Sigmund-Freud-Preis

The »Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa« (Prize for Academic Prose) was first awarded by the German Academy for Language and Literature in 1964.
It is granted to scholars who publish in German and contribute decisively to the development of language usage in their fields of study through excellent linguistic style.
The Sigmund Freud Prize is sponsored by the HSE Foundation and is awarded annually at the autumn conference of the German Academy in Darmstadt.
The prize has been endowed with €20,000 since 2013.

Karl Rahner

Theologian
Born 5/3/1904
Deceased 30/3/1984
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Der Meister des literarischen Wortes hat ein neues Gehör für das Wort der Religion ermöglicht.

Jury members
Juryvorsitz: Präsident Karl Krolow
Vizepräsidenten Horst Rüdiger, Dolf Sternberger, Wolfgang Weyrauch, Beisitzer Horst Bienek, Walter Helmut Fritz, Rudolf Hagelstange, Carl Linfert, Hans Scholz, Gerhard Storz

Über wissenschaftliche Prosa

Es ist wohl dieser Stunde angemessen, wenn ich versuche, einige Überlegungen vorzutragen über die Frage, wann eine wissenschaftliche Prosa gut ist. Natürlich ist nicht meine Prosa gemeint, die fragwürdig ist und unbedacht bleibt. Die Frage wird nach guter, nicht nach schöner Prosa gestellt. Damit soll die Schwierigkeit umgangen werden, ob denn eine wissenschaftliche Prosa überhaupt unter den Anspruch und das Gericht des Schönen gestellt werden kann. Es ist von wissenschaftlicher Prosa die Rede, weil die Prosa, die zur Dichtung zählt, hier nicht gemeint ist. Dichtung, wie Kunst überhaupt, und die eigentlich religiöse Rede beschwören die Wirklichkeit selbst. Wissenschaft aber reflektiert auf die im voraus, eben vielleicht durch das dichterische und religiöse Wort, schon anwesende Wirklichkeit, wie immer diese in unendlicher Verschiedenheit bis zum unbegreiflichen Geheimnis selbst hin sein mag. Darum hat eine wissenschaftliche Prosa, die nicht die Wirklichkeit setzt und anwesend läßt, sondern über sie nachträglich nachdenkt, von vornherein einen anderen Charakter als das dichterische und religiöse Wort. Von dieser so verstandenen wissenschaftlichen Prosa ist hier allein die Rede. Ich meine, man darf von ihr ganz einfältig sagen: sie ist gut, wenn sie der Sache und der Denkbewegung des Sagenden und Schreibenden entspricht. Dabei ist die Sache die reflektierte Wirklichkeit und nicht die dichterisch oder religiös beschworene Wirklichkeit in einem ursprünglicheren Bezug zum sagenden Menschen, als ihn die Wissenschaft selbst gründen kann. Weil aber so, darum ist die Denkbewegung (wenn man das Gemeinte, das auch in der »objektivsten« wissenschaftlichen Aussage noch gegenwärtig ist und so die Wissenschaft zum ursprünglichen Wort zurückbindet, einmal so nennen kann) in einer letztlich unauflöslichen Einheit mit der reflektierten Sache, um die es dem Wissenschaftler geht. Reflektierte Wirklichkeit meint diejenige Sache, die in Zusammenhänge eingeordnet wird, die sich in dem ursprünglichen schlichten Erscheinen der Wirklichkeit noch nicht oder nicht deutlich zeigen. Weil aber dadurch das ursprüngliche Erscheinen der einzelnen Wirklichkeit in ihr »fremde« Beziehungsordnungen gesetzt wird (bis zur Gefahr ihrer Zersetzung) und weil diese kritische Einordnung das Werk des Reflektierenden ist, seine Tat und nicht nur sein argloses Erleiden der Wirklichkeit selbst, darum sind die reflektierte Sache und die Denkbewegung des Wissenschaftlers nicht voneinander zu lösen und es ist vielleicht auch andeutungsweise schon gesagt, was mit der Bewegung des denkenden Subjekts eigentlich gemeint ist: alles, was dieses Subjekt zur Gewinnung einer kritischen Distanz dem reinen Erscheinen der Wirklichkeit entgegenbringt: sein übriges Wissen und seinen gesellschaftlich und individuell geformten Denkvollzug selbst. Wenn die Prosa des Wissenschaftlers die gut reflektierte