Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Zdenko Škreb

Germanist
Born 20/9/1904
Deceased 26/9/1985

Er wurde zum Mittler zwischen Methoden, Sprachen und Völkern, getreu der Geschichte, offen zur Gegenwart.

Jury members
Kommission: Beda Allemann, Eduard Goldstücker, Herman Meyer

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Über alle Grenzen sprechen

Als diesjähriger Träger des Friedrich-Gundolf-Preises für Germanistik im Ausland stehe ich tief bewegt vor Ihnen, meine Damen und Herren, tief bewegt durch die gütigen, mir gewidmeten Worte Professor Martinis, der ein bescheidenes Positives meines Wirkens über alle Gebühr lobend hervorgehoben hat, tief bewegt − und eine Frage drängt sich auf meine Lippen: die Frage, was die Wortverbindung Germanistik im Ausland an innerster Bedeutung, an tiefstem Sinn wohl enthalten mag. Denn sie scheint nicht eindeutig zu sein. Der Ausdruck Ausland erhält seine Bedeutung jeweils vom Sprechenden her, für den Deutschen ist Jugoslawien Ausland, für den Kroaten, der ich bin, müßte die Bundesrepublik Ausland sein − Germanistik, Erforschung und Pflege der deutschen Sprache samt allen ihr entsprossenen und entsprießenden sprachlichen Bildungen, betreibt der eine als Beschäftigung mit seiner Muttersprache, der andere als Beschäftigung mit einer Fremdsprache. Wie aber dann, wenn der Deutsche Germanistik lehrt im Ausland, etwa an einem Lehrstuhl der Vereinigten Staaten, oder aber, auch das kommt vor, wenn der Nichtdeutsche an einen Lehrstuhl für Germanistik in die Bundesrepublik berufen wird? Es ergibt sich der zwingende Schluß, daß die Wortverbindung Germanistik im Ausland nur dann eindeutig und sinnvoll ist, wenn in ihr und durch sie die Grenzziehungen zwischen Heimat und Ausland, zwischen Fremdsprache und Muttersprache ausgelöscht und zum Verschwinden gebracht werden. Ein großer, ein genialer Geist unseres Jahrhunderts, der 1936 verstorbene französische Sprachforscher Antoine Meillet, hat die Behauptung ausgesprochen, der Wert einer Sprache bemesse sich nach dem Wert der Kultur, der sie zum Ausdruck dient. Die neuzeitlichen Kulturen − man wird dem Ausdruck Kultur nur dann gerecht, wenn man ihn auffaßt als neuzeitlichen Ersatz für das mittelalterliche christianitas − die neuzeitlichen Kulturen sind nationalsprachlich umgrenzt. Aber da sie, wenn es echte Kulturen sind, unvergängliches Menschheitsgut enthalten, gehört zu ihrem Wesen der Drang, auf unblutige Weise zu expandieren, auszuströmen, auszustrahlen, über alle geopolitischen und sprachlichen Grenzen hinaus, bis in fernste Gebiete − und der Chinese malet mit ängstlicher Hand Werthern und Lotten aufs Glas. Die Sprache, ursprünglich Grenzzeichen, wird als Ausdruck der Kultur zu ihrem grenzüberschreitenden und grenzendurchbrechenden Symbol. Germanistik im Ausland darf in keinem Falle als Euphemismus gelten für ein Dolmetscherinstitut: sie ist immer und überall ein Bekenntnis zur deutschen Kultur. Ich bekenne gerne, daß ich meine geistige Bildung der deutschen Kultur verdanke. Das viele namenlose Elend der Entwurzelten, der Vertriebenen und Heimatlosen, die heute unsern Erdball bevölkern, bestätigt immer noch die tiefe Weisheit von Victor Hugos Wort: On ne peut pas vivre sans pain, on ne peut pas non plus vivre sans la patrie. Der Boden der angestammten Heimat, der heimatliche Boden, ist noch immer die sicherste Stütze, Rückhalt und Schutz jedes einzelnen, der dafür verpflichtet ist, seine Kräfte und seine Fähigkeiten vor