Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Franz H. Mautner

Germanist
Born 8/6/1902
Deceased 6/2/1995
Member since 1977

Er hat das Gedankenwerk Lichtenbergs und die Dichtung Nestroys in ihrem ganzen Umfang dargestellt...

Jury members
Kommission: Richard Alewyn, Eduard Goldstücker, Herman Meyer

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Gerhard Storz
educationalist, Literary scholar and Minister of cultural affairs, born 1898

Ins Einzelne gehenden oder gar vollständigen Bericht zu geben über die Forschungsarbeit und die Publikationen des in den USA lebenden und lehrenden Gelehrten, den die Akademie heute mit dem Friedrich-Gundolf-Preis auszeichnet − für ein solches Unternehmen läßt die festliche Veranstaltung den Spielraum nicht. Auch zu einem »Abriß«, wie man früher sagte, mag und darf ich mich nicht entschließen, eben der Festlichkeit wegen nicht. Denn dieser hat auch, ja nicht zuletzt, der laudator zu dienen, und wenn er heutzutage schon nicht mehr in panegyrische Tiraden auszubrechen braucht, so hat er doch wenigstens eine einigermaßen bildkräftige Präsentation des Laureaten, seines Wirkens und seiner Person, zu liefern. Diese Aufgabe könnte ich mir nicht wenig dadurch erleichtern, daß ich die ebenso lebendige wie genaue Darstellung seines Werdegangs vorlesen würde, die vor einigen Jahren erschienen ist. Dies geschah unter dem spannenden − oder soll ich sagen befremdenden? − Titel »Bekenntnisse des Hochstaplers FHM«. Freilich, die Buchstabensignatur verbirgt nur ganz notdürftig − Sie alle haben es bereits erraten − den Namen Franz Heinrich Mautner, aber auch diese Enthüllung erschreckt niemand hier im Saal, selbst dann nicht, wenn es jemand unbekannt sein sollte, daß Sie selbst, lieber Herr Mautner, die Hochstapler-Bekenntnisse verfaßt haben. Denn ganz abgesehen davon, daß Sie heute öffentlich geehrt werden, so würde doch kein Mensch, der Sie zu Gesicht bekommt, erst recht keiner, der Sie auch nur ein wenig kennt, Ihre Selbstbezichtigung ernst nehmen. Wir aber, die Mitglieder der Akademie, kennen Sie schon seit einigen Jahren von Angesicht und auch nach Ihrer geistigen Physiognomie bereits ganz gut. Denn der Vortrag, den Sie, von der Akademie eingeladen, im Herbst 1968 in Darmstadt gehalten haben, der Vortrag über ein höchst verwickeltes, anspruchsvolles Thema, nämlich über die Möglichkeit, den Aphorismus als literarische Gattung zu betrachten, − er hat uns in recht wesentlichem Betracht mit Ihnen bekannt gemacht: wir lernten zumindest die Energie Ihres Unterscheidens und die Subtilität Ihres Darstellens aus der Nähe kennen. Was es nun aber mit jener Selbstanklage eigentlich auf sich hat, das werde ich − auch meinerseits auf Spannung bedacht − erst am Schluß meiner Rede aufklären.
Weniger mit Felix Krull, als mit Gustav Aschenbach hat sich unser Preisträger beschäftigt, jedoch nicht nur mit Thomas Mann überhaupt, sondern auch mit Molière, mit Lichtenberg, mit Büchner, mit Mörike, mit Nestroy, mit Karl Kraus.
