The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.
Literary scholar
Born 4/6/1957
Member since 2011
...für seine langjährige Förderung des deutsch-britischen Dialogs. Seit Jahrzehnten nimmt Görner eine herausragende Rolle als public intellectual wahr, der in beiden Kulturkreisen [...] durch seine vielfältigen Wortmeldungen in deutsch- wie in englischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften gehört wird.
Jury members
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Claire de Oliveira, Marisa Siguan (Vorsitz) und Anja Utler.
Laudatory Address by Angus Nicholls
Lieber Ingo Schulze, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Freunde, lieber Rüdiger, liebe Jocelyn, lieber Thorsten und liebe Marleen,
„Schickt keinen Poeten nach London … Und wolltet ihr gar einen deutschen Poeten hinschicken … o! dann geht es ihm erst recht schlimm.“ So schreibt Heinrich Heine in seinen Englischen Fragmenten. Rüdiger Görner – der Akademiker, Wissenschaftspolitiker, Intellektuelle, Germanist und nicht zuletzt der Dichter und Poet – hat diese Aussage Heines entweder ignoriert oder (und das halte ich für weit wahrscheinlicher) als Herausforderung verstanden. In den frühen achtziger Jahren, so hat Rüdiger Görner es mir erzählt, fuhr er zum ersten Mal in seinem VW-Käfer von Deutschland nach London. „Mit London verhält es sich anders“ als mit anderen Weltstädten, liest man in Rüdiger Görners Londoner Fragmenten aus dem Jahr 2003. „Wer sich diesem Labyrinth nähert, dem droht lebenslänglich. Diese Stadt verführt nicht sofort, sondern auf lange Sicht. Ihre Tiefenwirkung ist ein Phänomen, eine langsam wirkende Droge.“ Wir, die wir weiter in London leben, mussten mit Bedauern feststellen, dass Rüdiger Görner – nach einer glänzenden, über vierzig Jahre währenden Karriere in der britischen Germanistik und Hochschulpolitik – den Versuchungen dieser Stadt letztlich doch widerstanden hat.
Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, hier in Bozen über Rüdiger Görners Karriere sprechen zu dürfen und gemeinsam mit Ihnen seine Auszeichnung mit dem diesjährigen Friedrich-Gundolf-Preis zu feiern. Gerade weil ich mein erstes Buch über Goethe geschrieben habe, erscheint mir die Konstellation Gundolf–Görner besonders passend und bedeutsam. Im Kontext seiner vielzitierten Aussagen zur Idee der Weltliteratur hat Goethe dieses internationale Phänomen als „geistigen Handelsverkehr“ bezeichnet. In Gundolfs monumentaler Goethe-Buch wird die Goethe’sche Weltliteratur im Zusammenhang mit Madame de Staël dargestellt, die von Gundolf als Vermittlerin „zwischen romanischem und germanischem Geist“ beschrieben wird. Der Gundolf-Preis ist eine Auszeichnung für „die Vermittlung der deutschen Kultur im Ausland.“ Vermittlung ist auch eine Art des Vergleichs, und Vergleiche, so lernt man aus Görners Buch Form und Verwandlung, seiner Studie zu Goethes Morphologie, seien eine Art „geistige Form.“
In der Vergleichung zwischen A und B komme es stets darauf an, ob man nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden sucht, so Rüdiger Görner. Natürlich muss man, wenn man Erkenntnisgewinn erreichen will, immer beides tun – und zwar zugleich differenzierend. „Vergleiche dich, erkenne, was du bist!“ sagt Antonio zu seinem Freund Tasso in Goethes Schauspiel. Diese Textstelle wird in Görners Morphologie-Buch zitiert – vielleicht, weil Rüdiger Görner selbst, als Deutscher mitten in der britischen Kultur, das Verfahren des Selbstvergleichs stets unternimmt.
„Vergleiche und (Selbst-)Erkenntnis bedingen einander“, schreibt Görner in seiner scharfsinnigen Studie über Goethes Morphologie. Diese Fokussierung auf Selbsterkenntnis mag narzisstisch klingen, ist es aber nicht. Sie ist vielmehr hermeneutisch – im klassischen Sinne Hans-Georg Gadamers. Gadamer, als Nachfolger Wilhelm von Humboldts in seiner Konzentration auf das Ineinanderverschlungensein von Denken und Sprechen, ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für Rüdiger Görner. „In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr“, so Gadamer. In seinem Schreiben ist Rüdiger Görner sich seiner Stelle in der Tradition deutschsprachiger Literatur stets bewusst. Der Titel seines Buches Londoner Fragmente ist offensichtlich eine Anspielung auf Heines Englische Fragmente. Und durch den Vergleich mit Heine können wir viel über das Denken Rüdiger Görners lernen – insbesondere über seine Art der Kulturvermittlung.
Was Görner und Heine in ihren jeweiligen Beobachtungen über die britische Kultur gemeinsam haben, ist eine gewisse Distanz und Skepsis – die Perspektive des Außenseiters. „Ich versuche … seit nun über zwanzig Jahre hier zu leben“, schreibt Görner 2003 in den Londoner Fragmenten. Was heißt „versuchen“, und was heißt „leben“ in diesem ambivalenten Satz? In meiner Lesart bedeutet dies zumindest, nie in der Lebenswelt der Briten vollkommen zu Hause zu sein. Wieso? Weil es bedeuten würde, die Perspektive des Beobachters einbüßen zu müssen und Sätze wie diesen über die Kulturlandschaft Londons nicht mehr schreiben zu können: „Unvergeßlich bleibt mir der Anblick einer … hochmastigen Sicherheitskamera, auf der sich eine der großen Londoner Krähen niedergelassen hatte und nach Krähenart müde ihre Flügel ausstreckte – einen davon quer über die Linse.“ London zugleich als Stadt der Faszination und Dystopie zu beschreiben – hier finden wir eine durchgehende Gemeinsamkeit zwischen Rüdiger Görner und Heinrich Heine.
