Friedrich-Gundolf-Preis

The »Friedrich-Gundolf-Preis« has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1964.
As a »Prize for German Scholarship Abroad«, for 25 years it was exclusively awarded to linguists and literary scholars at foreign universities.
However, the prize has also been awarded to persons outside of academia who are committed to imparting German culture and cultural dialog since the prize was renamed the »Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« (Prize for the Imparting of German Culture Abroad) in 1990.
The Friedrich Gundolf Prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy. It has been endowed with €20,000 since 2013.

Elizabeth M. Wilkinson

Germanist
Born 17/9/1909
Deceased 2/1/2001
Member since 1976

... als Dank für Ihre Vergegenwärtigung der Ästhetik und Dichtung der deutschen Klassik...

Jury members
Kommission: Richard Alewyn, Fritz Martini, Herman Meyer

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Hochverehrter HERR PRÄSIDENT, MITGLIEDER der AKADEMIE,
liebe KOLLEGINNEN und KOLLEGEN,
meine HERREN und DAMEN!

Mit dieser verspielten Umkehrung der verjährten Form der Anrede habe ich jene Kreuzstellung von Satzgliedern erzielt, die in der Rhetorik mit dem Namen Chiasmus bezeichnet wird. Einmal in der Hoffnung, damit etwaigen Ansprüchen auf Gleichheit, ob seitens der Frauen, oder ‒ wie es in immer zunehmendem Maße geschieht ‒ auch der Männer, entgegengekommen zu sein. Zugleich aber auch, unserem trotz sich jahrelang hinziehender Strapazen von Übersetzen, Edieren und Kommentieren dennoch teuer gebliebenen Schiller einen versteckten Tribut ›hineingeheimsst‹ zu haben. Denn gerade in jener Abhandung, Über die ästhetische Erziehung des Menschen ‒ unserer Meinung nach eines der potentiell einflußreichsten von allen in deutscher Sprache verfaßten Werken und, dem Urteil vieler außerhalb unseres Fachs stehender Autoritäten zufolge die erste, seit Platons, ernstzunehmende Theorie über die Beziehungen zwischen Politik und Kunst ‒, gerade in jener Abhandlung ist die bevorzugte rhetorische Figur nicht (wie noch immer weiter nachgeplappert wird) die zum Ausdruck unversöhnlicher Gegensätze eminent geeignete Antithese, sondern der zum Emblem der Reziprozität ‒ der niemals endenden Wechselwirkung zwischen andersgearteten, aber deshalb nicht notwendigerweise feindselig gesinnten Naturen ‒ gleichsam berufene Chiasmus.
Nun könnte das Spielerische an diesem Eingang meiner Dankrede denjenigen, die mich von alters her kennen, schon Anlaß zur Sorge gegeben haben. Sie können sich aber ruhig auf ihren Stühlen zurücklehnen! Denn ich werde mich bei meinem diesmaligen Erscheinen auf dem Podium nicht der Gefahr aussetzen, durch eine ungeziemende Ausgelassenheit die Germanistik in Verruf zu bringen. Ich werde nicht, zum Beispiel, in Gesang ausbrechen, wie einst auf einer internationalen Schillertagung in London, wo ich zur Bekräftigung meines in sonst streng wissenschaftlichem Ton gehaltenen Arguments ‒ unter eklatantem Beifall nebenbei gesagt ‒ eine Arie aus einer berühmten englischen Operette zum besten gab, welche den Ästhetizismus der 90er Jahre aufs Köstlichste persifliert. Noch werde ich, wie bei einem schon früher ’mal im Freien Deutschen Hochstift gehaltenen Vortrag über Goethes »Trilogie der Leidenschaft«, das Feierliche dieses Beisammenseins unterbrechen, indem ich die Bedingungen aufzähle, die ich Sankt Peter stellen werde, bevor ich ihm erlaube, mir den Eingang durch die Himmelspforte zu gestatten. Unter anderen, mehr frivoler Natur: tägliche Gespräche mit Goethe, damit ich ihn ewig um Verzeihung zu bitten imstande bin, daß ich dem sublimsten Liebesgedicht der Weltliteratur einen derartigen Untertitel beilegte. Als »Beitrag zur Frage der Katharsis« hieß der nämlich. Du lieber Gott! Was wir Germanisten uns nur für Probleme ausklügeln!
Diese meine ‒ wohl etwas verspätete ‒ Wendung zur mäze wäre allein schon durch die akademische ambiance dieser »heiligen Hallen« geboten. Andererseits entspringt sie jedoch auch einem Einblick in die Realitäten des Lebens, den Goethe schon seinem nach Weisheit immer strebenden, dieselbe aber nie erhaschenden Faust nicht zu versagen, geneigt war ‒