Die Verschiedenartigkeit und die lange Reihe der Gegenstände seines interpretatorischen Bemühens lassen aber doch zwei Dominanten sichtbar werden: zwei umfangreiche, voneinander verschiedene Lebens- und Literaturwerke, zwei Autorengestalten, zu denen der Gelehrte im Lauf seiner ausgedehnten Forschungsarbeit immer wieder zurückkehrte − Lichtenberg und Nestroy. So weit diese beiden unter literarhistorischem, geographischem, morphologischem Gesichtspunkt auch auseinander liegen, so benachbart sind sie doch in einem Betracht, in einer, freilich schwer auslotbaren Region, nämlich in der des geistreichen, auch gedrängt-witzigen, auch des tiefsinnigen Sprechens. Dieser aparte, auch angespannte Gebrauch der Sprache, der paradoxerweise durch Leichtigkeit bezaubert, hat nicht nur eine lange Tradition, sondern er erscheint auch in mancherlei Formen, − als Sentenz, als Maxime, als Aphorismus, auch im Wortspiel. Sie alle hat Mautner scharfsichtig und einleuchtend voneinander abgegrenzt und sie dann in bewundernswerter Ausdauer in die Systematik einer literarischen Gattung eingebracht. Dieses Ziel verlor unser Preisträger über der Vertiefung in die Eigentümlichkeiten der sprachlichen Erscheinung nie aus dem Auge. Andererseits hielt ihn sein angelegentliches Eingehen auf so komplexe Persönlichkeiten wie Lichtenberg und Nestroy nicht davon ab, sich immer wieder Formen, Möglichkeiten, Bedingtheiten nicht nur ihrer Sprache, sondern der Sprache überhaupt zuzuwenden, so daß aus dem Literarhistoriker, dem Autor der imposanten Monographie über Lichtenberg, zeitweilig ein Linguist wurde. Darin, in der forschenden, aber zugleich liebenden Anteilnahme an der Sprache, scheint mir das besondere Teil unseres Preisträgers zu liegen: sie war und ist wohl Wurzel und Antrieb seines gesamten Forschens und Darstellens.
Aber indem ich derart eine individuelle Konstitution andeute, fällt alsbald auch ihre Begünstigung durch die Umwelt in den Blick: Wien war Geburtsort und Heimat der jungen Jahre, die Weltstadt also, in die ländlich-landschaftsgebundene Sprache stärker hineinwirkt, als in andere Metropolen, der Boden zugleich, auf dem einheimisch-österreichische Sprachgebräuche und fremde, slavische einander durchdrangen. Wien legte und legt es deshalb näher als andere Orte, auf die Verschiedenheit von Sprechweisen zu achten, Sprachausdruck von mancherlei Art und unterschiedlicher Höhe unterscheiden zu lernen. Mehr als anderswo gab es in Wien Anlaß, innerhalb der einen gelesenen und geschriebenen Sprache, der Schriftsprache oder des Hochdeutschen, verschiedene Gänge zu entdecken, wechselnde Register wahrzunehmen. Tief haben sich frühe Beobachtungen eingeprägt: Jahrzehnte später analysiert der Emigrant, der Professor in Pennsylvanien, Sprachbesonderheiten, auch phonetische Eigentümlichkeiten des Wienerischen. Wien war aber nicht nur Atmosphäre, die Stadt fügte auch den Geist und die Person des Mentors hinzu: der Primaner Franz Mautner las nicht nur die »Fackel«, sondern hörte und sah den Rezitator Karl Kraus. Durch ihn ist die Sprachempfindlichkeit des jugendlichen Lesers und Hörers geschärft, gewiß aber auch sein Interesse an Nestroy, wenn nicht erweckt, so doch verstärkt worden.
Der adäquaten Wertung des ehedem außerhalb Österreichs und Süddeutschlands noch wenig bekannten, jedenfalls nur unzureichend erkannten Dichters widmete sich schon der junge Gelehrte: bereits 1937, noch in Wien, veröffentlichte er die Schrift »Johann Nestroy und seine Kunst«. Später sah der Professor vom Swarthmore-College Anlaß, einer übertreibenden, überanstrengten Deutung Nestroys, einer pauschalen Bewunderung seiner so zahlreichen Bühnenstücke die eigene, tiefere, weiter reichende Kennerschaft entgegenzusetzen. In der genauen, sorgfältig belegten, kritischen Darstellung der singulären Figur des Wiener Schauspielers, des Sprech- und des Sprachkünstlers Nestroy, des Komödiendichters und Begründers einer deutschen commedia dell‘arte − darin scheint Franz Mautner durch Jahrzehnte hindurch