Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Fuad Rifka

Translator and Poet
Born 28/12/1930
Deceased 14/5/2011
Member since 2002

... einen wichtigen Beitrag dazu leistete, den west-östlichen Dialog in schwieriger Zeit mit neuem Leben zu erfüllen.

Jury members
Kommission: Heinrich Detering, Norbert Miller, Ilma Rakusa, Lea Ritter-Santini, Jean-Marie Valentin

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Stefan Wild
Orientalist, born 1937

Das besondere Leuchten der Poesie oder: Was bleibet aber, stiften die Dichter

Daß wir in Europa heute Aristoteles kennen, verdanken wir zu einem guten Teil den Arabern. Sie gaben seine griechischen Werke in arabischen Übersetzungen weiter – zu einer Zeit, da das unterentwickelte Abendland wenig Interesse für griechische Philosophie hatte. Ein bildungs- und kulturbeflissener Mensch, der um das Jahr 800 die Wahl zwischen dem Aachen Karls des Großen und dem Bagdad Harun al-Rashids gehabt hätte, wäre nicht bei Trost gewesen, hätte er sich für Aachen entschieden. Die umfangreiche Literatur, die seit dem achten nachchristlichen Jahrhundert mit kräftiger Unterstützung des Bagdader Kalifen aus dem Griechischen meist über syrisch-aramäische Zwischenversionen ins Arabische übertragen wurde, betraf vor allem Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften. Griechische Poesie und Dramatik fehlen dagegen fast ganz. Hin und wieder allerdings sollen besonders Kühne versucht haben, aus der Ilias oder der Odyssee ins Arabische zu übersetzen. Ein arabischer Autor des 10. Jh. berichtet dies von einem gewissen Stephanos, also einem arabischsprachigen Christen. Dieser habe Teile der Homerischen Gedichte aus dem Griechischen ins Arabische übersetzt. Der arabische Berichterstatter fährt im kritischen Unterton milder Skepsis fort:

»Man weiß, daß Gedichte ihr besonderes Leuchten bei der Übersetzung zum größten Teil verlieren und daß die in ihnen ausgedrückten Ideen weitgehend verfälscht werden, wenn die kunstreiche poetische Form verändert wird.«

Recht hat er gehabt, dieser Mann: übersetzt, verliert die poetische Form ihren Glanz, und der Inhalt des übersetzten Gedichts wird verfälscht. Aber gottlob gab es und gibt es dennoch immer wieder Menschen, die übersetzen, und es gibt Akademien, die das gelungene Lebenswerk eines Übersetzers belohnen. Einer von den wenigen, die sich um die Übertragung deutscher Lyrik ins Arabische in höchstem Maße verdient gemacht haben, einer von denen, welchen es geglückt ist, deutsche Gedichte auf arabisch zu diesem »besonderen Leuchten« zu bringen, ist Fuad Rifka, den wir heute feiern.
Fuad Rifka hat sich an schwierigste deutsche Dichter und Gedichte gewagt: späte Gesänge Friedrich Hölderlins, Novalis’ Hymnen an die Nacht, die expressionistische Weltkriegs-Lyrik Georg Trakls und die Duineser Elegien Rainer Maria Rilkes, um nur einiges zu nennen. Wie ist es ihm gelungen, das, was der zitierte mittelalterliche arabische Kritiker das »besondere Leuchten« des Gedichts genannt hat, von einer Sprache in die andere, vom Deutschen ins Arabische hinüberzuretten? Um diese Frage zu beantworten, muß man erst einmal etwas von den eigentümlichen Problemen kennen, vor welche die Aufgabe, ein deutsches Gedieht ins Arabische zu übertragen, stellt.
Eine der spezifischen Schwierigkeiten der Übertragung von Lyrik ans dem Deutschen ins Arabische liegt in der starken eigenen poetischen Tradition des klassisch-arabischen Gedichts. Es gibt ein altes arabisches Wort, das frei übersetzt lautet: »Die Poesie ist das arabische Gedächtnis« (al-shi‘r diwan al-‘arab), wörtlich: »Die Poesie ist der Diwan der Araber«. Der hier im Arabischen genannte »Diwan«, ein Wort, dem Goethe durch seinen West-Östlichen Divan eine Heimat auch in der deutschen Sprache gegeben hat, bedeutet nicht nur eine Sammlung von Gedichten. Es ist der Ort, der schriftliche Dokumente, überhaupt alles, was wert ist, überliefert zu werden, aufbewahrt. Man könnte auch gleich frei mit dem letzten Vers eines Hölderlin-Gedichts übersetzen: Was bleibet aber, stiften die Dichter. In der arabischen Wendung zeigt sich die poetische Grundierung der ganzen klassisch-arabischen Kultur. Die klassisch-arabische Dichtung, die hier gemeint ist, unterliegt einem strengen poetischen Kanon, der lange Zeit die Poesien vieler anderer Völker beeinflußte, ohne sich seinerseits fremden Einflüssen öffnen zu müssen.
Fuad Rifka hat sich die Tatsache zunutze gemacht, daß seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr arabische Dichter aus dieser ebenso starken wie ehrwürdigen poetischen Tradition ausbrachen. Die Auseinandersetzungen um eine neue arabische Poesie halten bis heute an. Die neue poetische Moderne des Arabischen betrat einen Boden, auf dem Friedrich Nietzsche, William Butler Yeats, Charles Baudelaire und Walt Whitman gewandelt waren. Arabische Kritiker und Literaturhistoriker parzellierten diese neue poetische Landschaft als »Romantik«, »Realismus«, »Expressionismus« oder »Surrealismus«. Mit solchen Stilbezeichnungen waren nicht notwendig auch zeitlich versetzte Epochen gemeint. Sollte man den Namen nennen, der moderne arabische Poesie am vielseitigsten geprägt hat, dann wäre das wohl T. S. Eliot mit seinem Gedicht The Waste Land. Die vielen arabischen Dichter, die an der Entwicklung dieser modernen arabischen Poesie beteiligt waren, können hier nicht aufgezählt werden. Ohne ihre Anstrengungen wäre eine Übertragung der Sonette an Orpheus ins Arabische, wie sie Fuad Rifka unternommen hat, nur eine Bizarrerie gewesen. Und Fuad Rifka gehört eben selbst zu den arabischen Dichtern, die an dem Prozeß, der alten Tradition eine neue Sprache abzuringen, wesentlich beteiligt waren.