allem ändern seiner Heimat zu widmen − aber die Kultur vermag eine geistige Heimat zu schaffen. Wo ich Deutsch höre, wenn ich deutsch spreche, fühle ich mich von geistiger Heimat umgeben und nicht im Ausland. Deshalb nimmt der Kulturschaffende, der Geistesschaffende − ich versuche, den fatal an Brechts Tui gemahnenden Ausdruck Intellektueller zu umgehen — deshalb nimmt er die Verpflichtung auf sich, in seinem Denken und seinem Sprechen, keine realen Grenzen der Wirklichkeit wahrzunehmen und wahrhaben zu wollen. Wo immer er spricht, was immer er sagt, muß über alle Grenzen hinaus gesprochen sein. Läßt er sich von einer einzigen dieser Grenzen, − diesem blutigen Anachronismus unserer Gegenwart, die den Leib unseres Planeten zerfleischen, − beengen und aufhalten, schon hat er seinen Auftrag verraten. Allerdings, die Realität wird im Augenblick mächtiger bleiben als sein Denken und sein Sprechen − zwischen den Kriegen, in seiner Rede beim Festessen des PEN-Clubs in Warschau erklärte Thomas Mann: »Gibt es eine Gemeinschaft der geistigen Menschen in Europa, welche erklärt, wir wollen keinen Krieg − dann wird der Krieg nicht sein.« Es ist eine naive Selbsttäuschung des Geistesschaffenden, daß er in der Frage der realen Grenzen etwas bewirken kann − er kann kaum etwas bewirken, aber er kann wirken. Und wie er wirken kann, auch in schwieriger Lage, möchte ich an einem Beispiel zeigen, an der Schilderung einer Szene, eines Auftritts, der nur den damals dabei Anwesenden bekannt geblieben sein dürfte, aber allgemein bekannt zu werden verdient.
Nach Titos geschichtlicher Großtat, dem Bruch mit dem damaligen Informbüro, wandelte sich grundlegend die Fremdsprachenpolitik der jugoslawischen Unterrichtsbehörden. Wenn nach 1945 Russisch als erste und in vielen Fällen auch einzige Fremdsprache an Mittel- und höheren Schulen gelehrt wurde, so wurde sie jetzt durch Fremdsprache als Wahlfach ersetzt: nach Maßgabe der Möglichkeiten der einzelnen Anstalt konnten nun die Schüler, bzw. deren Eltern, ihre Wahl treffen zwischen vier Fremdsprachen, in alphabetischer Reihenfolge: Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch. 1945, bei der Einführung des Russischen, gab es im Land blutwenig ausgebildete Russisten; Fremdsprachenlehrer aller Arten mußten sich Hals über Kopf aufs Russische verlegen, um das heute Gelernte morgen den Schülern als Unterrichtsstoff zu präsentieren. Jetzt aber kam eine gegenläufige Bewegung zum Zug: die Behörden waren bestrebt, den Fremdsprachenlehrern in ihren eigentlichen Fächern zusätzliche Ausbildung zuteil werden zu lassen, durch Seminare, Ferienkurse und ähnliche Veranstaltungen. So wurde für den Sommer 1953 ein Ferienkurs für Deutschlehrer aus ganz Jugoslawien anberaumt, in einem Badeort an der Adria, und die fachliche Leitung wurde mir übertragen. Der erste bundesdeutsche Philologe, der nach 1949 das Wagnis unternahm, die jugoslawische Staatsgrenze zu überschreiten, war meines Wissens der Göttinger Slawist Maximilian Braun. Wir sahen uns in Zagreb, fanden auf Anhieb eine gemeinsame Sprache, verstanden uns glänzend, und ich wandte mich vertrauensvoll an ihn mit der Bitte um Rat: der Kurs braucht deutsche Lehrer, an wen sollte und könnte ich mich wenden? Prompt, wie aus der Pistole geschossen, kam die Antwort: Wolfgang Kayser − er und kein anderer! Ich wandte mich brieflich an Professor Kayser, er sagte zu, kam mit Frau Dr. Kayser und Freunden als Gruppe deutscher Lehrer zum Kurs − und da am Kurs Deutschlehrer