The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.
Germanist and Translator
Als Übersetzer, als Germanist, als Mitgründer und Leiter des Paul Celan Literaturzentrums in Czernowitz hat Petro Rychlo maßgeblich dazu beigetragen, dass die deutschsprachige Literatur der Bukowina und Galiziens in der ukrainischen Gesellschaft als Teil ihres vielsprachigen kulturellen Erbes präsent ist.
Jury members
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Claire de Oliveira, Marisa Siguan (Vorsitz) und Anja Utler.
Verehrter Herr Präsident Schulze,
sehr geehrte Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung,
liebe Ilma Rakusa!
„Die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme, – sagte Paul Celan 1958 in seiner Bremer Rede, – dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein. Es ist die Landschaft, in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener chassidischen Geschichten zu Hause war, die Martin Buber uns allen auf Deutsch wiedererzählt hat. Es war, wenn ich diese topographische Skizze noch um einiges ergänzen darf […] – es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten.“
Die Landschaft, die Celan hier meint, ist seine Heimat Bukowina, aus deren Hauptstadt Czernowitz er stammt. Diese Heimat teile ich mit ihm. Nur war für Celan Deutsch die Sprache, die ihm sozusagen bereits in die Wiege gelegt wurde, – mir hat sie sich erst langsam und viel später erschlossen.
Soweit ich mich erinnern kann, war das Wort „deutsch“ in der Zeit meiner Kindheit immer negativ konnotiert. Der große Krieg rückte zwar in den 1950er Jahren so allmählich in die Vergangenheit zurück, die von ihm hinterlassenen Wunden wurden einigermaßen geheilt, aber die sowjetische Wirklichkeit blieb in zwei Welten schwarzweiß gespalten – es gab bei unseren Kinderspielen nur die „Unsrigen“ („наші“) und die „Deutschen“ („німці“). Diese Spaltung konnte man in den Schullehrbüchern, in den sowjetischen Kriegserzählungen, in den Nachkriegsfilmen spüren. Unsere Kinderspiele waren somit militärisch gefärbt und als Kämpfe zwischen den „Unsrigen“ und den „Deutschen“ ausgetragen. Niemand wollte dabei ein „Deutscher“ sein, und jene, die in diese Rolle nach langem Überreden doch gezwungen wurden, waren froh, verloren zu haben.
In bin in einem malerischen Dorf an der Grenze Galiziens und der Bukowina aufgewachsen, an dem ein kleiner Nebenfluss des Pruth vorbeifloss, der durch einige Dämme in fischreiche Teiche aufgeteilt war. In meiner Dorfschule wurde seit der fünften Klasse Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Im Grunde war es aber ein vernachlässigtes und verdächtiges Fach, das eher schlecht als recht unterrichtet wurde, daher konnte keine Rede davon sein, dass die Schüler die Sprache beherrschten. Es entsprach der damaligen Politik des Staates, der sich hinter dem Eisernen Vorhang verschanzt und jede Fremdsprache als eine potenzielle Bedrohung für die eigene Existenz betrachtet hatte, denn sie bedeutete Zugang zu Informationen aus anderen, unkontrollierbaren Quellen oder noch schlimmer – die hypothetische Möglichkeit, von ausländischen Geheimdiensten zu einem Spion rekrutiert zu werden. Den Geschichten von listigen, erfinderischen, tückischen Spionen, die den bösen Imperialisten helfen, unsere sozialistische Heimat zu versklaven, begegneten wir damals auf Schritt und Tritt – meistens in sowjetischen Filmen. Oh, wie haben wir diese Verräter gehasst!
Und doch hat mich Deutsch bereits als Schüler fasziniert – weil es einen anderen Klang, eine andere Struktur hatte, die von dem mir vertrauten Ukrainischen und Russischen abwich. Einmal, als Zwölfjähriger, versuchte ich einen anspruchslosen Gedichttext, den ich in meinem deutschen Lehrbuch gefunden habe, ins Ukrainische zu übersetzen und entdeckte dabei mit Erstaunen, dass all die Wörter, die ich mit Hilfe eines Wörterbuchs aus dem Deutschen ins Ukrainische richtig übertrug, keine Gedichtform bildeten, sondern ein formloses Machwerk, ohne Rhythmus und Versmaß des Originals, geschweige denn den im deutschen Text enthaltenen Reim. Nach mehreren Stunden oder gar Tagen verbaler Bemühungen gelang es mir ein rhythmisiertes Gefüge zu bekommen, das formal wie ein Gedicht klang. Obwohl ich mich dabei ziemlich gequält habe, spürte ich danach auch eine mir bis dahin nicht gekannte Genugtuung, ja sogar einen gewissen Stolz: ich habe es geschafft! Vielleicht gab mir diese literarische Initiation zu verstehen, dass die Übersetzung eines fremdsprachigen Textes eine gewisse Form des Widerstands, aber auch ein Akt der Freiheit bedeutet, denn ich musste dabei auch die existierenden Klischees des Deutschen als Sprache des Feindes überwinden. Und vielleicht spielte diese Entdeckung mit, warum ich mich später zum Studium der Germanistik entschlossen hatte.