Aber im Verfahren des Vergleichens sind Unterschiede ebenso wichtig wie Gemeinsamkeiten. Während Heine über keine umfassenden Englischkenntnisse verfügte, beherrscht Rüdiger Görner nicht nur die englische Sprache meisterhaft, sondern ist auch ein Interpret der britischen Literatur, Kultur und Politik ersten Ranges. Seine Position als externer Beobachter der britischen Kultur bedarf daher einer genaueren Beschreibung. Rüdiger Görner war und ist – in seinen verschiedenen Rollen als Direktor des Institute of Germanic Studies an der Universität London, als Begründer des Centre for Anglo-German Cultural Relations und des Ingeborg Bachmann Centres sowie als Professor of German am Queen Mary College der Universität London – zugleich Innen- und Wahl-Außenseiter. Genau diese Doppelposition ermöglicht es ihm, als Kulturvermittler zwischen den deutschsprachigen und englischsprachigen Kulturen zu agieren.
Was Rüdiger Görner definitiv nicht betreibt, ist Auslandsgermanistik. Angesichts seiner herausragenden Publikationstätigkeit wäre es treffender, von deutschsprachiger Germanistik im Ausland zu sprechen. In der Praxis heißt das: immer zugleich innerhalb und außerhalb der deutschsprachigen sowie der englischsprachigen Welt positioniert zu sein. Doch auch hier greift die Kategorie der Germanistik zu kurz. Wo beginnt und endet man, wenn man über eine solche Publikationsliste sprechen will? Eine Liste, die – meist in einem europäischen Denkhorizont aufgezogen – Studien zur deutschsprachigen Literatur von Goethe bis Mayröcker, zur Philosophie, zur Musik und zur bildenden Kunst umfasst? Man muss eine Entscheidung treffen – und hier werde ich direkt ins Zentrum der Kulturvermittlung vordringen und über Rüdiger Görners stets pointierte Analysen der britisch-europäischen Kulturpolitik der letzten Jahre sprechen. In diesen Publikationen zeigt sich seine Doppelposition als Innen-Außenseiter in besonderer Weise.
Dover im Harzerschien 2012 und ist vielleicht Rüdiger Görners detailreichste Auseinandersetzung mit Großbritanniens Verhältnis zu Deutschland. Bereits vier Jahre vor dem Brexit-Votum schrieb er: „Nichts veranschaulicht das schleichende Identitätsproblem in Britannien deutlicher als die Haltung zu ‚Europa‘ oder genauer: zur eigenen (meist verdrängten) Mitgliedschaft in der Europäischen Union.“ Europa, so Görner, „gilt immer wieder als Glacis vermeintlicher deutscher Hegemonie, womit auch der Kern dieser Ambivalenz gegenüber Europa genannt ist: das Deutsche.“ Diese treffende Diagnose ist dem doppelten Blick eines Innen- und Außenseiters in der britischen Kultur zu verdanken. Sie wurde auch vier Jahre später von Boris Johnson selbst unbewusst bestätigt. (Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, dass ich Rüdiger Görner und Boris Johnson im selben Kontext erwähnen muss, dies ist aber die Wahrheit). Während des Brexit-Referendums war Johnsons Propaganda-Kampagne etwa die folgende: Die EU sei Deutschland, Boris Johnson sei der Nachfolger Churchills und wir befänden uns mitten im Krieg über die britische Souveränität. So absurd dies klingen mag – wir wissen heute, wie erfolgreich diese Kampagne war.
Es ist nicht völlig auszuschließen, dass Rüdiger Görner heimlich ein Buch über einen der bekanntesten deutschsprachigen Exilanten in London, Sigmund Freud, verfasst hat. (Diese von mir erfundene Tatsache ist nicht völlig abwegig, da die Exilforschung sowie Wien und Österreich zu Görners Schwerpunkten zählen). Diese Hypothese würde zumindest die psychoanalytischen Konturen seiner Brexit-Diagnose erklären. Eines ist bei dieser Diagnose klar: Das Subjekt dieser Analyse kann nicht mehr als rational gelten. Und so formulierte Görner 2018 Heines Aussage in seinem Buch Brexismus um: „Schickt Psychoanalytiker und Psychiater nach England oder zumindest Psychotherapeuten, beileibe nicht nur Journalisten!“ Dabei ist Görner durch seine journalistische Tätigkeit in deutschsprachigen Zeitungen, insbesondere während und nach der Brexit-Kampagne, einer der wichtigsten deutschsprachigen Kommentatoren zur Beziehung zwischen Großbritannien und der EU. Das Niveau seiner Analysen in diesem Bereich stellt ihn auf eine Stufe mit Ralf Dahrendorf, den er in diesem Zusammenhang gerne zitiert. „There is in fact no place in the world for Britain other than Europe,“ sagte Dahrendorf im Jahre 1982, etwa zur gleichen Zeit, als Rüdiger Görner nach London zog. Diese geopolitische Aussage war damals wahr, und sie ist es bis heute.
Meine Damen und Herren, es gibt noch Wahrheiten – und es gibt jene, die sie mit Autorität und Eleganz schreiben und aussprechen. Rüdiger Görner zählt zweifellos zu diesen Stimmen. Das Forum der Kulturvermittlung lebt vom Gespräch, und dieses ist heute wichtiger denn je. Durch Kulturvermittlung entstehen Verständigung und bleibende Freundschaft. Wie immer, lieber Rüdiger, bin ich gespannt auf Dein nächstes Buch und auf unser nächstes Gespräch!
Angus Nicholls, Bozen, 5 April 2025