Johann-Heinrich-Voß-Preis

STATUT

§ 1
Der Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung würdigt seit 1958 ein übersetzerisches Lebenswerk oder herausragende Einzelleistungen.

Der Preis wird vom Land Hessen gestiftet und ist mit 20.000 Euro dotiert. Er wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung der Akademie vergeben.

§ 2
Der Johann-Heinrich-Voß-Preis berücksichtigt Übersetzungen aus allen literarischen Darstellungs­formen. Ausgezeichnet werden Übersetzungen in die deutsche Sprache. Die auszuzeichnende Übersetzung bewegt sich auf dem künstlerischen und sprachlichen Niveau des Ausgangstextes und stellt eine eigene sprachschöpferische Leistung dar.

Eigenbewerbungen sind nicht möglich.

§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden. Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.

§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Johann-Heinrich-Voß-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.

Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Johann-Heinrich-Voß-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.

Das Land Hessen ist mit einem Vertreter bzw. einer Vertreterin beratend an der Entscheidung beteiligt. Die Bekanntgabe erfolgt über eine gemeinsame Pressemitteilung.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 2. November 2022

Armin Eidherr

Jiddist, Germanist, Übersetzer und Schriftsteller
Geboren 1.1.1963

Armin Eidherr, der mit Einfühlungsvermögen und Phantasie sehr unterschiedliche Werke der jiddischen Literatur ins Deutsche übersetzt hat...

Jurymitglieder
Kommission: Joachim Kalka, Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels, Roswitha Matwin-Buschmann, Lea Ritter-Santini, Michael Walter

