Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Mahshid Mirmoezi

Dank Mahshid Mirmoezis einzigartiger Vermittlungstätigkeit
und ihres reichen Übersetzungswerks können Leserinnen und
Leser im heutigen Iran Stefan Zweigs »Welt von Gestern«
ebenso kennenlernen wie die vielfältigen Welten der deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur.

Jury members
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Claire de Oliveira, Marisa Siguan, Stefan Weidner und Leszek Żyliński

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrte Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung,

vielen Dank, dass ich jetzt hier stehen darf, dass Sie mich als diesjährige Preisträgerin des Friedrich Gundolf Preises ausgewählt haben. Ich fühle mich geehrt, diese wichtige Auszeichnung zu erhalten. Eine Auszeichnung, die mir als absoluter Höhepunkt in meinem Berufsleben gilt. Ich freue mich sehr, dass meine Bemühungen, mein Einsatz, meine literarische Arbeit von mehr als zwanzig Jahren Ihre Anerkennung gefunden haben. Von nun an bin ich noch motivierter, diesen Weg weiterzugehen, obwohl diese Auszeichnung meine Verantwortung als Übersetzerin vergrößert. Der Friedrich Gundolf Preis ist ein Ansporn die Qualität meiner Übersetzungen weiter zu verbessern. Zum Anderen sehe ich mich dem Vorbild Friedrich Gundolfs verbunden. Er war der meistgelesene Germanist der Weimarer Republik. Seine Habilitation verfasste er über „Shakespeare und den deutschen Geist”, eine Verbindung von zwei Kulturkreisen. Eben dies sehe ich als meine Aufgabe, Texte möglichst authentisch einer Leserschaft aus einer „anderen Welt”, die zudem die Originalsprache nicht kennt, zugänglich zu machen.

Literatur, die ich als einen der wichtigsten Teile meines Lebens betrachte, bietet ein breites Spektrum an Themen, mit denen sich Menschen jeder ethnischen Zugehörigkeit und Denkweise identifizieren können. Die Darstellung ideeller Konzepte sowie menschlicher Gefühle und Gedanken durch wohlgesetzte Worte zieht Menschen an und ermöglicht ihnen, sich mit ihrem eigenen Leben darin wiederzufinden.

Ein literarisches Werk ist die Essenz der Gedanken, Vorstellungen und Gefühle des Autors, der versucht, dem Publikum seine Botschaft in schönster Form und mit treffenden Worten zu vermitteln. Daher ist die Wahl keines Wortes zufällig, sondern jedes Ereignis, jede Figur, jeder Ort, sogar die Schreibweise oder der Wortklang wurden sorgfältig ausgesucht. Man kann erkennen, wie sehr jeder Text mit dem Wesen seines Schöpfers verflochten ist.

Des Weiteren sind die Werke der Schriftsteller ein Spiegel der Kultur, des Denkens und der Geschichte ihres Landes. Deren Lektüre sollte jedoch auch für die Menschen anderer Länder unterhaltsam, lehrreich und bedeutsam sein, und zusätzlich zu der Nähe und dem gegenseitigen Verständnis, welche diese Lektüre erzeugt, die Angst der Menschen vor unbekannten und fremden Territorien reduzieren. Meiner Ansicht nach ist Literatur ein Hilfsmittel, welches Kommunikation und Beziehungen zwischen Menschen herstellt. Demzufolge betrachte ich Übersetzer als eine Art Vermittler, um unterschiedlichste Individuen einander näher zu bringen. Aus dieser Nähe wiederum resultieren viele soziale und kulturelle Effekte. Einer davon ist, dass die Literatur sich nicht durch politische Grenzen einschränken lässt. Die Autoren haben dies längst verstanden. Das vielleicht berühmteste Beispiel im Bezug auf Deutschland und Iran ist Goethes großes Interesse an und die spirituelle Verbindung zu Hafez. Er schreibt:

Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
sind nicht mehr zu trennen.

Die Übersetzung literarischer Werke ist eine Möglichkeit, deren Inhalt, Botschaft und Geist in andere Länder zu tragen. Geist und Botschaft, die ohne Hürden Grenzen überschreiten und der ganzen Welt gehören. Man könnte sogar sagen, dass die Übersetzung eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer Gesellschaft spielt. Sie verhindert gedankliche Isolation und literarische Passivität, indem sie den Lesern neue Welten vorstellt und sie inspiriert wiederum Schriftsteller auf der ganzen Welt diese Welten zu verbreiten.