»Nun aber geht es weise, geht bedächtig, ‒«

den er selbst aber durch die ‒ in diesem Fall mehr als scheinbare ‒ Direktheit der lyrischen Form mit nur schwer akzeptabler Nüchternheit in einem seiner Divangedichte zum Ausdruck brachte:

»Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles:
Die eigentliche Lust des Sinnesspieles,
Erinnerung des allerliebsten Tandes
Von gestern, weit- und breiten Landes
Durchschweifen frommt nicht mehr;«

Hier muß ich aber innehalten. Denn der Dichter fährt dann fort:

»selbst nicht von oben
Der Ehren anerkannte Zier, das Loben,
Erfreulich sonst...«

Und obwohl ich ihm auch das nachempfinden kann, ja bei Gelegenheit auch nachempfunden habe, so will es heute einfach nicht stimmen. Im Gegenteil: die mir von der Akademie erwiesene Auszeichnung kommt »wie ein reines Glück, ungebeten, unerfleht...« Als Freude also. Aber auch als Fortuna. Denn ich kann mich von einem seltsam ungewohnten Gefühl der Hochstapelei nicht entlasten. Und zwar aus dreifachem Grunde.
Zum Ersten! Es sind mir zwei, womöglich eng verwandte Tatsachen nicht entgangen: die bisherigen Träger dieses Preises sind alle männlichen Geschlechts gewesen; wir stehen jetzt mitten im Internationalen Jahr der Frau. Somit könnte es scheinen, als sei mir die Rolle der sogenannten ›statutory woman‹ erteilt worden (wie heißt das nun auf deutsch? ‒ der aus Paritätsgründen obligatorische weibliche Repräsentant?) Und das zum ersten Mal! Denn obwohl es schon vorgekommen, daß ich mich als einzige Frau auf irgendeiner Behörden- oder Ausschußsitzung befunden habe, so geschah das bis jetzt immer ex officio: ich erschien dort nämlich als erste Inhaberin eines Lehrstuhls in unserem angeblich so progressiven University College London. Nun wäre es ein Leichtes, diese Wende in meinem Schicksal als Sieg für die Frauenbewegung zu deuten. Leicht ‒ aber langweilig! Denn so wichtig die gesetzlichen Maßnahmen auch sein mögen (und in meiner Unterstützung derselben stehe ich niemandem nach), so muß ich als Schillerforscher doch aufrichtig erklären, daß es bei den zwischenmenschlichen Beziehungen meist auf eine ganz andere Dimension ankommt. So möchte ich im gegenwärtigen Zusammenhang glauben, daß die Mitglieder der Kommission sich des »schönen Scheins« bewußt waren. Und im Schillerschen Sinne kann das nichts anderes heißen, als sich des »aufrichtigen« Scheins bewußt zu sein. Mit anderen Worten: ich hoffe schon ‒ ja, ich schmeichle mir sogar, glauben zu dürfen ‒, daß sie ganz genau wußten, daß mir diese Koinzidenz nicht entgehen würde!
Als zweite Ursache meines hochstaplerischen Gefühls erwähne ich die Kollaboration. Wäre ich nun selber Mitglied der betreffenden Kommission gewesen, so hätte ich auf dieser als Hauptgrund gegen meine Wahl bestanden. Denn ein guter Teil meiner Forschungsergebnisse sind durch Zusammenarbeit produziert worden. Ab und zu mal in Zusammenarbeit mit jüngeren Kollegen; zehn Jahre und mehr mit der kanadischen Anglistin Kathleen Coburn, Herausgeberin der »Sudelbücher« von Samuel Taylor Coleridge sowie der Gesamtausgabe seiner Werke. Hauptsächlich und vor allem aber, und ganze fünfunddreißig Jahre hindurch, mit dem Doyen der englischen Germanistik und seit langer Zeit schon Mitglied dieser Akademie, Professor Leonard Ashley Willoughby, der nur allzu gern anwesend gewesen wäre, um sich mit den Augen des Leibes an der Feier seiner ehemaligen Schülerin zu weiden, der sich aber mit seinen 90 Jahren bei aller Rüstigkeit den Strapazen der Reise nicht aussetzen konnte. Mit dem Zusammenarbeiten hat es nun seine eigene Bewandtnis! Und hier ist weder Zeit noch Ort, sich des längeren darüber auszulassen. Aber ich empfehle es Ihnen, meine Damen und Herren, ich empfehle es Ihnen. Einmal, weil es die Philologie wieder in jene »fröhliche Wissenschaft« verwandeln