Friedrich-Gundolf-Preis

STATUT

§ 1
Der 1964 begründete Friedrich­Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dokumentiert den Anspruch der Akademie, aktiv den Kulturaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (insbesondere Europas) zu fördern und mitzugestalten.

Der Preis wird aus dem Jahreshaushalt der Akademie finanziert. Er ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung vergeben.

§ 2
Der Friedrich-Gundolf-Preis würdigt hervorragende Leistungen bei der Vermittlung deutscher Kultur, insbesondere der deutschen Sprache und Literatur in nicht deutschsprachigen Ländern. Dabei können auch Übersetzungsleistungen berücksichtigt werden, die der deutschen Literatur in anderen Sprachen Wirksamkeit verschafft haben.

§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden.

Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.

§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Friedrich-Gundolf-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.

Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Friedrich-Gundolf-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.

Eigenbewerbungen sind nicht möglich.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 24. März 2021

Eduard Goldstücker

Germanist und Publizist
Geboren 30.5.1913
Gestorben 23.10.2000
Mitglied seit 1976

... die Erinnerung an das produktive Geflecht von tschechischer, deutscher und jüdischer Literatur in Prag als »untrennbarer Teil des humanistischen Kulturerbes der Menschheit« erneuert und bewahrt hat.

Jurymitglieder
Die Mitglieder der Kommission und des Erweiterten Präsidiums

Sehr verehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Da stehe ich vor Ihnen staunend und verwundert wieder einmal über den phantastisch launenhaften Lauf meines Lebens, von neuem in eine jener Lagen versetzt, die traumhaft anmuten und in denen ich mich fragen muß, ob es wirklich ich bin, der gemeint wird. Diese Frage drängt sich mir um so mehr auf, als ich weiß, wie das ist, wenn man einem Menschen eine falsche Identität aufzwingt und seine Biographie in eine Horrorstory à la Dr. Jekyll und Mr. Hyde verändert. Die Verwandlung des armen Gregor Samsa war im Vergleich damit ein harmloser Vorgang. Ein osteuropäisches Sprichwort, schlicht und weise, besagt, daß derjenige, der sich mit heißer Suppe den Mund verbrannt hat, auch in sauere Milch bläst. Verargen Sie mir es daher, bitte, nicht, wenn ich frage, ob da tatsächlich von mir die Rede ist, wenn ich der unglaublichen Wege gedenke, die mich aus meinem winzigen slowakischen Geburtsdorf hergebracht haben, wenn ich meinen Zweifel zum Ausdruck bringe, ob ich die hohe Ehrung, die Sie mir zuteil werden ließen, verdient habe.
Ich weiß, einer so eminent qualifizierten Körperschaft, wie es die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ist, soll man nicht widersprechen. Wenn ich es doch wage, so nur um laut zu sagen, was ich vor meinem Gewissen nicht verschweigen kann, nämlich, daß wenn ich meine eigene bisherige Leistung zu beurteilen hätte, würde ich sie dieser großen Auszeichnung nicht werthalten. Ich habe sie dennoch mit freudiger Überraschung und tiefer Dankbarkeit angenommen als eine Anerkennung der Bemühungen aller meiner Genossen und Kollegen, der tschechoslowakischen Germanisten, die sich es mit mir zur Aufgabe gestellt haben, zur Erforschung der Prager deutschen Literatur beizutragen. Ich betrachte mich daher als ihr Stellvertreter und möchte meinen Namen auf der Ehrenurkunde als nomen collectivum verstanden wissen.
