STATUT
§ 1
Der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa zeichnet seit 1964 Gelehrte aus, deren Werk nicht nur durch seinen geistigen Rang, sondern auch durch die Qualität seiner wissenschaftlichen Prosa besticht.
Der Preis wird getragen von der ENTEGA Stiftung und ist aktuell mit 20.000 EUR dotiert. Er wird jährlich im Rahmen der Herbsttagung verliehen.
§ 2
Der Sigmund-Freud-Preis wird vergeben für herausragende Beiträge zur Entwicklung des Deutschen als Sprache der wissenschaftlichen Publizistik. Er wird für deutschsprachige Originalveröffentlichungen vergeben, die sich durch ihre wissenschaftliche und ihre stilistische Qualität gleichermaßen auszeichnen. Er kann Werke aus allen Disziplinen berücksichtigen.
§ 3
Das Vorschlagsrecht liegt in den Händen der Jury.
§ 4
Die Jury besteht aus dem Erweiterten Präsidium der Akademie.
Die Jury berät über die vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten in einem mehrstufigen Verfahren.
Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 18. Februar 2021
Sprachwissenschaftler
Geboren 18.5.1940
Mitglied seit 1998
So schwierig der Gegenstand auch sein mag, Peter Eisenberg, der Aufklärer deutscher Sprache, schreibt stets klar und kundig, anschaulich und elegant – wissenschaftliche Prosa im besten Sinne.
Jurymitglieder
Juryvorsitz: Präsident Heinrich Detering
Vizepräsidenten Aris Fioretos, Wolfgang Klein, Gustav Seibt, Beisitzer László Földényi, Michael Hagner, Felicitas Hoppe, Per Øhrgaard, Ilma Rakusa, Nike Wagner
Laudatio von Manfred Bierwisch
Linguist, geboren 1930
Es kommt nur gelegentlich vor, dass die Sprache als solche, nicht ihr souveräner oder depravierter Gebrauch, sondern die Elemente und die Regeln, auf denen sie beruht, ins öffentliche Interesse gerät. Räsoniert wird dann nicht über guten oder schlechten Stil, sondern geradewegs über die Wörter, ihre Schreibweise, ihre Regelhaftigkeit. Einen Streit dieser Art, der nach verräterischer Stille heftig eskalierte, ergab um die letzte Jahrhundertwende das Desaster mit der Rechtschreibreform, in dem die Verbesserung der Orthographie auf verquere Weise zum Politikum geworden war.
Ein anderes, eher kontinuierliches Problem, das die Öffentlichkeit aber schubweise erregt, ist der Streit darum, ob die Sprache durch vermeintliche oder tatsächliche Überfremdung verunstaltet wird, derzeit vor allem durch zu viele Anglizismen. Dieses Streitthema ist sehr alt, und es wird immer wieder neue Varianten haben, den Schüben sich verändernder Lebensumstände entsprechend.
Peter Eisenberg hat in den beiden genannten Kontroversen entschieden und entscheidend Stellung bezogen. Dass der deutschen Sprache einige Verkrampfungen bei den Vereinbarungen darüber, wie man sie richtig schreibt, am Ende erspart geblieben sind, dafür hat Peter Eisenberg mit viel Energie und unverdrossener Ausdauer gewirkt. Ein Glanzstück konnte das korrigierte Debakel nicht mehr werden, aber die Vernünftigkeit des kleineren Übels, mit dem wir nun leben, verdankt ihm viel.
Eine ganz andere Sache ist die begründete Sorge und die unbegründete Hysterie um die Überfremdung der deutschen Sprache mit Anglizismen und anderen Ärgernissen. Die Vielfalt, der Druck und die Zähigkeit der Faktoren, die da im Spiel sind, lassen sich nicht durch Verordnungen und mehr oder weniger geeignete Maßnahmen aus der Welt schaffen. Peter Eisenberg hat die Probleme, an denen man sich da reibt, zu einem aufschlussreichen, faszinierenden Sachthema gemacht, sodass man auch unabhängig vom jeweiligen Anlass neue Einsichten über eigentlich gut Bekanntes gewinnt.
