Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Khalid Al-Maaly

Publisher
Born 15/4/1956

Khalid Al-Maalys jahrzehntelanges Wirken als Verleger und als Übersetzer war und ist wegweisend für die Vermittlung zwischen deutschsprachiger und arabischer Literatur und Kultur.

Jury members
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Claire de Oliveira, Marisa Siguan, Stefan Weidner und Leszek Żyliński

Sehr verehrte Damen und Herren

1
Jeder Reisende hat eine Geschichte. Geheimnisse, die ihm erscheinen, Gedichtzeilen oder einzelne Sätze, die in seiner Erinnerung haften bleiben, wie Wegzeichen, nach denen man Ausschau hält. So könnte es den Reisenden früherer Zeiten ergangen sein als sie am Tag oder in der Nacht Wüsten und Täler durchquert haben. Und wenn sie sich in der Dunkelheit verirrt haben, dann wurden sie von Lagerfeuern geleitet oder von bellenden Hunden. Aber diese Reisenden haben sich dank dieser Wegzeichen niemals wirklich verirrt – auch wenn die Nacht ihre Geheimnisse hat.
Ich bin hier gestrandet, mit den wenigen Dingen, die ich dabeihatte. Im Morgengrauen kam ich am Bahnhof jener Stadt an. Allein der Zufall führte mich hierher, nach den zahllosen Versuchen irgendeine Stadt zu erreichen. Meine Ankunft war wie Verzweiflung. Ich blieb auf dem Bahnsteig stehen, während alle anderen sich schnell verstreut haben. Viele Hände winkten den Mitreisenden zu. Ich war müde und hungrig. Meine Illusionen verschwanden in den vielen kleinen und großen Stationen, die ich durchquert hatte. Ich kannte keine Wärme. Türen wurden zugeschlagen. Langsam vergingen die Stunden der Nacht. So nahe war der Hungerschmerz, als wäre er zu meinem Gewand geworden. Gedichtzeilen kamen mir in den Sinn. Der Schmerz ließ nach und das Leben mit seinen Träumen erschien mir. Jenes weitentfernte Leben, das ich erreichte, das meine letzte Zuflucht war, verflüchtigte sich. Als ob jene Jahre mein einziges Gepäck waren. Sie mir vor Augen zu führen, war mein einziges Vergnügen, während ich mit langsamen Schritten auf dem Bahnsteig umherging, meine leere Tasche fühlte und auf die Hoffnung wartete, die zu einer verschlossenen Tür wurde. Ein wenig lebte ich in einem Labyrinth. Welche Kraft trieb mich ins Verderben und ließ mich wieder einmal vor der Leere stehen?
Wie fein, groß und wundervoll jene Träume waren, die ich aus einem Buch aufgriff - das Leben eines Fliehenden, genau wie ich. Ich pflegte meine Lebensgeschichte zu erzählen als würde ich einen Spaziergang in einem Garten beschreiben. Wie oft habe ich deswegen schlaflose Nächte gehabt, in jener Hütte in diesem weiten Dorf. Wie süß mir jetzt das Wasser seiner Brunnen erschien. Wie weich ihre Natur mit dem spärlichen Grün. Kaum war der Tag vorüber, haben wir etwas zu essen gefunden. Der Rauch der Brotöfen war von weitem sichtbar. Die Brotzeit nahte. Und wenn es kein Brot gab, dann einige Datteln. Als würde das Leben gemächlich vorbeiziehen. Diese Träume haben meine Fantasie nie in Ruhe gelassen. Sie nahmen von mir Besitz und trieben mich weit weg, flüchtend vor der Unterdrückung und der Heuchelei, die zunehmend dieses Leben bestimmte. Es war wie eine Vorahnung. Mit der Diktatur kam eine neue Sprache auf, die es nicht erlaubte, ich selbst zu sein. Sie trieb mich und viele andere ins Leere, in die Auslöschung. Es war eine Sprache, die die Träume bereits in ihren Anfängen zusammenbrechen ließ. Die Gewissheit machte sie ungewiss.