Sache und die gute Denkbewegung wirklich geben, dann ist auch die Prosa dieser wissenschaftlichen Rede gut. Natürlich ist so die Frage nur verschoben und nicht beantwortet. Denn jetzt ist gefordert, daß die Reflexion auf die Sache gut, die Bewegung des Denkens der Sache angemessen sei, und dazu beides im Wort gut zur Erscheinung komme. Und dabei ist die nicht selbstverständliche Voraussetzung gemacht, daß zwischen der reflektierten Sache und der Denkbewegung auf der einen Seite und der worthaften Aussage der Wissenschaft auf der anderen Seite nochmals ein jeweils sehr verschiedenes Verhältnis obwalte, so daß auch bei guter Reflexion die Aussage selbst nochmals gut oder schlecht sein könne, Wort und Gedanke also doch nicht einfach schlechthin dasselbe seien. Wir stehen somit eigentlich erst an einem Anfang unseres Fragens, das hier nicht weitergeführt werden kann.
Es sind nur ein paar Sätze möglich, die vielleicht auch schon aus diesem Anfang verständlich werden und auch gesagt werden sollen, selbst wenn sie selbstverständlich erscheinen mögen. Es gibt nicht die gute wissenschaftliche Prosa, sondern dies nur in der Mehrzahl, weil die Wirklichkeiten, die in den Wissenschaften bedacht werden, verschieden sind. Die gute Prosa des Naturwissenschaftlers wird vom Gegenstand und der Methode der heutigen Naturwissenschaft her gut sein, wenn sie die nüchterne Redlichkeit des mathematischen und funktionellen Denkens erscheinen läßt. Von einer ganz anderen »Güte« (ich sage nicht: Schönheit) wird die Sprache des Geisteswissenschaftlers und vor allem des Philosophen sein, weil seine Sache und seine Methode bei aller Reflexion und aller heiligen Nüchternheit eben doch in größerer Nähe zum dichterischen und religiösen Wort und bei dem unsagbaren Geheimnis bleiben, das der Mensch ist und in dem er immer verloren gründet. Kants, Hegels, Heideggers Sprache sind gute wissenschaftliche Prosa (wenn man auch solchem Denken wegen der Anstrengung des Begriffes darin den Namen Wissenschaft geben will), weil sie ihrer Sache und ihrem Denken in seiner Bewegung angemessen ist. Wenn man ihr Denken wirklich mitvollzieht, wird man diese Güte erfahren. Sonst freilich nicht. Sonst wird man zum törichten Wunsch verführt sein, sie sollten »klarer« und »allen verständlicher« schreiben. Dieses Lob muß solchen »schwierigen« Prosaisten gezollt werden, auch wenn man damit nicht behauptet, daß sie immer und nur gute Prosa schreiben. Gute Prosa, mindestens in manchen Zweigen der Wissenschaft, ist eben nicht nur dann vorhanden, wenn sie die Sprache des common sense von jedermann ist. – Wenn es die Sache und der denkende Mensch gebieten, kann auch eine wissenschaftliche Prosa, ohne schon Dichtung zu werden, eine gewisse Esoterik und Sakralität rechtfertigen und erzwingen. Prosaisch und platt, Sprache des alltäglichen Betriebs und Sprache der Wissenschaft sind mindestens nicht immer dasselbe. – Und endlich: Mag auch im dichterisch und religiös gesprochenen Wort die unheimliche Wirklichkeit des Menschen und des Geheimnisses, das über und unter ihm waltet, ursprünglicher anwesen, so ist doch auch noch das Wort aller Wissenschaft, so prosaisch es sein mag, gerade weil abkünftig vom ursprünglichen Wort bleibend, ein Nachklang des Wortes, in dem der Mensch sein Geheimnis anwesen läßt, beschwört und annimmt und sein Heim im Unheimlichen hat. – Alle Wörter sind abgenützt, klagt schon der skeptische Weise des Alten Testamentes. Werden wir heute nicht in diese Klage einstimmen? Aber die Erfahrung dieser Verbrauchtheit der Sprache ist noch einmal die Frage an uns (sonst würden wir diese Erfahrung gar nicht machen), ob wir hoffen wollen. Auch die Zukunft der Sprache ist nicht einfach unser Werk allein, sondern auch verfügtes Geschick. Aber dieses selbst geht nochmals durch das Reden derer hindurch, die in Freiheit und Verantwortung sprechen. Und ihre erste Tat ist die geduldige Hoffnung.