Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Feng Zhi

Germanist, Poet and Translator
Born 17/9/1905
Deceased 22/2/1993

Ihm, der noch bei Friedrich Gundolf studierte, ist es zu verdanken, daß sich die deutsch-chinesische Literaturbeziehung vertiefen konnte.

Jury members
Kommission: Beda Allemann, Roger Bauer, Eduard Goldstücker, Lea Ritter-Santini

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Rolf Trauzettel
Sinologist, born 1930

Dichtender Gelehrter, gelehrter Dichter und Übersetzer

Die Geburt der Germanistik in China erfolgte in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts, und entscheidende Hebammendienste dazu leistete die Rezeption von Goethes Die Leiden des jungen Werthers. Wofür ist ein solches Phänomen signifikant? 1922 war in Shanghai die erste vollständige Übersetzung des Romans erschienen, von dem sogleich eine faszinierende Wirkung auf viele junge Intellektuelle ausging. Auch Feng Zhi las den Roman laut eigenem Bekunden »mit großer Leidenschaft« und wurde so auf die deutsche Literatur aufmerksam. Das akademische Klima Chinas stand damals im Zeichen intensiver Aneignung europäischer Philosophie und Literatur. Die soziale und politische Instabilität der 1912 gegründeten Republik, die demütigende Behandlung der chinesischen Delegation auf der Versailler Friedenskonferenz, das Einströmen sozialistischen Ideenguts auf dem Umweg über Japan, die Oktoberrevolution in Rußland, der Kampf um die Umgangssprache als neuer Literatursprache − dies alles wirkte mit am Zustandekommen einer Mentalität, die auf Verzweiflung und Selbstsuche gestimmt war. Es wäre zu erwarten gewesen, daß die literarische Jugend gerade deshalb die Tradition zeitgemäß wiederbeleben würde, wonach die Literatur dazu da sei, das Moralgesetz zu befördern (wen yi zai dao). Doch war dieser Weg zu sehr aus sich selbst heraus destruiert worden, um sogleich erneut begangen werden zu können. Im reifen Alter erst hat Feng Zhi zu ihm gefunden, indem er sein gesellschaftliches, politisches, moralisches und poetisches Leben in einen sichtbaren Knoten zusammenknüpfte. Als junger Mann aber, der 1905 unweit von Peking Geborene nahm 1923 dort das Deutsch-Studium auf, als Achtzehnjähriger also überließ er sich jener Nebenströmung, die den konfuzianischen Hauptstrom stets begleitet hatte. In ihr begriff man die Literatur als Medium des Gefühlsausdrucks (shi yan zhi). Goethes Werther, von dieser Strömung aufgenommen und ihr starke Impulse gebend, beflügelte den Willen zur Subjektivität, wie noch keine chinesische Jugend zuvor von ihm ergriffen worden war.
In Feng Zhis frühem lyrischen Schaffen zeigt sich beispielhaft, wie die neue Subjektivität sich keineswegs zu Sturm und Drang befreite, vielmehr sich an der harten Wirklichkeit Chinas brach und in Melancholie flüchtete. Nach ersten Gedicht-Veröffentlichungen 1923 publizierte er 1927 die Lieder aus dem Gestern, zwei Jahre darauf den Zyklus Reise in den Norden und andere Gedichte. Aus der Krise, wie sie in dieser Lyrik sich manifestierte, rettete sich Feng Zhi durch die Reise nach Deutschland und die Zuwendung zur Germanistik. Im Herbst 1930 nahm er das Studium in Heidelberg auf, wo er noch bei Friedrich Gundolf hören konnte und Karl Jaspers einer seiner akademischen Lehrer wurde. Nach einem Zwischenaufenthalt in Berlin ging er zurück nach Heidelberg, beendete seine Studien mit einer Promotion über Novalis und kehrte im Sommer 1935 nach China zurück.
Auch in den folgenden Jahren dominierte der Germanist über den Dichter. Es entstanden eine Reihe von Einzeluntersuchungen namentlich zu Goethes Werken. In deren Exegese äußert sich sehr klar und überzeugend sein Bestreben, die Rezeption des Fremden in einen Akt der Anverwandlung für sich und der Vermittlung für seine Nation hinüberzuleiten. Dazu wollte und mußte er zurückgehen in die beiden Traditionen der chinesischen Literatur, der sozial verpflichteten und der um Selbstausdruck ringenden. Deren Versöhnung wurde ihm zur Voraussetzung für eine schöpferische Aneignung deutscher Literatur. In Goethe, so glaube ich zu erkennen, fand Feng Zhi ein Kunst- und Weltverständnis, das dem seinigen entgegenkam. Beeindruckend ist es zu sehen, daß dabei die manchmal unvermeidlichen, weil aus der großen kulturellen Differenz hervorgehenden Mißverständnisse sich als produktive erweisen. Goethes Altersformel vom »offenbaren Geheimnis« faßt er auf als ein universales Prinzip. Er spürt ihm nach auf eine Weise, daß es sich berührt mit der chinesischen Konzeption der Bipolarität von innen und außen, die wiederum zurückverweist auf Goethes:

»Nichts ist drinnen, nichts ist draußen:
Denn was innen das ist außen.
So ergreifet ohne Säumnis
Heilig öffentlich Geheimnis.«

In der Dialektik von Besonderem und Allgemeinem läßt Feng Zhi ein andermal Goethe und die chinesische Dichtung einander begegnen. Hier spürt man den Widerhall von der Atmosphäre der frühen Lyrik, in der das Individuum in China sich gegen die stete, auch unausgesprochen präsente Forderung der Gesellschaft mühsam behaupten muß.
Deshalb übte Goethes Begriff der Metamorphose eine starke Anziehungskraft auf Feng Zhi aus, der er auch in den Schlußversen eines Goethe gewidmeten Sonetts Ausdruck verleiht:

»Warum Schlangen nur durch Häutung wachsen;
Alle Dinge befolgen deine Sentenz,
Des Lebens Sinn: Stirb und werde.«

Neben Goethe war es vor allen anderen Rilke, der ihn in seinen Bannkreis zog. Das Zauberwort, mit dem ihn Rilke, wie Feng Zhi selbst einmal schrieb, im Innersten traf, war die Bestimmung der Dichtungen nicht als »Gefühle«, sondern als »Erfahrungen«. Und insgeheim faszinierte ihn gewiß an Rilkes Biographie die innige Verschränkung von Dichten und Leben, das Dichterleben als ein »Heldenleben«, welchem Ideal auch chinesische Poeten nachstrebten.
Feng Zhi wurde zu einem der Väter der chinesischen Germanistik nicht als Philologe, sondern als Interpret. In dieser selbstgewählten Position war er sozusagen gezwungen, den eigenen Standort immer neu zu befestigen und aus der Tradition, in der er seine Wurzeln hat, zu legitimieren. Das zwang ihn förmlich, einen Beitrag zur chinesischen Literaturgeschichte zu leisten, und er tat es mit seiner »Biographie Du Fus«, die 1952 veröffentlicht wurde. Sicher ist die Wahl dieses Dichters der Tang-Zeit kein Zufall. Du Fu nimmt in der chinesischen Dichtung eine Stellung ein und wird von den Bildungsschichten auf eine Ranghöhe gehoben, die derjenigen Goethes bei uns vergleichbar ist. In einem späteren Aufsatz hat Feng Zhi dann es unternommen, Du Fu und Goethe einander anzunähern, obwohl er beider Unvereinbarkeit durchblicken läßt. Aber der Sinn dieses etwas gewaltsamen Unterfangens liegt recht eigentlich im gewollten Transzendieren beider Dichtergestalten in einen idealen Raum, der den goetheschen Begriff der Weltliteratur um die Dimension des Utopischen erweitert.
Zur Rezeption der fremden Literatur und der eigenen poetischen Produktion tritt nun noch die Translation. Rezeption als Erschließung neuer Horizonte, Produktion als Ausdruck des eigenen Selbst und dessen Vergewisserung, Translation schließlich als Anverwandlung, die zugleich auch Bewußtwerdung des Fremden als eines Fremden ist.
Hier taucht nun Heinrich Heine im Œuvre von Feng Zhi auf. Bereits 1928 hatte er die Harzreise im Winter übersetzt, seit 1956 folgte eine Reihe von einzelnen Gedicht-Übertragungen Heines, 1978 dann bringt er die Übersetzung von Deutschland − ein Wintermärchen heraus. Warum gerade Heine? Die Frage führt zu dem, was ich das unvermeidliche und gleichwohl produktive Mißverständnis genannt habe, das übrigens Feng Zhi mit anderen chinesischen Übersetzern teilt und mit noch jemand ganz anderem, mit Franz Schubert. Was von allen Genannten nicht verstanden oder aber übersehen wird, ist Heines Ironie.