2
Ich musste das an jenem Tag sagen, am 1. August 1980, am Kölner Hauptbahnhof. Während ich gedankenlos auf dem Bahnsteig herumging, sah ich ein Bild vor mir – ein lachendes Gesicht und eine winkende Hand. Ich war unfähig zu denken, zu sagen, was ich dachte. Ich vergaß jedoch nicht. Jedes Mal, wenn ich zu diesem Bahnhof ging, erschienen mir jene Momente wie Träume und Albträume zugleich aus einer fremden Welt. Es handelt sich um meine Welt. Ich ging alleine, verloren, in dieser Stadt umher. Die Geisterwelt, die die Flüchtlinge stets verfolgte, hat ihre Aufgabe vollbracht und hat aus jedem Flüchtling jemanden gemacht, der von anderen Geistern verfolgt wird.
Der große arabische Literat Al-Jahiz aus dem 9. Jahrhundert hat gesagt, dass die Bedeutungen der Wörter auf der Straße liegen. Jeder der will kann sie aufheben – egal ob derjenige ein Dichter, Prosaschreiber oder von einer Idee besessen ist.
Ich war nie ein Anhänger des sozialistischen Realismus, der als literarisches Konzept im Irak der 70er Jahre sehr verbreitet war. Dieses Konzept war vorherrschend in der Literatur, aber auch in den Zeitungen, Zeitschriften, Verlagen und den meisten Kulturaktivitäten der damaligen Zeit. Dieses Konzept und die Sprache der Diktatur verfolgten mich und wirkten wie ein Korsett, das auch die Exilanten sich anlegen sollten. Die Lektüre von Pablo Nerudas Memoiren, die 1976 nach seinem Tod auf Arabisch erschienen sind, waren damals für mich ein kleines Zeichen der Befreiung von diesen strikten Vorgaben. In seinen Memoiren schreibt Neruda, dass er mit einer Dichtergruppe eine Lyrikzeitschrift mit dem Titel »Das grüne Pferd« gründete. Das war vor dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges. Nur eine Ausgabe dieser Zeitschrift erschien. Das war die Bedeutung, die ich aufgehoben habe: Manshurat Al Jamal, das Kamel als Verlagsname. Ein Verlag, der den Namen des geheimnisvollen Tieres meiner Kindheit trägt. Die zweite Bedeutung ist das Logo des Verlages. Ich habe es zufällig in einer Zeitung gesehen, die ich auf dem Weg in die Mensa in Köln aufgesammelt habe.
So entstand mein Werkzeugkasten. Der Werkzeugkasten eines Zauberers, der die ersten Schritte ging. Das war im Herbst 1983.
Wenn der Reisende ankommt oder sich mit anderen trifft, dann muss er seine Geschichte erzählen. Er muss seine Lieder singen, seine Tänze vorführen. Am schönsten ist es, wenn die anderen sich an der Erzählung beteiligen, so dass diese sich mit seiner verschmelzen. Ich bin am Ende nur ein Geschichtenhändler, der seine Geschichten mit anderen austauscht, ein Worthändler. Ich erinnere mich an die Fähre auf dem Euphrat aus meiner Kindheit, wenn ich mit meiner Mutter von einem Ufer zum anderen hinübersetzte. Ein Bild, das fest in meinem Kopf verankert ist. So bin ich heute zu dieser Fähre geworden, zwischen zwei Ufern, zwei Kontinenten oder zwischen allen Kontinenten. Das Schiff der Wörter zwischen den Sprachen.

3
Vielleicht habe ich mich bei der Lektüre des Textes von Paul Celan Gespräch im Gebirg wiedergefunden, den ich später übersetzen sollte. Lesen ist wie Übersetzen. Das abermalige Polieren von Bedeutungen, die uns immer wieder in einem neuen Gewand oder Gewändern erscheinen. Es waren nicht nur die Elegien von Rilke, die ich zum ersten Mal in der Oberstufe in der Übersetzung von Fuad Rifka kennengelernt habe, die mich zu diesem Ufer geführt haben. Es gab viele Wegzeichen. Später sollte ich Borges lesen, der mit der Illusion Schluss gemacht hat, dass die Übersetzung Verrat sei. Denn bei Borges ist das Schreiben Übersetzen.
Ich bedanke mich bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für diese Ehrung.