Zu der Souveränität, die das möglich macht und auf der auch seine Intervention beim Orthographie-Debakel beruhte, ist Peter Eisenberg auf ganz eigenem Weg gelangt. Er hat sich der Sprache gewissermaßen elementar, von der phonetischen Grundlage her genähert, und er hatte zunächst auch gar nicht die Sprache, sondern die Laute im Sinn, eher die Musik als die Rede. Denn seinen Einstand hat er als Tonmeister und Diplomingenieur für Informatik und Nachrichtentechnik gegeben. Nach welchen Gesetzmäßigkeiten schwingen eigentlich die Saiten eines Streichinstruments, wenn der Bogen darüberstreicht? Diese zuvor gar nicht ernsthaft untersuchte Frage gehörte zu den Problemen, mit denen sich der Student Eisenberg an der Musikhochschule experimentell befasst hat. Von Grammatik und Orthographie war da erst mal keine Rede. Allerdings: In den sechziger Jahren musste sich die Sprachwissenschaft und vor allem die Germanistik überall an den deutschen Universitäten neu konstituieren, und da brachten Einwanderer aus Naturwissenschaft, Mathematik, Informatik und Technik neue Gedanken zum Tragen. Dass Peter Eisenberg aber nicht einfach einer der hilfreichen Wanderer zwischen den Welten war, das ist abzulesen an der Stellung, die er sehr bald im Fach einnahm. Einerseits zeigte er uns, den Fachkollegen, aber auch den Studenten und den interessierten Außenstehenden auf ganz unprätentiöse Art, wie einleuchtend übersichtlich man grammatisches, orthographisches und überhaupt sprachliches Wissen darstellen kann, und zwar so, dass der keineswegs simple wissenschaftliche Anspruch nicht zur Belastung, sondern zum einsehbaren Gewinn wird. Sein Grundriß der deutschen Grammatik führte das schon 1986 vor.
Andererseits engagierte er sich deutlich und unüberhörbar in den Debatten des Faches, so zum Beispiel seit 1984 über anderthalb Jahrzehnte hin in der Studiengruppe Geschriebene Sprache der Reimers-Stiftung Bad Homburg, die sich rechtzeitig mit den strittigen Problemen der deutschen Orthographie befasste. Die mitunter widersinnigen Regeln – wieso kann man in einem Wort radfahren, muss aber in zwei Wörtern Auto Jahren? –, diese und viele andere Ungereimtheiten mussten gründlich durchdacht und mit Skepsis und Sachverstand geprüft werden. Peter Eisenberg konnte mit dem nötigen Sachwissen beurteilen, wann eine Veränderung solcher Regeln eine Verbesserung war, wann nicht. Das war nicht genug, aber es stellte sich als eine Art Rettungsanker heraus in einem erbitterten Streit, der in der Folge nicht nur die Fachschaft spaltete.
Denn die Reform der Rechtschreibung, die in unregelmäßigen Abständen beschworen wurde, war unversehens zum Politikum geworden: In einem 1980 von Österreich, der Schweiz, der DDR und der Bundesrepublik gemeinsam eingesetzten Arbeitskreis für Orthographie versuchte nämlich die DDR in ihren letzten Jahren die Orthographie zu einem Prestigeprojekt zu machen, mit dem sie ihre staatliche Gleichberechtigung demonstrieren konnte. In dem damit angesagten Klima politisch motivierter Besserwisserei konnte der für die Merkwürdigkeiten der deutschen Schreibung erforderliche Sachverstand nicht zum Zuge kommen. So entstanden Vereinbarungen, die überdies ganz unerwartet in den Strudel der deutschen Einheit gerieten und 1996 von der damit hoffnungslos überforderten Kultusministerkonferenz als Reform beschlossen wurden. Es hat lange, zu lange, gedauert, bis die Öffentlichkeit auf das Debakel reagierte. In den nun einsetzenden Reparaturbemühungen hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit ihrem damaligen Präsidenten Christian Meier der Vernunft eine deutliche Stimme zu geben versucht. Den Kompromissvorschlag, den die Akademie dann 2003 vorlegte, hätte es ohne die Sachkenntnis, die Hartnäckigkeit und die Umsicht ihres Mitglieds Peter Eisenberg nicht gegeben. 2006 führte das zum Rückbau des Dilemmas, soweit das in der verfahrenen Situation möglich war, denn die Auseinandersetzungen waren aufgeheizt und die Fronten kaum mehr verständlich. Am Ende hieß es inoffiziell auch aus der Kultusministerkonferenz, die Reform sei ein Fehler gewesen.
In dieser verworrenen Auseinandersetzung ging es zwar um die Regeln, nach denen auch wissenschaftliche Prosa zu schreiben ist, aber was da aufgeführt wurde, war keine Prosa, sondern eher verbales Karate. Dennoch war Peter Eisenbergs partieller Erfolg das Resultat von Aufklärungsarbeit, und zwar Aufklärung und Arbeit. Die Aufklärung sicherte sein inzwischen in zwei handfesten Bänden geordneter Grundriß der deutschen Grammatik, in dem Auskunft zu holen ein Vergnügen eigener Art durchaus nicht nur für Germanisten ist. Seine Detailarbeit steckte in zahlreichen Stellungnahmen und konkreten Einzelanalysen, nicht zuletzt in der Federführung des Duden-Bandes zur Orthographie.