Daraus folgt, daß der Betrag des mir erteilten Preises nicht mir persönlich gehören kann, sondern einer größtmöglichen Anzahl von wissenschaftlichen Arbeitern in unserem Lande zugute kommen sollte. Als einstiger Student und gegenwärtiger Lehrer an der Karlsuniversität zu Prag habe ich an keine geeignetere Institution denken können, um ihr den Betrag anzubieten mit der Bitte, das Geld zum Ankauf von Fachliteratur, mit besonderer Berücksichtigung der germanistischen Literatur, zu benutzen. Es war keine lokalpatriotische Sentimentalität, die mich zu diesem Schritt bewogen hat, sondern der Wunsch, mit meinen bescheidenen Kräften zum Gedeihen dieser Anstalt beizutragen. Denn die Karlsuniversität steht in der Welt, soweit ich weiß, einzigartig da im Leben des ganzen Volkes. Über sechs Jahrhunderte lang widerspiegelt sie nämlich in ihren eigenen Geschicken die wechselvollen Schicksale der ganzen nationalen Gemeinschaft, ist eine Art Dingsymbol der Nation geworden, an dem diese den Stand der eigenen Sache abmessen kann, so etwa wie die schwarzen Rappen des Michael Kohlhaas, die in seiner Geschichte wiederholt abgemagert und vernachlässigt erscheinen, wenn es um seine Sache schlecht steht und jedesmal in voller Kraft und Glanz zum Vorschein treten, wenn sein Streit hoffnungsvoll aussieht. In dieser ihrer Symbolfunktion ist die Karlsuniversität dem ganzen Volke ans Herz gewachsen und ich, als einer, dem es vergönnt wurde, dieser Institution anzugehören, möchte diesen feierlichen Augenblick hier in der Ferne nicht Vorbeigehen lassen, ohne mich vor meiner alma mater und vor dem Volke, dessen gehüteter Hort sie geworden ist, in Ehrerbietung zu verbeugen.
Indem ich Sie, Herr Präsident, bitte, den Ausdruck meiner aufrichtigen Dankbarkeit zu empfangen, kann ich nicht umhin, auf die besonderen Voraussetzungen, die die Arbeit der Germanistik in der Tschechoslowakei bestimmen, hinzuweisen. Im geschichtlichen Ablauf der deutsch-tschechoslowakischen und besonders der deutsch-tschechischen Beziehungen hat Deutschland, genauer die deutsche Nation, zu uns stets mit zwei Stimmen gesprochen. Die eine war die Stimme der humanistischen deutschen Kultur, die bereichernd und fördernd wirkte, von Luther, wenn wir dort anfangen wollen, über Herder, Goethe, Schiller, Hegel, Heine, um nur diese zu nennen, bis zu Thomas Mann und darüber hinaus bis zu Heinrich Böll. Aus Deutschland ist die mächtige befreiende Wirkung von Karl Marx und Friedrich Engels zu uns gekommen. Die andere aber war die Stimme der jeweiligen deutschen Staaten, die, wann immer sie sich stark genug fühlten, die nationalen Belange der Tschechen, ja manchmal sogar ihre bloße nationale Existenz, ernsthaft gefährdeten. Die Kultur und die Politik gingen in Deutschland kaum je Hand in Hand, weniger als bei anderen Völkern, was einen der tragischen Züge der deutschen Geschichte darstellt, der sich auf uns traurig ausgewirkt hat. Das ist ein Teil der düsteren Erbschaft, die uns auf dem Gebiet der deutsch-tschechischen Beziehungen zugefallen ist. Ein anderer ebenso unerfreulicher Teil ist die Verpestung des uns angebotenen Geschichtsbildes dieser Beziehungen durch die beiderseitige nationalistische Geschichtsschreibung zwischen etwa 1848 und 1945 mit dem Vokabular des militanten Nationalismus, das auf die Geschichte verfälschend rückprojiziert wurde. Und schließlich besteht der dritte Teil unserer unerquicklichen Erbschaft in der Tatsache, daß die deutsche Frage in unserer heutigen Welt ungelöst bleibt. Ein tschechoslowakischer Germanist kann es sich einfach nicht leisten, von diesen Gegebenheiten abzusehen, sondern muß ihnen in seiner wissenschaftlichen Arbeit stets Rechnung tragen. Solange die deutsche Frage ungelöst in der Schwebe bleibt, solange können wir, die unmittelbaren Nachbarn, nicht sorglos zu Bette gehen, denn die geschichtlichen Erfahrungen lehren uns, daß ungelöste Probleme Gefahren in sich bergen und wie Eiterbeulen, die Umwelt infizierend, bersten können.