Es lohnt sich bei diesem Phänomen zu verweilen. Fuad Rifka hatte sich als junger Mann in der libanesischen Hauptstadt Beirut um das Jahr 1960 einer poetischen sezessionistischen Avantgarde, der Gruppe Shi‘r (»Poesie«), angeschlossen. Diese Gruppe, welche die moderne arabische Poesie tief geprägt hat, äußerte sich in einer gleichnamigen eigenen Zeitschrift. Sie wurde in allen arabischen Ländern gelesen, geliebt, aber auch bekämpft. Ihr Redakteur hieß in den entscheidenden Jahren Fuad Rifka. Die selbstgestellte Aufgabe dieser Gruppe war es, nichtarabische zeitgenössische Poesie ins Arabische zu übertragen. Noch wichtiger war ihr, die Modernität dieser Poesie in arabischen Gedichten eines neuen Lebensgefühls nachzubilden. Diese revolutionäre Verwandlung hatte auch soziale, historische und politische Hintergründe, die in den arabischen Gesellschaften lagen und auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Jedenfalls ging sie mit bitterem Streit einher, der auch die Gruppe selbst später spalten sollte. Ihr heute berühmtester Vertreter stammt wie Fuad Rifka aus Syrien und wählte als junger Mann für sich das Pseudonym »Adonis«. Schon mit diesem Rückgriff auf eine zugleich hellenistische und vorderasiatische Gottheit markierte er eine poetische Rebellion gegen den klassisch-arabischen Kanon. Adonis lebt heute als vielleicht bekanntester arabischer Dichter der Moderne im Pariser Exil.
Fuad Rifka, eine Zeitlang Weggenosse Adonis’, hat in den sechziger Jahren in Tübingen über die Ästhetik Martin Heideggers promoviert. Nach seiner Rückkehr in den Libanon machte er es sich als akademischer Lehrer und Professor der Philosophie in Beirut zur Aufgabe, dem arabischen Publikum eine deutsche Modernität vor Augen zu fuhren, einem Publikum, das bereits mit der anglo-amerikanischen und der französischen Modernität in Berührung gekommen war. Zu diesem Zweck führte er seine arabischen Studentinnen und Studenten in ausgewählte Werke von Kant und Hegel, Nietzsche und Heidegger ein − um nur einige Namen zu nennen. Nur auf diesem philosophischen Hintergrund ist die Auswahl aus der deutschen Dichtung verständlich, die Rifka später dem arabischen Leser präsentieren wird. Nur auf diesem Hintergrund ist auch die arabische Dichtung Fuad Rifkas zu begreifen.
Die fast tollkühne Unternehmung, Nietzsche und Hölderlin ins Arabische zu versetzen, kann nur gelingen, wenn sie mit Leidenschaft begonnen wird. Fuad Rifkas leidenschaftliche Begeisterung für deutsche Sprache, deutsche Dichtung und deutsche Kultur war also eine notwendige Voraussetzung für sein Vorhaben. Ich muß gestehen, daß mich diese Begeisterung manchmal in eine gewisse Verlegenheit bringt. Aber vielleicht ist das nicht mehr als eine politisch korrekte Beklemmung. Schon die von Rifka getroffene Auswahl verbürgt, dass seine leidenschaftliche Germanophilie nie zur Deutschtümelei verkommt.
Vielleicht darf ich an einem einzigen Beispiel verdeutlichen, was in einer solchen Übertragung vom Deutschen ins Arabische geschehen kann:

»... Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.«

Diese Zeilen aus der ersten Duineser Elegie atmen in der arabischen Version Fuad Rifkas sehr genau die distanzierte Kühle des deutschen Texts. Das deutsche Wort »Engel«, in dem sich jüdische und christliche Assoziationen überlagern, gewinnt in der arabischen Übertragung notwendig eine koranische Dimension dazu – niemand kann auf arabisch schreiben, ohne daß der Koran mitspräche. Das bleibt wahr, auch wenn Fuad Rifka persönlich einen christlich-arabischen biographischen Hintergrund hat. Wenn es bei Rilke den Engel in die säkularisierte Moderne verschlägt, dann leuchtet dieser Engel im Schimmer der jüdisch-christlichen Tradition. In der arabischen Übertragung liegt auf ihm noch ein zusätzlicher, islamischer Glanz. Der in jeder Übersetzung unvermeidliche poetische Substanzverlust läßt sich durch eine zusätzliche dichterische Farbe wettmachen. Die Gedichte Rilkes »leuchten« − und ich wage zu sagen: auch die arabische Übertragung leuchtet – nur bricht sich das Licht in diesem Leuchten anders als in jenem. Glanz und Leuchten gibt es in der poetischen Übersetzung freilich nur um den Preis der Präzision. Die Sorgfalt der Übertragung ist eine der großen Tugenden des Übersetzers Fuad Rifka. Es mag auf einer Art höherer poetischer Gerechtigkeit beruhen, daß die arabischen Gedichte Fuad Rifkas dem deutschen Leser in zwei besonders sorgfältigen und einfühlsamen Übersetzungen vorliegen.
Beim Beurteilen von übersetzter Poesie sollte man den Vers Was bleibet aber, stiften die Dichter gewiß nicht in dem Sinn zum Motto nehmen, daß einzig der Dichter der geborene Übersetzer von Poesie, daß nur der Dichter der Schöpfer einer Übersetzung, die »bleibet«, wäre. Aber bei Fuad Rifka ist die oft nur ideal scheinende Verbindung von Dichter und Übersetzer tatsächlich geglückt. Dabei mag ihm ein besonderer Umstand zu Hilfe gekommen sein. Vielleicht ist deutsche Poesie dann weniger schwer ins Arabische zu übertragen, wenn sich der deutsche Dichter als Prophet zeigt, wenn er den Gestus des Dichter-Propheten annimmt. Die moderne arabische Poesie liebt diesen poetischen Ton. Eine gewisse Schwerblütigkeit, ein gewisses prophetisches Pathos wird man der von Rifka getroffenen Auswahl aus der deutschen Poesie kaum absprechen wollen. Friedrich Gundolf, der dem Fuad Rifka zu verleihenden Preis den Namen gibt, war einem der prophetischsten Dichter in deutscher Sprache, nämlich Stefan George, nahe verbunden. Vielleicht hätte also auch Gundolf seine Freude an der prophetischen Perspektive der Übertragungen Hölderlins und Nietzsches durch Fuad Rifka gehabt.
Wenn ich zum letzten Mal das Hölderlinsche Vermächtnis Was bleibet aber, stiften die Dichter zu Ehren Fuad Rifkas zitiere, so möchte ich dankbar und vielleicht eine Spur unehrerbietig hinzufügen: ein wenig stiften, was bleibet, auch die Akademien. Denn wenn sie stiften, fällt es dem Dichter leichter, zu bleiben.