzten Zeit, sehr zugenommen hat. „Diese Männer wurden regelrecht“ (oder „förmlich“) „hingerichtet“, las oder hörte man früher schon immer wieder. Jetzt aber auf Schritt und Tritt. Oder hat sich da inzwischen in Deutschland schon Widerspruch geregt? Jedenfalls lese ich eben (3.10.14) in Spiegel Online-Nachrichten: „Die Terrorgruppe ‚Islamischer Staat’ hat eine weitere Geisel hingerichtet“ – die Ermordung des Briten Alan Henning.

Man meint mit „hingerichtet“ eine Tötung gleichsam in aller Ruhe, wenn durch Fesselung jede Gegenwehr der Getöteten, jede Möglichkeit der Verhinderung (durch die Getöteten selbst oder durch andere) ausgeschlossen war. Dies ist nun zwar bei einer Hinrichtung wirklich so, trotzdem, meine ich entschieden, ist nicht jede Tötung, die so stattfindet, eine Hinrichtung. Zu dieser gehört nämlich unbedingt ein zumindest rudimentäres rechtsförmiges Verfahren.

Ich bin sehr zurückhaltend mit etymologischen Deutungen, wenn es um gegenwärtigen Sprachgebrauch geht. Denn das eine ist die Etymologie als eine Disziplin der historischen Sprachwissenschaft, die sich mit der Herkunft eines Worts und der Entwicklung seiner Lautform und, weit interessanter, seiner Bedeutung befasst, das andere, das ganz andere, ist eben der gegenwärtige Gebrauch. Hier aber will ich ausnahmsweise doch darauf hinweisen, dass in Hinrichtung und hinrichten etymologisch die Wörter richten und Recht enthalten sind. Es ist so, auch wenn dies jetzt vielen, wohl den meisten, gar nicht bewusst ist. Es kommt ja ganz unvermeidlich in allen Sprachen häufig vor, dass sich Wörter in ihrer Lautform wie auch in ihrer Bedeutung weit von ihrem Herkunftswort, dem Etymon, wie die Sprachwissenschaft sagt, entfernen. Wenn in Hinrichtung das Wort Recht noch lebendig, also bewusst wäre, wäre der von mir beanstandete Sprachgebrauch gar nicht möglich. Die historisch ursprüngliche Bedeutung eines Worts ist also, vom gegenwärtigen Gebrauch her gesehen, keineswegs notwendig seine eigentliche oder gar seine wahre Bedeutung. Genau so wird aber häufig und oft gerade von sprachlich interessierten und Gebildeten argumentiert. Etwa: ‚radikal denken’ heiße eigentlich ‚die Dinge von ihrer Wurzel her’ angehen. Es ist der pure Unsinn, oder englisch differenziert gesagt: bullshit.

Trotzdem: gerade in Hinrichtung hätte ich die ursprüngliche Bedeutung gern gerettet. Aber ganz abgesehen von der Etymologie: das Wort setzt auch rein von seiner gegenwärtigen Bedeutung her ein rechtliches Verfahren voraus. Es meint eine spezifische Tötung. Bekanntlich bezieht sich ja auch das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ gerade nicht auf sie. Weshalb es jetzt oft und richtiger mit „Du sollst nicht morden“ wiedergegeben wird.

Im Spanischen heißt es (und ich lese und höre das jetzt hier in Madrid immer wieder auch in dieser sehr falschen Verwendung) ejecución und ejecutar – entsprechend unseren Wörtern Exekution und exekutieren (und analog natürlich englisch und französisch und anderswo). Und die Verdeutschungen vollstrecken und Vollstreckung (als ein sehr spezifisches Ausführen) gehören natürlich ebenfalls hierher. Hier steckt nun überall – ebenfalls schon rein sprachlich – der in diesem Fall ganz bewusste Gedanke dahinter, dass da etwas rechtlich Beschlossenes, also eben ein Urteil, ausgeführt, exekutiert oder vollstreckt wird. Und dasselbe steckt ja auch in unseren nun längst historischen Wörtern Nachrichter oder auch – drastischer – Scharfrichter.

Jener Sprachgebrauch – „Diese Männer wurden regelrecht hingerichtet“ – übersieht also in sehr ärgerlicher, weil gedankenloser Weise etwas Entscheidendes oder eigentlich das Entscheidende. Er macht verfälschend aus puren Morden oder Tötungen (ich lasse jetzt mal das mit dem Unterschied zwischen ‚Totschlag’ oder ‚Mord’ auf sich beruhen) etwas weniger Schlimmes, etwas geradezu Rechtsförmiges. Nein, da wurden Männer, mehr oder weniger grausam, getötet, ermordet, umgelegt, gekillt.

Im Übrigen sind Hinrichtung und hinrichten ohnehin widerliche Wörter. Und das liegt nun nicht daran, dass man in ihnen das Wort Recht, das etymologisch in ihnen steckt, nicht mehr heraushört. Es liegt auch und vor allem an der Sache. But that's another story oder, knapper und juristischer gesagt: es ist ein „aliud“.

P.S.: Einer meiner Tübinger Lehrer, der (bedeutende) romanistische Sprachwissenschaftler Ernst Gamillscheg, der aus Österreich oder eigentlich aus Böhmen stammte (aber Böhmen gehörte, als er geboren wurde, da eindeutig dazu), machte sich gelegentlich, obwohl er ohne Humor war, weshalb seine wenigen Scherze noch stärker wirkten, über schwäbische Spracheigentümlichkeiten lustig. Einmal sagte er, er habe die Bücher und Aufsätze, die zu dem Thema gehörten, an dem er in der Vorlesung gerade war, in einem bestimmten Regal der Seminarbibliothek für diejenigen, die sich speziell dafür interessierten, „ziemlich vollständig hergerichtet“ und setzte hinzu „oder, wie man hier sagt, hingerichtet“.

Hans-Martin Gauger, Oktober 2014

Möchten Sie den Beitrag kommentieren? Schicken Sie uns Ihre Meinung, wir veröffentlichen sie nach redaktioneller Prüfung.