Beim Übersetzen müssen Sprache und Bedeutung übertragen werden. Das bedeutet, dem Text und dem Geist des Werkes treu zu bleiben, und gleichzeitig seine Schönheit und Verständlichkeit zu bewahren. Obwohl es scheint, dass alle diese Prinzipien im Widerspruch zueinander stehen, muss ein erfolgreicher Übersetzer so gut wie möglich ein Gleichgewicht zwischen ihnen finden. Wenn man nur eine dieser Grundlagen bevorzugt, wird dadurch die Übersetzung vom Original entfremdet. Die Aufgabe des Übersetzers ist es, sowohl den Schreibstil des Autors als auch die Kultur und Denkweise der literarischen Charaktere aus dem Ursprungsland in ein anderes Land zu übertragen. Im nächsten Schritt strebt der Übersetzer danach, den übersetzten Text in der Zielsprache, in meinem Fall Persisch, möglichst natürlich und fließend klingen zu lassen und gleichzeitig sprachliche Fremdheiten zu reduzieren. Autoren sind frei das Format des Textes und ihren Schreibstil zu wählen. Übersetzer haben diese Freiheit nicht. Sie müssen den Text so übersetzen, wie er ist, und gleichzeitig eine Sprache finden, mit der sich die Leser verbunden fühlen und die ihnen vertraut ist. Übersetzer sollten ihre Rolle als Vermittler nicht vernachlässigen, weder die Zielsprache noch die Ausgangssprache bevorzugen und auch nicht den Autor dem Publikum vorziehen oder umgekehrt. Aus diesem Grund müssen sie mit beiden Sprachen und deren Veränderungen im Laufe der Zeit gut vertraut sein.

Im Folgenden möchte ich Ihnen gerne meine persönliche Herangehensweise an eine Übersetzung vorstellen.

Am Anfang steht die Auswahl des Werkes, ein nur vermeintlich leichter Schritt in der Übersetzungsarbeit. Für mich als Iranerin gilt es zusätzlich, besondere Auswahlkriterien zu beachten. Dieses Thema möchte ich jedoch bewusst ausklammern, da es zu viele Kapitel umfassen würde und heute der Fokus auf Sprache und Literatur liegen sollte.

Zunächst einmal muss mir ein Buch persönlich sehr gefallen, es muss mich berühren, denn wir − die Arbeit und ich, die Ereignisse und ich, die Charaktere und ich – werden schließlich mehrere Monate miteinander verbringen.

Während ich das Buch dann lese, versetze ich mich ganz in die Rollen der handelnden Personen und versuche, ihre Gedanken und Gefühle zu verstehen. Gleichzeitig denke ich immer wieder darüber nach, was zwischen den Zeilen stehen mag, was im Kopf des Autors vorgegangen ist. Um mir persönlich ein unvoreingenommenes Bild zu machen, lese ich vor der Übersetzung die Rezensionen nicht.

Als Nächstes muss ich wissen, ob ich den Text in allen Aspekten wiedergeben kann. Es ist mir schon passiert, dass ich – als mein strengster Kritiker – das Gefühl hatte, dass es mir nicht möglich ist, eine gute Übersetzung zu erstellen und ich habe aufgegeben. Zum Beispiel bei einem Buch, mit vielen Wortspielen mit der Bedeutung des Nachnamens, der Orte und der Figuren. Für die Übersetzung dieses Buches wäre es notwendig gewesen, viele Fußnoten und Erklärungen einzufügen, um Alles, was sich hinter der Bedeutung des Namens einer Person oder eines Ortes verbirgt zu erklären, dass diese den Leser eher verwirrt und und ihn vom Kern der Geschichte abgelenkt hätten.

Im nächsten Schritt recherchiere ich wie ein Detektiv den Ort, an dem die Handlung spielt. Ich lese viel über die Geschichte der Stadt oder des Landes und die erwähnten Ereignisse. Wenn nötig, informiere ich mich auch über Geographie, Kultur und Kunst und sehe viele Fotos an, um mir ein Bild zu machen. Wenn die Charaktere historisch belegt sind, lese ich ebenfalls jegliche Information, die ich finden kann. Bei bestimmten Fachbegriffen − z.B. Technik, Musik, Recht etc. − hole ich mir Hilfe von Experten auf diesem Gebiet. Wenn möglich lese ich parallel weitere Werke des Autors, um seinen Schreibstil und Denkweise besser zu erkennen.

Die Themen, welche mich immer interessieren, sind soziale Themen, die allen Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam sind und, in meinem Fall, besonders für Iraner gegenwärtig relevant sind: Werke mit gewaltfreien und pazifistischen Themen. Mittlerweile habe ich viele Geschichten übersetzt, die während des Zweiten Weltkriegs spielen oder seine Folgen beleuchten. Bisweilen sind die Weltkriegsthemen in den Geschichten zwar nicht das Hauptthema aber im Hintergrund der Arbeit präsent. Darüber hinaus stammen die meisten Werke, die ich übersetze, von noch nicht in Iran bekannten Autoren.