In meiner Studienzeit an der Universität Czernowitz fielen mir in die Hände etliche Ausgaben deutscher Klassiker, und so nahm ich mich bald an die Übersetzungen einiger Gedichte von Goethe, Heine oder Mörike. Später habe ich jedoch entdeckt, dass diese Gedichte bereits lange vor mir – und viel besser – ins Ukrainische übersetzt waren. Diese Tatsache kühlte meinen Enthusiasmus für einige Zeit ab. Aber auch ein anderer Umstand speiste meine Unzufriedenheit: es schien mir unsinnig, die bereits auf Ukrainisch bestehenden klassischen Texte neu zu übersetzen, ich wollte etwas noch Unbekanntes entdecken. In der Buchhandlung «Дружба» gab es damals eine wunderbar sortierte Auswahl der Buchproduktion von DDR-Verlagen. So begann ich Texte von Johannes R. Becher, Georg Maurer, Stephan Hermlin, Günter Kunert, Sarah Kirsch, Volker Braun, Uwe Kolbe u. a. zu übersetzen, die ich hauptsächlich in der Kiewer Zeitschrift für fremdsprachige Literatur „Vsesvit“ („Die ganze Welt“) oder in Anthologien der DDR-Autoren veröffentlichte.
Die große politische Wende, der Zerfall der Sowjetunion und das Verschwinden der DDR brachten aber bald eine neue Umorientierung mit sich. In den Privatbibliotheken einiger deutschsprachigen Czernowitzer Juden, die wie durch ein Wunder den Holocaust überlebten und mit denen ich mich inzwischen befreundete, fand ich Zeugnisse des intensiven deutschsprachigen Literaturbetriebs in Czernowitz der Zwischenkriegszeit – so z. B. die ersten Gedichtbände von Alfred Margul-Sperber, Moses Rosenkranz, Rose Ausländer, Alfred Kittner, David Goldfeld u. a., die in 1930er Jahren in kleinen Czernowitzer Verlagen oder im Selbstverlag der Autoren erschienen waren. Von diesen Dichtern habe ich früher keine Ahnung gehabt, während meiner Studienzeit hat keiner der Germanistikprofessoren sie je erwähnt. Das war also ein absolutes literarisches Neuland, und so verführte mich meine Entdeckungslust zu den Übersetzungen dieser Autoren. Damals wusste ich noch nicht, dass ich damit einen neuen poetischen Kontinent entdecke, der mich in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen und zu einem der wichtigsten Segmente meiner übersetzerischen und literaturwissenschaftlichen Tätigkeit sein wird. Da diese Dichter in der Ukraine völlig unbekannt waren, verwandelte sich meine Beschäftigung mit ihnen in eine Art literarischer Archäologie – ich habe aus dieser versunkenen Literaturlandschaft immer neue Namen ausgegraben und dann sie in ukrainischen Zeitungen und Zeitschriften präsentiert.