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Bergung verborgener Schätze

Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit einem herzlichen Dank und den Worten »Sie haben mir mehrere Monate freier Arbeitszeit verliehen. Es ist das Wichtigste, was ich brauche« schloß Hans Wollschläger 1976 seine In diesen geistfernen Zeiten betitelte Rede anläßlich der Verleihung des Literaturpreises der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Wenn ich meine Rede heute so beginnen kann, dann rührt es daher, daß jene in ihren Grundaussagen in keiner Weise an Gültigkeit verloren hat und deswegen nur ein Verweis auf In diesen geistfernen Zeiten nötig ist, um sich − Ihnen und mir − die eigentlich so am Herzen liegenden Ausführungen zur »materiellen Situation« besonders der literarischen Übersetzer zu ersparen.
Erspart werden sollen Ihnen auch meine (mir nicht so sehr am Herzen als einigermaßen am Hirn liegenden) Betrachtungen zum Verhältnis von Übersetzungstheorien zur Übersetzungspraxis. Wenn man sich lange genug mit der Materie herumgeschlagen hat, darf man, Karl Dedecius zitierend, gleich zu einem Fazit kommen: »Das Mißtrauen gegen die Heilsamkeit der Theorie bleibt unbeseitigt. Die Praxis profitiert wenig davon.«
Als Isaac Bashevis Singer 1978 der Nobelpreis überreicht wurde, hielt er seine (immer wieder nachlesenswerte!) Rede auf englisch. Nur einen Satz sagte er auf jiddisch; und der bringt mich schon zum Kern meiner ersten Ausführungen: »der grojsser koved, woss di schwedische akademje hot mir ongeton, is ojch an onerkenung fun jidisch, a loschn fun goleß, on a land, on grenzen, nischt geschtizt fun kejn schum melucheh.« (Die große Ehre, welche mir die Schwedische Akademie erwiesen hat, ist auch eine Anerkennung des Jiddischen, einer Sprache der Diaspora, ohne Land, ohne Grenzen und von keinerlei Regierung gestützt.)
Wenn den Voß-Preis, der dieses Jahr zum dreiundvierzigsten Mal verliehen wird, erstmals ein Übersetzer aus dem Jiddischen bekommt, läßt sich das gewiß auch als Ausdruck einer Wertschätzung des Jiddischen verstehen. »Das Jiddische« meint hier nicht nur eine Sprache, sondern alles, was zu der mit ihm verbundenen Kultur gezählt werden kann: Traditionen, Geschichte, verschiedenerlei Lebensanschauungen und Lebenswelten, Musik, Literatur usf. Hoch einmal möchte ich dazu I. B. Singer (mit dem letzten Absatz seiner Nobelpreisrede) zitieren: »Yiddish has not yet said its last word. It contains treasures that have not been revealed to the eyes of the world. It was the tongue of martyrs and saints, of dreamers and cabalists − rich in humor and in memories that mankind may never forget. In a figurative way, Yiddish is the wise and humble language of us all, the idiom of the frightened and hopeful humanity.«
Es gäbe noch manches anzuführen, was eine tiefere Auseinandersetzung mit der jiddischen Kultur − gerade in unseren von megalomanischen, »jung-dynamischen« Gewinnmaximierungsimperativen, von der Verödung vor »informations«-triefenden Bildschirmen und von aus Geist- und Seelenverwässerung geborenem »Fun«-Nachjagertum gekennzeichneten Zeiten – wünschenswerter erscheinen ließe. Besonders die jiddische Literatur bietet sich für eine solche Auseinandersetzung an. Und gerade sie enthält noch so viele Schätze, die vor den Augen der Welt verborgen sind. Der Übersetzer kann bei ihrer Bergung behilflich sein.
An dieser Stelle muß man nun aber etwas prosaischer werden: In den deutschsprachigen Ländern hat in den letzten Jahrzehnten das Interesse am Jiddischen – weshalb und wie auch immer sei hier dahingestellt − kontinuierlich zugenommen; man lehrt es an zahlreichen Universitäten, und die wissenschaftliche Forschung ist weit gediehen. Wer sich für jiddische Phonetik, Fragen der Edition altjiddischer Epen, slawische Bestandteile und Strukturen im Jiddischen interessiert, dem kann reichlich aufschlußreiche Literatur zu solchen und anderen Themen gereicht werden. Gute beziehungsweise überhaupt Übersetzungen selbst nur der zentralen Werke der jiddischen Literatur sind dagegen eine Seltenheit. Und wer etwa ein halbwegs taugliches, halbwegs umfassendes, auch dem Übersetzer zunutze kommendes Jiddisch-Deutsches Wörterbuch sucht, der wird nicht fündig werden, weil es nie eines gab und bis heute nicht gibt. Dabei wäre die Schaffung eines solchen eine vorrangige Notwendigkeit.
Auch dazu ließe sich nun vieles begründend ausführen und noch manch anderer Punkt anfügen.
Ich möchte aber zu einigen persönlicheren Bemerkungen zu meiner Freude über den Preis übergehen. Es ist nämlich der erste literarische Preis überhaupt, der mir zuteil geworden ist; was übrigens auch meine Schuld ist: Denn normalerweise − so ist es zumindest in Österreich − muß man sich dafür (mehr oder minder demütigende und kriecherische Prozeduren dabei in Kauf nehmend) bewerben, was ich aus gewissen, sehr unterschiedlichen Gründen nie gemacht habe. Nun ereilt einen aber der Voß-Preis... In meinem Falle war das etwas mir besonders Angenehmes, weil ich mich dem eigenartigen Mann, nach welchem der Preis benannt ist, immer sehr verwandt gefühlt habe: Eine sehr heimliche Zuneigung übrigens – bedenken Sie, daß ich auch Germanist bin und Voß bis heute noch eines der schwarzen Schafe für die Germanistik geblieben ist. Nicht allein den die deutsche Sprache bereichernden und auffrischenden Übersetzer Voß schätze ich – und beneide ich – nicht zuletzt deshalb, weil er es sich noch leisten konnte, sich nötigenfalls für die Übersetzung von acht Hexameterversen vierzehn Tage Zeit zu nehmen, bis sie dann dastanden, wie sie dazustehen haben..., sondern auch den stark- und starrköpfigen, unbeirrbaren und unbequemen Aufklärer mit seiner Verachtung der wachsenden »Wüsten der Ritter- und Mönchsbarbarey«, den ironischen bis sarkastischen Epigrammatiker und auch den deutschen und plattdeutschen Idylliker. Das »auch« drückt vielleicht etwas vom »Beschämtsein« aus, das bei solchen »Geständnissen« als Empfindung erwartet wird... Nein, weg damit, mit dem Beschämtsein nämlich. Voß’ Idyllen können etwas Schwarzgallenbesänftigendes, Aufheiterndes, ja sogar hie und da etwas irgendwie haikuhaft »Erleuchtendes« haben – man muß sie nur richtig lesen können...
Voß, der Übersetzer und Schriftsteller, der übersetzende Schriftsteller – für mich ist er ein verehrter »Verwandter im Geiste«. Ich bin der Überzeugung, daß wirklich gute literarische Übersetzungen nur dann entstehen, wenn der Übersetzer neben allen sonstigen Voraussetzungen »eigentlich« auch Schriftsteller – um nicht zu sagen: Dichter – ist. Daß fast alle großen Schriftsteller – von Brockes über Goethe und Voß, von Wieland über Platen, Rückert und Mörike, von Zweig über Zech bis hin zu Arno Schmidt und Hans Wollschläger, Hermann Hakel und Erich Hackl – immer auch gute Übersetzer waren beziehungsweise sind −, läßt das eine Behauptung von Zusammenhängen zu, die in überspitzten, immer so auffällig aggressiv verteidigten Originalgeniekonzeptionen freilich keinen Platz haben? Daß nämlich das, was das Übersetzen lehrt, lehren müßte, und erfordert – die Verpflichtung gegenüber und den Dienst an einer den kulturellen Provinzialismus ablehnenden, Vorurteilen entgegentretenden humanistischen Tradition, die Beherrschung verschiedener Stile, die lebenslange Vertiefung von Sprachkenntnissen −, unverzichtbare Bestandteile des schriftstellerischen Persönlichkeitsprofils ausmachen.
Mit dem Voß-Preis werden übersetzerische Werke ausgezeichnet, die, wie es heißt, »von schriftstellerischem Rang sind«. Das klingt einem wahrlich angenehm; beinhaltet neben dem Anerkennenden aber auch Anforderung, Auftrag, und sollte ewiger Ansporn sein – anzusteuerndes Ideal eines jeden literarischen Übersetzers.
Ich danke Ihnen!