geradezu ein, ja eben sein Apostolat gesehen zu haben. Schließlich steht der Schrift von 1937 der stattliche Band von 1974 gegenüber. Er trägt den lapidar-epigrammatischen Titel »Johann Nestroy«, aber so streng er gearbeitet ist, so differenziert er ins Einzelne geht, so vernehmlich bleibt doch, gewissermaßen als Principalstimme, die liebende Anhänglichkeit des Autors. Kurz nach der ersten Lebensernte, dem umfassenden, vielschichtigen Werk über Lichtenberg von 1968, wurde 1974 mit dem über Nestroy eine zweite eingebracht. Beide Bücher werden literarhistorische Standard-Werke bleiben. –
Wer vom Lesen zum Hören, von der Literatur zur Sprache, und von ihrem Studium wieder zur Literatur kommt, der kann nicht wohl anders, als in einem dichterischen Werk vornehmlich eine autonome, sich selbst tragende und auslegende Erscheinung sehen, eine geschichtliche zugleich, deren spezifische Bedingtheit er keineswegs aus dem Blick verliert. Ein literarisches Phänomen hingegen vor allem oder gar für nichts anderes zu halten als für das Ergebnis und Zeugnis einer gesellschaftlichen Gruppierung und einer politischen Tendenz, − dazu wird er sich nicht überreden lassen. So auch nicht Franz Mautner. Immerhin hat er seine Präsentation des wahrlich nicht schmalen Gesamtwerkes von Nestroy mit der eingehenden Darstellung seines geschichtlichen, auch sozialgeschichtlichen Hintergrundes verbunden. Daran schließt er genauen Bericht über das erst schwache, dann wieder erstarkende Weiterleben von Nestroys Dichtung und über die mancherlei Gründe solchen Schwankens − also Wirkungsgeschichte oder, wie die Archegeten einer neuen, angeblich wissenschaftlicheren Literaturwissenschaft etwas vollmundig sagen, − »Rezeptionsästhetik«. Bei Mautner aber erscheint diese neue Disziplin in der unauffälligen Gestalt eines Anhangs, der allerdings keineswegs »kurzgefaßt« ist. Das Lamentieren über die Borniertheit der vor 1968 betriebenen Germanistik, die Prophetien vom bevorstehenden Ende der Literatur − diese Fastenpredigten haben inzwischen an Häufigkeit und Lautstärke etwas verloren, sind auch ihrer Monotonie wegen schließlich ein wenig langweilig geworden. Aber gar so lang ist es wiederum auch nicht her, daß Soziologisierung und Politisierung der Literatur mit der Intoleranz der Besessenheit kanonische Geltung für sich beanspruchten. Auf soviel Arroganz antwortete unser Preisträger von Jahren mit erfreuendem Zorn und in satirischer Verkehrung: käme nämlich jenen Dogmatismen eines Tages totale, alleinige Geltung tatsächlich zu, dann könnte er sich als Gelehrter nicht mehr legitimiert fühlen, sondern müßte sich fortan − jetzt kommt’s! − als Hochstapler betrachten. Das war’s. − Aber so schneidende Antwort, lieber Herr Mautner, will heute fast als zu hoher Aufwand erscheinen. Immerhin, man hatte Sie damals, 1972, dringlich befragt, Sie mußten antworten und Sie wollten deutliches Zeugnis ablegen. Ein anderes, eben in den »Bekenntnissen des Hochstaplers« enthaltenes, nimmt sich gelassener und gültiger aus, auch steht es nicht umsonst unter dem Zeichen Ihres Patrons Nestroy. Es lautet: »... Ich halte es gegenüber der Literatur als einer »geistigen Kategorie« mit Nestroys Wendelin, der in der Komödie ›Höllenangst‹ singt:

»I laß mir mein’ Aberglaub’n
Durch ka Aufklärung raub’n,
S’ ist jetzt schön überhaupt,
wenn m’r an etwas noch glaubt,«

»Mein Aberglaube lautet: Literatur ist Literatur«. −
So Franz Heinrich Mautner, und dem ist in diesem Kreis, denke
ich, nichts hinzuzusetzen.