Als ich 1991 ein 3-monatiges Forschungsstipendium an die Universität Klagenfurt erhielt und in der dortigen Unibibliothek meterweite Regale mit Primär- und Sekundärliteratur zu Celan erblickte, war ich vor Aufregung fast in Ohnmacht gefallen – in der Unibibliothek von Czernowitz gab es damals kein einziges Buch von ihm. In einem Band von Rose Ausländer entdeckte ich dann einen Essay, in dem sie sich an die geistige Atmosphäre der in der Zwischenkriegszeit noch außerordentlich regen Stadt erinnert, die in wenigen Nachkriegsjahren zu einer tiefen sowjetischen Provinz degradiert wurde: „Eine buntschichtige Stadt, in der sich germanische mit dem slawischen, lateinischen und jüdischen Kulturgut durchdrang […] Deutsch war nicht nur die Umgangs- und Kultursprache, es war und blieb die Muttersprache des größten Teils der Bevölkerung […] Man schwärmte für Hölderlin, Rilke, Stefan George, Trakl, Else Lasker-Schüler, Thomas Mann, Hesse, Gottfried Benn, Bertolt Brecht […] Jeder Jünger war von der Mission seines Meisters durchdrungen.“ Das hat mich damals wie ein Blitz getroffen. Aus Klagenfurt brachte ich einen riesigen Koffer voller Bücher und Xerokopien und gab später aufgrund des gesammelten Materials einige Anthologien der deutschsprachigen Dichtung der Bukowina und mehrere Einzelbände vergessener Czernowitzer Autoren heraus.
Ich spürte aber, dass meine übersetzerische, forscherische und editorische Arbeit lediglich literaturgeschichtlich geprägt war, die keinen lebendigen Kontakt mit der deutschen Sprache und Literatur mehr herstellen konnte, denn jene Nabelschnur, die Czernowitz einmal mit der deutschen Kultur eng verband, abgeschnitten war. Das deutsche Wort verstummte hier, seit seine Träger – vor allem deutschsprachige Juden – in der Shoa ausgerottet und die Überlebenden in alle Welt verstreut wurden. Nach vielen Erwägungen und Überlegungen kamen wir – eine kleine Gruppe von Intellektuellen, denen die deutsche Kultur genauso am Herzen lag –, auf den Gedanken, dass eine adäquate Form der erneuten Annäherung der Stadt an die deutsche Sprache und Literatur ihr direkter geistiger Import aus den deutschsprachigen Ländern wäre. So entstand die Idee des alljährlichen Internationalen poetischen Festivals „Meridian Czernowitz“, das in diesem Jahr zum 15. Mal stattfinden wird. Den Schwerpunkt des Festivals bildet in der Regel die deutsche Gegenwartslyrik. In den vergangenen Jahren durften wir als unsere Festivalgäste Dutzende deutsche, österreichische und schweizerische Dichter begrüßen, unter ihnen Elke Erb, Klaus Reichert, Hans Thill, Ralf Dutli, Michael Krüger, Durs Grünbein, Jan Wagner, Joko Tawada, Esther Kinski, Christian Lehnert, Gerhard Falkner, Monika Rink, Marion Poschmann, Gerhard Rühm, Julian Schutting, Franz Josef Czernin, Peter Waterhouse, Karl Lubomirski, Michael Donhauser, Robert Schindel, Maja Haderlap, Anja Utler, Ilma Rakusa, Eugen und Nora Gomringer, die Literaturwissenschaftlerin und Celan-Forscherin Barbara Wiedemann u.v.a., deren Gedichte oder kurze Prosatexte für das Festival übersetzt und neben den Originaltexten vorgetragen wurden, damit das ukrainische Publikum nicht nur zeitgenössische deutsche Autoren entdecken, sondern dabei wieder den Klang der deutschen Sprache vernehmen konnte. In diese Richtung ging auch die Gründung des mit einer kleinen Bibliothek ausgestatteten Celan-Zentrums, das in der Fußgängerzone der Stadt liegt und als Begegnungspunkt und Lokation für kulturelle Veranstaltungen verwendet wird.