Die Übersetzung, die Feng Zhi z. B. von dem Gedicht »Tragödie« (1827) gemacht hat, wo hinein Heine die verräterische Anmerkung schiebt, dies sei ein »wirkliches Volkslied«, bringt nichts von der Ironie ins Chinesische hinüber, wenn die »Vögel und die Abendwinde« in der Linde überm Grab um die Wette pfeifen. Aber in Feng Zhis zugleich schlichter und kunstvoller Version bricht produktiv durch, was Franz Schubert uns schon vorgeführt hat: er läßt alles auf gehen in Melodie und Rhythmus, woraus eine unvergleichliche Stimmung aufblüht. Man muß wissen, daß in der chinesischen Poesie und Poetik seit der Ming-Dynastie Sache und Begriff der Stimmung in steigendem Maße hoch bewertet worden sind.
Von den Übersetzungen, die während der 30er Jahre entstanden sind, seien wenigstens noch erwähnt Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und Rilkes Briefe an einen jungen Dichter.
1936 hatte Feng Zhi erstmals ein Lehramt angetreten an der Tongji-Universität in Shanghai. Die japanische Intervention in China, mit der der 2. Weltkrieg begann, überschattete und beeinflußte seinen Lebensweg. Er wich in den Südwesten des Reiches aus, wo er von 1939 bis 1946 an der Vereinigten Südwest-Universität in Kunming Deutschunterricht erteilte. In den Kriegsjahren begann er erneut mit der eigenen dichterischen Produktion.
Angeregt durch Rilkes Sonette an Orpheus versuchte er sich an dieser Form. Die siebenundzwanzig Sonette, die er 1941/42 schrieb, überraschen durch ihre gleichermaßen durchsichtige und biegsame Sprache, die man leider vor einem des Chinesischen nicht mächtigen Publikum nicht würdigen kann. Vielleicht aber vermittelt es eine Ahnung von der sprachlichen Leistung, wenn ich daran erinnere, daß damals gerade ein halbes Jahrhundert vergangen war, seitdem chinesische Schriftsteller ihre Umgangssprache gleichsam einzuschmelzen und neu zur Literatursprache zu prägen begonnen hatten.
Noch in den Kriegsjahren verfaßte Feng Zhi kleine Prosatexte unter dem Titel Landschaften und sogar einen historischen Roman. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 waren es die Forderungen des Tages, für die man ihn nun wieder als Germanisten voll beanspruchte, und denen er sich nicht entzog. Von seinen Ämtern und Ehrungen seien genannt seine Ernennung 1952 zum Direktor des Instituts zur Erforschung der Sprachen und Literaturen des Auslands und 1954 zum Professor für Germanistik an der Peking Universität.
In der Bundesrepublik verlieh man ihm 1983 die Goethe-Medaille und 1985 die Medaille der Brüder Grimm. Wenn heute die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihm den Friedrich-Gundolf-Preis überreicht, so darf ich beide, zuerst Feng Zhi und dann die Akademie, dazu herzlich beglückwünschen.