Keiner der drei Bestandteile unseres Erbes, die ich erwähnt habe, hat bisher sein sorgenerregendes Wesen verloren. Es ist wahr, auf beiden Seiten unserer Grenze gibt es zahlreiche Menschen, die, um unser gemeinsames Heute und Morgen tief besorgt, sich um die Überwindung des Beängstigenden aus unserer Vergangenheit aufrichtig bemühen, aber gleichzeitig ertönen in der Bundesrepublik immer wieder die alten Losungen, die bereits so viel Unheil angerichtet haben, wie zum Beispiel wieder vor einigen Tagen territoriale Forderungen, die die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges nicht zur Kenntnis nehmen wollen und das ganze fatale Spiel um Millionen Menschenleben von neuem anfangen möchten. Es ist wahr, daß es heute auf beiden Seiten Historiker gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Geschichtsbild unserer gegenseitigen Beziehungen von den nationalistischen Schmuggelwaren zu säubern, aber gleichzeitig ist die Stimme der chauvinistischen Verhetzung nicht verstummt.
Seien Sie mir, bitte, nicht böse, wenn ich dieses »garstig Lied« hier ertönen lasse. Ich tue es aus der Überzeugung, daß wir, die jetzt Lebenden, zum erstenmal nach einigen Generationen die Chance haben, unsere gegenseitigen Beziehungen endlich auf eine vernünftige, menschenwürdige Grundlage zu stellen und daß wir, in der klaren Erkenntnis der schweren Last, die uns von der Vergangenheit auf gebürdet wurde, diese Chance nicht Vorbeigehen lassen sollten. Wir müßten den Mut aufbringen, endlich einmal von den von der Geschichte unserer Zeit geschaffenen Tatsachen auszugehen ‒ unter anderem auch die gemeinsame Grenze, die uns trennt und verbindet, als gleichzeitig die Grenze zweier wesensverschiedener Teile unserer heutigen Welt anzuerkennen ‒ und auf dieser Grundlage unsere Beziehungen zu regeln und dadurch zur Befriedung unseres Kontinents sowie der übrigen Welt beizutragen. All dies gehört zu dem Problemkreis eines tschechoslowakischen Germanisten, wenn er seine völkerverbindende Aufgabe richtig erfüllen soll.
Und so stehe ich da, staunend über die phantastischen Wege meines Lebens, die mich hierher geführt haben. Es sieht so aus, als ob alles schon in meinem Geburtsschein als eine Art Wasserzeichen verborgen gewesen wäre. Nur hat es mit diesem Wasserzeichen seine eigene Bewandtnis. Wann immer jemand in böser Absicht die Aufmerksamkeit darauf lenken will, muß er das Blatt gegen das Licht heben und somit den Zuschauern das Licht verstellen und verdunkeln. Das Licht der Vernunft und der Gerechtigkeit und der Freiheit.
Ich danke Ihnen nochmals, Herr Präsident, und in Ihrer Person der ganzen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für diesen freudigen Augenblick in meinem Leben. Ich danke Ihnen, daß Sie einen tschechoslowakischen Kommunisten ausgezeichnet haben. Ich danke der Stadt Köln für die freundliche Aufnahme. Denen aber, die über meine Anwesenheit in dieser feierlichen Versammlung vielleicht ihr Mißfallen äußern werden, kann ich nur die Devise des großen Florentiners entgegenhalten, der ich in meiner Jugend zuerst bei Karl Marx begegnet bin:

»Segui il tuo corso, e lascia dir le genti.«
Verfolge deinen Weg und laß die Leute reden.