aus ganz Jugoslawien teilnahmen, gewann sich Professor Kayser durch sein Wirken eine begeisterte und treue Verehrergemeinde in ganz Jugoslawien. Nachher wurde er wiederholt nach Zagreb gebeten, zu Gastvorträgen; auch hier erwarb er sich ein solches Ansehen, daß ich es durchsetzen konnte, ihn für den Herbst 1957 nach Zagreb einzuladen, als richtigen Gastprofessor mit Kolleg und Seminaren. Allerdings nur auf drei Wochen, aber für die damaligen Verhältnisse war es ein durchaus ungewöhnliches Unterfangen, ohne Präzedenzfall und ohne Gegenbeispiel bei den ändern fremdsprachlichen Lehrstühlen. Zagreber Literaturbeflissene und Literaturfreunde, des Deutschen kundig, drängten sich zu Kolleg und Seminaren, es war ein voller Erfolg. Und dann kam der Schlag aus heiterm Himmel. Nachdem Jugoslawien die Deutsche Demokratische Republik anerkannte, faßte die Bonner Regierung am 19.10.1957 den Beschluß, die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abzubrechen. In gedrückter Stimmung versammelten wir uns vor der Vorlesung. Pünktlich wie immer kam Professor Kayser, sehr aufgeregt: solle er gleich wegfahren, solle er dableiben? Der Konsul versichere ihm zwar, die beiden Regierungen hätten abgesprochen, außer den diplomatischen sollten die andern Beziehungen ungestört weiterlaufen, aber er möchte sich nicht Anfeindungen und Anrempelungen aussetzen. Mit gutem Gewissen konnten wir ihn beruhigen, das habe er gewiß nicht zu befürchten. Nun gab es aber ein anderes: Professor Kayser war eingeladen worden auf eine Vortragstour nach Sarajevo, Beograd, Novi Sad. Wenn sein Wagen, meinte er ratlos, durch eigene Schuld einen Unfall verursache, und er werde verhaftet: wer befreit ihn dann aus der Haft, da es keine diplomatische Vertretung mehr gibt? Wir beruhigten weiter, aber mit weniger gutem Gewissen: denn was sich die Behörde in einem Provinznest gegebenenfalls an Staatsschutz schuldig zu sein glaubt, ist nicht leicht vorauszusehen. Das Viertel war um, und wir gingen in den Hörsaal. Im alten Gebäude war auch der große Hörsaal klein, etwa 200 Personen saßen und standen darin dicht gedrängt, und Professor Kayser betrat das Katheder. Gewöhnlich wurde er dabei, als Gast, mit freundlichem Applaus empfangen. Diesmal aber − diesmal brach ein Orkan an Applaus los, ein Orkan, und wollte kein Ende nehmen. Die Hörer schienen Professor Kayser zuzurufen, ja zuzuschreien: Was gehn uns die Politiker an mit ihren zweifelhaften Geschäften! Du gehörst zu uns! Du sprichst die Sprache, die wir verstehen! Du berichtest über Wesentliches − um das Unwesentliche kümmern wir uns nicht! − Der Deutsche hat über deutsche Literatur, in deutscher Sprache, in Zagreb, auf kroatischem Boden, zu kroatischen Hörern so gesprochen, daß er die Grenze einfach weggesprochen, ausgelöscht hat. Es gab sie nicht mehr, sie war nicht mehr da. Im Gehalt seiner Vorlesungen wußte er den Hörern eine geistige Heimat zu schaffen, dergestalt, daß in diesem Augenblick auch für ihn Zagreb zur Heimat wurde und nicht Ausland blieb. − Nach der Vorlesung strahlten wir alle. Die Besorgnis schien wie weggeblasen, seelenruhig bestieg Professor Kayser den Wagen, der ihn nach Sarajevo, Beograd, Novi Sad brachte, überall begeistert empfangen, überall gefeiert.
Und wenn ich abschließend in einem Leitsatz, in einem Kernwort Sinn und Ziel von Germanistik im Ausland zusammenfassen will, so kann es nur der Spruch des alten Griechen sein: ’Ανδϱὶ σοφῷ πᾶσα γὴ βατὴ; ψυχῆς γὰϱ ἀγαϑῆς πατϱὶς ὁ ξύμπας ϰόσμος.