The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.
Writer and Translator
Born 13/6/1957
... für seine Übertragung Racinischer Theaterstücke, die seit Lessing im deutschen Sprachraum für nahezu unübersetzbar und deswegen für unaufführbar galten.
Jury members
Kommission: Hanno Helbling, Friedhelm Kemp, Lea Ritter-Santini, Michael Walter, Hans Wollschläger
Mitglieder des Erweiterten Präsidiums
Das Schweigen zwischen den Sprachen
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
»Siehe, da trat aus dem Licht ein Unsterblicher; seine Gestalt war
Morgenglanz, durchwallend die Nebelhülle wie Nordschein;
Lorbeer kränzt ihm die Harf’ und den silberlockigen Scheitel.
Als ich den staunenden Blick abwendete, faßte der Heros
sanft mir die Hand, und in bangen Entzückungen bebte das Herz auf.
Jener begann nun freundlich und redete Laute des Himmels.«
Diese Verse, meine Damen und Herren, entstammen dem Die Weihe betitelten Proömium, das Johann Heinrich Voss der 1793 erschienenen Gesamtausgabe seiner Verdeutschung der homerischen Epen vorangestellt hat. In der Einsamkeit des Ostseestrandes, abgeschieden von den Geschäftigkeiten der Gegenwartswelt, erscheint dem Nachdichter die Gestalt des Sängers von Chios und erteilt ihm gleichsam ein Mandat der Seelen- und Sprachverschwisterung zwischen Ionien und Teutonia.
Diese Prosopöe ist zum einen poetologisches Programm der Aneignung eines protestantisch und spätaufklärerisch geläuterten Griechentums, zum anderen mythisierende Selbstlegitimation des beispiellos kühnen übersetzerischen Unterfangens im Angesicht des − neben der Bibel − zentralen Überlieferungskerns der europäischen Dichtung.
Die arbiträre Selbststilisierung des Spätaufklärers Voss zum »geweihten Herold« eines in religiöse Sphären erhobenen Urvaters der Poesie mag überraschen angesichts des beeindruckenden Arsenals an Gelehrsamkeit, philologischer Schulung und prosodischer Virtuosität, über die der Urheber des deutschen Homer zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Verse gebietet. Erst im Verlauf fünfzehnjähriger Mühen, einer langsamen Loslösung von Klopstocks Hexameter und eines beharrlichen Widerstands gegen Adelungs Sprachnormen erreicht Voss jene seismographische Anverwandlung des griechischen Epenversmaßes als Einheit von rhythmischer Konstruktion und rhetorischer Periode, jene lexikalische und syntaktische Plastizität der deutschen Dichtungssprache, die den Übersetzungsprojekten der Romantik, insbesondere Schlegels deutschem Shakespeare, in dessen eigener Einschätzung erst den Weg zu bahnen vermochte.
Die emphatische Inanspruchnahme einer sakralen Weihe des Übersetzers deutet an, daß mit den rationalen Kriterien formaler Könnerschaft und gelehrter Qualifikation das Ausmaß an Kontingenz, das dem übersetzerischen Akt anhaftet, nicht zu bewältigen ist: ohne organische Verbindung zur Matrix des Lebendig-Aktuellen, die das Werk der Dichtung als Kind einer Vermählung von Geschichte und individuellem Bewußtsein, von Muse und Sänger, hervortreibt, tritt das Schattenwesen Übersetzung ans Licht eines nachträglichen, nachgeschichtlichen und abstrakten Tages. Es ist die Frucht eines Bewußtseinsaktes, der eine Äußerung von ihrem Urheber, ein Leben von seiner Manifestation, eine Sprache von ihrem Territorium, einen Sinn von seinem Wortkörper abtrennt; eines Eingriffs, der ein kanonisches Sprachereignis, das in der Ordnung der Überlieferungsgeschichte seine Seinsnotwendigkeit unter Beweis gestellt hat, einem manipulativen Vorgang der Vergegenwärtigung, der Aneignung oder gar der Verwertung unterwirft.
Und dennoch − darauf scheint Vossens Proömium jenseits aller zeitgebundenen Allegorese hinzudeuten − herrscht auch auf der nach der Hierarchie der Ursprünglichkeit sekundären Ebene des Übersetzens eine Ordnung von Fatum und Kairos; als gäbe es im Geschichtsverlauf des literarischen Lebens die Gleichzeitigkeit zweier sich verschränkender Gegenwarten: einer, die in leidend-handelnden Individuen mit Notwendigkeit bestimmte Werke der Dichtkunst, und eine zweite, die in gewissen − mit Begriffen wie Autorschaft und Individualität nicht mehr zu fassenden − Konstellationen bestimmte Werke der Übersetzung hervorbringt. So ist es zum Beispiel der ab 1770 immer akuter spürbare Mangel an einem deutschen Homer, jenes mit dem Verblassen der französisch-lateinischen Kulturhegemonie ständig expandierende, aber noch weitgehend unbesetzte Projektionsfeld »Griechentum«, das die Vossische Leistung möglich, notwendig und zugleich für das literarische Schaffen seiner Zeit so folgenreich werden läßt.
Nur im Augenblick solcher historischen Konjunkturen gewinnt das seinem Wesen nach zutiefst uneigentliche Gewebe von infinitesimalen Lektüre- und Deutungsakten, das die Übersetzung ist, Prägnanz, Kontur und ein Surrogat von Identität. Nur dann stößt sie vor in den numinosen Bereich einer wechselseitigen Beleuchtung jener verschiedenen Arten des Meinens, die nach Walter Benjamins kühner Spekulation die im babylonischen Fluch zersplitterten Sprachen des Menschen sind. In jener Stunde der deutschen Sprache, die Vossens Namen trägt, emanzipiert sich sein übersetzerisches Tun von der Mittlerfunktion, die seine erste deutsche Fassung der Odyssee bis in unsere Gegenwart erfüllt, zu dem sprachforschenden und sprachschöpferischen Eigendasein, das die ungleich kühnere Fassung von 1792 erreicht und das den deutschen Homer zu einem prosodischen Lehrmeister der Weimarer Klassik werden läßt.
Auf der Höhe solcher Eigengesetzlichkeit umweht den Akt des Nachdichtens für die Dauer eines geschichtlichen Atemzugs vielleicht der Hauch jener Hohl- und Schweigeräume, die − in Erwartung der reinen Sprache − die verschiedenen Arten des Meinens voneinander trennen. In dieser Eigengesetzlichkeit bezeugt die stumme, gefesselte Gebärde des Übersetzens die dämmernde Ahnung, die ihr aufgeht in der Berührung mit dem Raum vor der Geburt des Wortes, jener Ahnung, die da besagt: selbst dieses Schweigen zwischen den Sprachen, diese Zone des Namenlosen, dieses Plasma singulärer und doch trennungsloser Ereignisse, aus dessen versprachlichtem Abglanz Tropos und Metapher ihre Leuchtkraft beziehen, ist nicht geschichtsenthobene Heimat, selbstgenügsames Beisichsein und monadische Ruhe autarker Subjektivität. Selbst dieses Schweigen ist Geschichte, Tradition und Übersetzung. Selbst dieses Schweigen hat sich in schwer vorstellbarem Maße zu verdanken.
Ich danke der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für diese hohe Auszeichnung und verbinde mit diesem Dank die Hoffnung, ihr eines Tages verantwortungsvoll zu begegnen. Ich danke Karlheinz Braun für seine freundlichen Worte. Ich danke Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, für ihre Aufmerksamkeit.