Eine andere Vermittlungsform der deutschen Literatur in der Ukraine wurde das gemeinsam mit der Berliner Künstlerin Helga von Loewenich initiierte Kulturprojekt „Bukowinisch-Galizische Literaturstraße“, das sich der Wiederentdeckung und Ehrung deutschjüdischer und hebräischer Schriftsteller widmet, die aus den heutigen westukrainischen Regionen stammen. Die Herkunft dieser Dichter hat ihr literarisches Werk sehr stark geprägt, ohne diesen Hintergrund ist es kaum vorstellbar. In der sowjetischen Zeit war Ihre Erwähnung unerwünscht, ihre Werke verschwiegen oder verboten, da sie dem politischen und ästhetischen Dogmatismus sowjetischer Ideologie nicht entsprachen. Mit unserem Projekt wollten wir diese desolate Situation ändern. Dabei ging es uns nicht nur um die Eröffnung der von bekannten ukrainischen Bildhauern hergestellten bronzenen Büsten auf granitenen Sockeln in Geburtsorten der Autoren, sondern auch um die Übersetzung ihrer Werke ins Ukrainische, ihre Popularisierung durch Präsentationen, Lesungen, Theateraufführungen. Mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland gelang es uns, im Laufe von acht Jahren 11 Denkmäler zu enthüllen – für Samuel Josef Agnon in Buczacz, Karl Emil Franzos in Czortkiw, Hermann Kesten in Podwoloczysk, Soma Morgenstern in Budaniw, Joseph Roth in Brody, Alexander Granach in Werbiwci, Salcia Landmann in Schowkwa, Aharon Appelfeld in Stara Jadova, Rose Ausländer, Gregor von Rezzori und Selma Meerbaum-Eisinger in Czernowitz, wobei wir an die bereits seit den 1990er Jahren existierenden Denkmäler für Paul Celan in Czernowitz und Manès Sperber in Zablotow anknüpften. Unsere letzten Denkmäler wurden unter extremen Bedingungen der Corona-Epidemie und der russischen Invasion in die Ukraine aufgestellt. Dabei ermutigte uns das wunderbare Wort des deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Ernst Simon, das er für die jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland prägte und das Du, liebe Helga, immer wieder wiederholt hast: „Der Aufbau im Untergang als geistiger Widerstand“. Diese aphoristische Maxime wurde zu unserem Programm. Die Ergebnisse unseres Projekts haben wir in einem Dokumentationsband zusammengefasst, zu dem der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Vorwort geschrieben hat. Nun hoffen wir mit bangen Herzen, dass russische Bomben und Raketen unsere Denkmäler nicht zerstören werden. An dieser Stelle möchte ich Dir, liebe Helga, die Du in Deinen künstlerischen Arbeiten die Dichter dieser Regionen schon vor Jahren entdeckt hast, für die andauernde produktive Zusammenarbeit sowie dafür, dass Du mehrere meiner Bücher künstlerisch gestaltet hast, meinen innigsten Dank aussprechen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Friedrich-Gundolf-Preis, der mir heute von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für die Vermittlung der deutschen Kultur im Ausland verliehen wurde, bedeutet für mich ein einmaliges Ereignis und eine besondere Ehre, für die ich hier aus tiefem Herzen danken möchte. Ich hoffe aber, dass dieser Preis zugleich auch die Solidarität mit der von Russland brutal angegriffenen, heute jeden Tag ununterbrochen bombardierten, aber heldenhaft weiterkämpfenden Ukraine bekundet. Es freut mich sehr, dass in den letzten Jahren immer mehr Bücher ukrainischer Schriftsteller ins Deutsche übersetzt werden und ihre Autoren sich in der deutschen Literaturszene behaupten, dass das Interesse für ukrainische Musik unter deutschen Konzertbesuchern wächst und Lehrstühle für Ukrainistik an den deutschen Universitäten gegründet werden. Über eine Million ukrainischer Flüchtlinge hat Deutschland heute aufgenommen, und ukrainische Kinder haben die Möglichkeit, deutsche Schulen zu besuchen. Vor unseren Augen spannen sich unsichtbare geistige Brücken zwischen unseren Völkern und Ländern, zwischen unseren Kulturen und Sprachen. Und ich kann heute meine Freude kaum verbergen, dass der mir zuerkannte Preis den Namen eines der bedeutendsten Literaturwissenschaftler der Weimarer Republik trägt, der mit seiner komparatistischen Arbeit zu Shakespeare und dem deutschen Geist, mit seinen bahnbrechenden Monographien über Goethe, Kleist oder Stefan George wie kein anderer von seiner Generation zum Ruhm und Glorie der deutschen Sprache beigetragen hatte. Gestatten Sie mir abschließend einen Satz aus seinem George-Buch zu zitieren, der bereites auf der ersten Seite der Georg Bondi-Ausgabe von 1920 geschrieben steht: „Die Sprache ist das innerste Bollwerk des Geistes in einer Welt der Dinge, sie ist die letzte Zuflucht des Gottes im Menschen, wenn es keine durchseelte Kirche, keine öffentliche Magie und kein Geheimnis mehr gibt.“ Diese Worte leuchteten auch mir bei meinen jahrelangen Bemühungen um die Annäherung beider Kulturen, der deutschen und der ukrainischen, denn immer und überall war es letzten Endes ein Dienst an beiden Sprachen, ein Dienst am schöpferischen Wort.