Seit meiner ersten Übersetzung, bis zum heutigen Tag haben die von mir übersetzten Bücher im Iran ein Publikum gefunden, das ein Buch kauft, weil mein Name als Übersetzerin angegeben ist. Ich habe das oft von Lesern gehört. Daraus ergeben sich für mich gleich zwei große Verpflichtungen. Einerseits das Vertrauen des Publikums nicht zu enttäuschen und andererseits ein Buch so wiederzugeben bzw. zu übersetzen, dass meine Aufgabe als Übersetzerin erfüllt wird. Beides zusammen führt dazu, dass ich mich darauf konzentriere, gleichermaßen dem Publikum und dem Autor gerecht zu werden. Das hat zur Folge, dass meine Tätigkeit nicht nur an meinem Schreibtisch stattfindet sondern auch in meinen alltäglichen Tätigkeiten und Überlegungen präsent ist. So habe ich sogar auf meinem Nachtisch einen Notizblock, um mir nächtliche Einfälle sofort zu notieren.

Glücklicherweise verfügt die heutige persische Sprache mit einer mehr als 1100 jährigen Geschichte über breite Sprachmöglichkeiten, welche die Arbeit des Übersetzers bei der Auswahl der richtigen Wörter erleichtern. Diese Vielfalt sollte ein Übersetzer ins Persische auch beherrschen, denn enge Vertrautheit mit der Sprache sowie der klassischen persischen Literatur bietet ihm einen großen Schatz an unterschiedlichsten Wörtern und besonderen Ausdrücken, von denen er Gebrauch machen kann um den gewünschten Sprachfluss zu erzielen.

Die Übersetzungen plane ich sorgfältig. Eile hat keinen Platz in diesem Programm. Bisweilen lese ich für eine kurze Fußnote stundenlang Sekundärliteratur.

Immer wenn sich die Arbeit an einem Buch dem letzten Satz nähert, bin ich aufgeregt. In all diesen vergangenen Monaten habe ich die Protagonisten der Geschichte begleitet, manchmal war ich sogar sie selbst, und jetzt muss ich mich von ihnen verabschieden. Ich muss mich von Orten verabschieden, an denen ich monatelang gelebt habe.

Nach Abschluss der Arbeit lasse ich ein bis zwei Monate vergehen, bevor ich den Text noch einmal lese und ihn mit dem Originaltext vergleiche. Nach der folgenden Bearbeitung des Textes durch meine Lektorin, lese ich das gesamte Werk mit den Änderungen, einschließlich der Änderungen von Verben und Schlüsselwörtern, die unter meiner Aufsicht vorgenommen wurden, noch einmal. Es kam vor, dass ich einen Text elfmal gelesen hatte, bis ich ihn schließlich zum Druck freigab. Vor der Veröffentlichung will ich den Text nocheinmal lesen, bevor ich die endgültige Freigabe erteile. Obwohl das für mich mehr Arbeit und einen längeren Veröffentlichungsprozess bedeutet, erhöht es die Qualität des Werkes, die dem Publikum zu Gute kommt. Das iranische Publikum, das ich sehr respektiere, legt großen Wert auf die Qualität einer Übersetzung.

Ich übersetze literarische Werke, weil es mir ein Anliegen ist, zur Verbreitung der deutschen Literatur und Kultur beizutragen und meine Landsleute damit vertraut zu machen. Wie bereits Goethe festgestellt hat, sind sich Orient und Okzident nahe und ich sehe mich als Vermittler zwischen diesen beiden Kulturen.

Wer liest, lernt unbewusst und unweigerlich zuzuhören. Etwas das heutzutage nicht selbstverständlich ist. Viele unserer sozialen Probleme entstehen dadurch, dass wir nicht zuhören und nicht gehört werden. Ich bin überzeugt, dass eine Person, die Literatur liebt und sich durch diese mit anderen Kulturen auseinandersetzt, keine Gewalt ausübt, Kriegshetze nicht als Lösung betrachtet und die Gedanken und Meinungen anderer respektiert. Wenn es mir gelungen ist, einen auch noch so kleinen Beitrag zu einer friedvollen Gesellschaft zu leisten, dann glaube ich, meine Aufgabe als Übersetzerin erfüllt zu haben. Eine Aufgabe, die ich noch nicht als erledigt betrachte. Im Gegenteil, mit der Verleihung des Friedrich Gundolf Preises haben Sie mich, wie bereits eingangs erwähnt, angespornt weiterhin auf die Suche nach passenden Büchern zu gehen und mich mit noch mehr Eifer an deren Übersetzung zu machen.

Mit Rumis Worten aus „Fihi ma fihi“ (Darin ist, was darin ist.), möchte ich meine Rede beenden:

Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Du magst tun was du willst, magst hunderte von Plänen verwirklichen, magst ohne Unterbrechung tätig sein – wenn du aber diese eine Aufgabe nicht erfüllst, wird alle deine Zeit vergeudet sein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.