Nicht um verfehlte Verordnungen, aber um heftig umstrittene Meinungen geht es auch im zweiten Komplex öffentlichen Sprachstreits, auf den Peter Eisenberg sich eingelassen hat: die drohende Überfremdung, verkürzt das Fremdwort. Da es hier keine amtliche Regelung gibt und zum Glück auch kein Sprachrat über reines Deutsch entscheidet, geht es beim Problem der gefühlten Überfremdung um Argumentation, also um wissenschaftliche Prosa im Sinn des Sigmund-Freud-Preises, durch den herausragender Sprachstil ausgezeichnet wird, der entscheidend zur Entwicklung des Sprachgebrauchs im Fachgebiet beiträgt, wie es in der Denomination des Preises heißt. Dafür ist Peter Eisenbergs Abhandlung über Das Fremdwort im Deutschen in doppelter Hinsicht ein glänzendes Exempel.
Natürlich verlangt ja wissenschaftliche Prosa vor allem wissenschaftliche Stichhaltigkeit; herausragend zu sein kann für die Wissenschaft nicht Auffälligkeit anstelle von Einsicht heißen. Vielmehr muss umgekehrt die Vermittlung von Einsicht das sein, was auffällt. Dass und wie dies Peter Eisenberg beim Thema sprachlicher Überfremdung erreicht, ist ein Vergnügen und ein Lehrstück besonderer Art, nicht nur in seiner unprätentiösen Formulierung, sondern auch in der Logik seines Aufbaus preiswürdig. Es lohnt sich, genauer hinzusehen.
Zunächst schafft Peter Eisenberg Raum für eine sachgemäße Erörterung durch eine scheinbar strittige These: »Fremdwörter sind Wörter der deutschen Sprache«. Dass das kein wohlfeiles Paradox ist, mit dem das Problem des Fremden eskamotiert werden soll, wird dann Schritt für Schritt, sorgfältig und oft unterhaltsam vorgeführt. Vier entscheidende Gesichtspunkte ordnen die bunte Vielfalt, die aus Wörtern mitsamt ihren Kombinationsmöglichkeiten besteht.
Erstens ist der riesige Gesamtwortschatz zu unterteilen in den Kernbereich und das Umfeld. Die Wörter des Kernbereichs legen mit ihren formalen und semantischen Eigenschaften die Grundstruktur unserer Sprachkenntnis fest. An ihr orientiert sich das Umfeld, zu dem die mannigfachen Arten von Fremdwörtern gehören.
Zweitens wird das Verhältnis von Kern und Umfeld durch zwei Grundbedingungen bestimmt: einerseits die Struktur der Wörter, andererseits die sozialen, kulturellen und sachbezogenen Bedingungen ihrer Verwendung und Bedeutung. Auch bei deutlichen Unterschieden ergibt das keine einfache Zweiteilung, sondern durch Assimilation, Integration und Umdeutung nicht nur Übergänge und Zwischenstufen, sondern auch ganz verschieden zu erklärende Phänomene, von Muckefuck, Softie und Chuzpe bis Laserchirurgie.
Drittens sind dabei für die verschiedenen Fierkunftssprachen – Griechisch, Latein, Französisch, Englisch, Jiddisch usw. – ganz unterschiedliche Anpassungen und Erweiterungen in der Empfängersprache zu konstatieren, also in der Aussprache, der Schreibung, der Grammatik und der Bedeutung des Deutschen. Für viele unentbehrliche Fremdwörter gilt, dass sie den Herkunftssprachen ihrer Bestandteile völlig unbekannt waren – Psychoanalyse, Automobilismus oder Hologramm können nicht aus antiken Texten stammen, ihre Teile aber sehr wohl. Andere – etwa Beat oder Phon – gehören nur durch das Schriftbild nicht zum Kernbereich, während Wörter wie Croissant oder Cyberspace ihre Herkunft nicht verleugnen können.
Viertens sind schließlich nicht nur die sachlichen, sondern auch die historischen Bedingungen der sehr verschiedenen Einwanderungsperioden zu bedenken: Fenster oder Keller sieht niemand mehr als Fremdwort an, wohl aber Krypta oder Pergola. Und das gilt ebenso für Anglizismen, die heute die Gemüter erregen, oder Gallizismen, für die das früher galt. Immer schon ist jedenfalls die Übernahme und Integration fremder Wörter eng mit den historisch-kulturellen Anlässen und Folgen verbunden.