könnte, die sie ursprünglich hat sein sollen, selten aber geblieben ist: auch bei den ärgsten Schwierigkeiten der Schillerschen Sprache haben Herr Willoughby und ich alles in allem genommen mehr gelacht als geweint! Dann aber, und vor allem, weil Kollaboration im Kleinen tatsächlich das verwirklicht, was man für die Wissenschaft als Ganzes gern voraussetzen möchte und eigentlich voraussetzen sollte, in den Geisteswissenschaften jedoch allzu selten als gangbare Praxis verwirklicht findet: menschliche Kooperation nämlich einzig und allein um der Wahrheit willen. Ein derartiges Zusammenarbeiten bewahrt vor Willkür wie vor Neid, vor Introversion wie vor jener Einzelgängerei, welche neuerdings und in alarmierendem Maße zum Fluch unseres Fachs geworden ist.
Schließlich nun, und zum Dritten! Es will mir beinahe scheinen, als hätte ich den falschen Preis bekommen. Nicht, daß ich Herrn Meyer-Clason Konkurrenz machen möchte! Aber in den letzten Jahren habe ich ‒ so werfe ich mir zuweilen vor ‒ ungebührende Mühe und Zeit an die Übersetzungsarbeit verschwendet. Übersetzung, nicht nur aus dem Deutschen ins Englische, sondern auch aus unseren eigenen in englisch verfaßten und allein für ein englisches Leserpublikum bestimmten Arbeiten ins Deutsche. Wenn mich wegen Mangel an noch übrig bleibender Zeit derartige Sorgen mitten in der Nacht zu quälen beginnen, so tröste ich mich mit folgenden Gedanken: Alles Übersetzen ist ein Vermitteln. Jeder ausländische Germanist sollte nach meiner Überzeugung einen schielenden Blick pflegen. Mit dem einen Auge sehe er unverwandt auf das Fach und versuche das Niveau der einheimischen Germanisten annähernd zu erreichen. Mit dem anderen aber sehe er auf seine Landsleute und versuche, ihnen durch Mittel, welche es auch seien, deutsche Kultur anheimzubringen, damit sie sich Fremdes aneignen. Geht er dann später auf den Vorschlag ein, eben diese ursprünglich nur für seine eigenen Landsleute verfaßten Sachen einem deutschen Publikum zugänglich zu machen, so geschehe dies nur im Sinne der »Widerspiegelung« und als Beitrag zu dem, was Goethe im weitesten Sinne des Wortes »Weltliteratur« nannte.
Und alles Übersetzen beruht auf einem Deuten. Ob das nun aus purer Neigung oder aus Mangel an Talent herrührt, weiß ich nicht: unbestreitbar aber bleibt, daß es von den zwei Enden des Vermittlungsprozesses der deutende Pol ist, der mich von jeher fasziniert hat. Zum Teil vermutlich, weil ich aus einem mir ein für allemal ein verleibten Geist des Widerspruchs der Vernachlässigung desselben beim Studium der Fremdsprachen entgegenwirken möchte. So bekommen meine Studenten bis zum Überdruß jene Betrachtung von mir zitiert zu hören, die Goethe seine Ottilie in ihrem Tagebuch aufzeichnen läßt: »Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.«
Nun sollte dies, so möchte ich meinen, auch von Geschenktem gelten. Und in eben diesem Sinne, verehrter Herr Präsident, nehme ich den mir heute verliehenen Preis freudig und dankbar hin, wie er gegeben wird, wie er sicherlich auch gemeint war. Als eine Ehre nämlich, die nicht nur mir allein zugedacht wurde: sondern auch meinem lieben, meinem so duldsamen wie geduldigen collaborateur (bei meinem Temperament hat er auch reichlich Geduld gebraucht); dem Germanistischen Seminar des University College London, mit dem wir beide nun durch eine Art Filiation (um einen echt Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen) seit 1902 assoziiert sind; und der englischen Germanistik, die wir auf unsere Fasson zu repräsentieren versucht haben. Und sollte diese meine Dankrede Mitgliedern der Akademie teils als zu frivol erschienen sein, so möchten sie bitte bedenken, daß bei mir ‒ wie bei Euren großen Klassikern übrigens auch ‒ Spiel nicht von Ernst, Ironie nicht von Liebe zu trennen ist.