Ganz unangestrengt und mit überraschenden Exempeln vermittelt Eisenberg einen Eindruck von der hier nicht einmal angedeuteten Mannigfaltigkeit der Bedingungen und Zusammenhänge und macht fast spielerisch deutlich: Die tatsächliche Vielfalt der Phänomene und der Gesamtrahmen, in den auch die strittigen Fälle gehören, machen engstirnigen Fremdwort-Alarm unsinnig. Die deutsche Sprache – und nicht nur sie – ist gut darin, Fremdwörter aufzunehmen und einzuordnen, und Eisenberg zeigt, wie sie das macht. Es ist die bewundernswerte Kunst seiner Darstellung, die Vielfalt der Aspekte und Bereiche, die dabei eine Rolle spielen, vorstellbar zu machen, und das nicht als Durcheinander und Unübersichtlichkeit, sondern als Überraschung und Reichtum der Möglichkeiten.
Wenn man sich verführen lässt – und Eisenbergs Texte haben Verführungskraft, ich habe es immer wieder erprobt –, dann entdeckt man durch die verschiedenen Fremdwörter unversehens, was man über die eigene Sprache immer schon weiß. Und man versteht, dass Sprachen seit je und immer wieder Nachbarn anderer Sprachen und anderer Interessengruppen mit ganz verschiedenen Bewandtnissen waren und sind. Man erkennt die mannigfachen Gründe und Arten der Übernahme, der Eingliederung, Anpassung und auch der Ausmusterung von Fremdem. Die Macht und Eleganz der Prinzipien, auf denen alle Sprachen beruhen, und die Kraft der Übereinkünfte, mit denen sie nach Bedarf davon Gebrauch machen, die lassen sich ohnehin nicht bürokratisch regeln. Das nicht als Defizit, sondern als Natürlichkeit der Sprache zu begreifen ist die Aufklärung, die Peter Eisenberg vermittelt.
Es wäre allerdings irreführend, Peter Eisenberg einzuschränken auf die aufgeklärte Sorge um Wörter und Regeln der Sprache, zumal sein Erfolg allemal daher kommt, dass er diese Thematik eben nicht abgetrennt hat von dem, worum es im Gebrauch der Sprache geht, also die Inhalte und Umstände der Sprachereignisse.
Worauf man aber kommen kann und wiederholt gekommen ist, das ist die alte Idee, dass Fremdwörter Einwanderer in sicherungswürdiges Terrain sind und dass es daher überraschende Parallelen der Xenophobie in Sprache und Politik gibt. Aber auch wenn man die Aversion gegen das Fremde in beiden Bereichen gleichermaßen für falsch hält, wenn man sehr wohl weiß, dass der Slogan »Das Boot ist voll« für das Lexikon so wenig zutrifft wie für die Gesellschaft, ist die Analogie falsch. Keiner weiß besser als Eisenberg, dass Wörter nichts anderes sind als spezielle Informationsstrukturen, also wiederholbare Muster, Einwanderer aber konkrete Personengruppen mit allen materiellen Konsequenzen. Integration ist ein für die beiden Welten überhaupt nicht vergleichbarer Vorgang, Und es gibt asymmetrische Abhängigkeiten, die immer wieder verschiedene Folgen bei der Übernahme und Integration haben, von der Antike über die Konsequenzen des Buchdrucks bis zur Digitalisierung und zum Internet, sodass Eisenberg aller Dramatisierung eines einzelnen dieser Vorgänge wohlüberlegt den Boden entziehen kann.
Freilich wissen wir nicht, ob das Zusammenspiel digitalisierter Technologien und gesellschaftlicher Globalisierung nicht vollkommen neuartige Bedingungen erzeugen wird, in denen dann auch Dinge, die einmal Fremdwörter waren, einen noch unbekannten Stellenwert annehmen, weil sie auf neue Weise global, nämlich überall präsent, zugehörig und fremd sind. Aber diese fatale Vision kann Eisenbergs Thema nicht sein. Zurück also zur Vielfalt der Herkünfte und Varianten der Eingemeindung, über die wir umsichtig, elegant und mit Vergnügen aufgeklärt werden.
Der Sigmund-Freud-Preis geht an einen Autor, der mit Geschick, Gespür, Scharfsinn und Freude dabei ist, die sprachlichen Mittel zu erhellen, die auch für die Wissenschaft unabdingbar sind, und der beiläufig, aber bewusst vorführt, dass das nicht in einem sperrigen Fachjargon geschehen muss. Es ist ein besonderes Verdienst des Autors, dass damit auch ein Stück genuine Linguistik gewürdigt wird, dass also auch ein Fremdwortanalytiker aufklärerisch und unterhaltsam sein kann.