The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.
Journalist and Politician
Born 16/6/1921
Deceased 23/2/2011
... dessen hohe übersetzerische Kunst sich treffsicher und stilistisch beweglich in den unterschiedlichsten literarischen Gattungen bewährt hat...
Jury members
Kommission: Joachim Kalka, Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels, Roswitha Matwin-Buschmann, Lea Ritter-Santini, Michael Walter, Hans Wollschläger
Mitglieder des Erweiterten Präsidiums
Laudatory Address by Karl-Heinz Jähn
Translator, born 1932
Über-Setzen
Meine Damen und Herren,
unter all den Begriffen, mit denen gescheite Leute das Phänomen des literarischen Übersetzens zu erfassen versuchen, hebt sich ein Wort von Karl Kraus hervor: Über-Setzen. Der scharfsinnige österreichische Literat, der sich selbst einmal an Shakespeare-Sonetten versuchte, wußte sehr wohl, warum er in seinem bissigen Aufsatz Sakrileg an George oder Sühne an Shakespeare? für sein Anliegen die Form des kategorisch fordernden Infinitivs wählte: Wahres »Über-Setzen«, folgt man seinen Überlegungen, heißt doch nichts anderes als: »schöpferisch zu ersetzen, in das eigene Erlebnis zu versetzen«. Und sich davor zu hüten, den Text des Autors mit Prokrustesmitteln ins neue Sprachbett zu zwingen! Über-Setzen − darin drückt sich ja wohl das Eingeständnis aus, daß Original und Nachbildung nie deckungsgleich sind, doch unübersehbar ist der darin enthaltene Gedanke, daß die Nachschöpfung im gleichen Maße Kunstwerk zu sein habe wie die Vorlage. Und da Übersetzer um Gleichnisse nie verlegen sind, wenn es gilt, ihren Beruf, ja, ihre Berufung würdigend zu interpretieren, bietet sich hier das arg strapazierte, dennoch treffende Bild von dem Fährmann an, als der der Übersetzer das ihm anvertraute Gut möglichst unversehrt ans andere Ufer zu bringen habe.
Unter den mannigfaltigen Gefahren, die dem hier so bukolisch anmutenden Vorgang drohen, sei als eine der schlimmsten das Dienen genannt, das gern als des Übersetzers oberste Tugend hingestellt wird. Ein Übersetzer hat sehr wohl Pflichten, sehr strenge sogar, doch in der Rolle eines Lakaien könnte er nur Unheil stiften. In dem Maße, wie er seine eigene Persönlichkeit zur Geltung bringt, gelingt es ihm am ehesten, »die Farbe der Fremdheit«, wie Alexander von Humboldt es ausdrückte, in die eigene Sprache und Erlebniswelt herüberzuholen, wird er selbst zum Künstler und damit zum Partner, ja, zum Freund des Autors, wenn auch zum kritischen Freund.
Erfahrungsgemäß gibt es beim Übersetzen von Literatur immer eine Partnerschaft zwischen Autor und Übersetzer, ein Aufeinanderzugehen, ein Geben und Nehmen, wobei der Übersetzer der Beschenkte ist, denn er taucht bei diesem Verwandlungsvorgang, der das Übersetzen nun einmal ist, in die Erfahrungswelt des anderen ein, mißt sie unwillkürlich an der seinen und überprüft selbstgewonnene Erkenntnisse und Positionen. Der Übersetzer ist nun einmal des Autors wachster und kritischer und hoffentlich auch sein unbestechlicher Leser, dem keine gedankliche und sprachliche Nuance entgeht. Und so wie der Schriftsteller beim Schaffen ganz auf sich gestellt ist, vermag auch ein Übersetzer nur dann zu arbeiten, wenn er allein ist − allein mit dem Text, d. h., auch mit dessen Verfasser. Teamarbeit zeitigt in diesem Metier selten Erfolg, wie einige traurige Beispiele kollektiv übersetzter Werke belegen. Ein einsamer Beruf ist das Übersetzen, ein Traumberuf für Individualisten, die sich ein gesundes Mißtrauen gegenüber allzu stark ausgeprägten Formen kollektiven Tuns bewahrt haben. Was ja nicht heißt, daß sie jeglicher Geselligkeit abhold wären, im Gegenteil, wie Gustav Just beweist, dieser gastliche Hausherr, der gern gesellige Gesprächsrunden um sich versammelt in dem schon von Fontane gepriesenen Dorf Prenden im Barnim, seinem Auenthal sozusagen, wo er seit Jahren lebt und arbeitet, liebevoll unterstützt von seiner Frau Heide.
Justs Weg zum Übersetzer verlief keineswegs zielbewußt und geradlinig. Das »Schicksalszufällige«, also die Verstrickung in Geschichte und Geschehnisse, wie der Philosoph Odo Marquard es nennt, führte letztlich zu der literarischen Leistung, die es heute zu ehren gilt. Seine Zweisprachigkeit, die Vertrautheit mit tschechischer Wesensart wurde ihm schon von Kindheit an mitgegeben. Der Umgang mit tschechischen Nachbarskindern im nordböhmischen Reinowitz (Rynovice), wo er 1921 geboren wurde, und der Besuch des deutschen Gymnasiums mit intensivem tschechischem Sprachunterricht verschafften ihm jene zweisprachige Ausbildung, die die solide Grundlage für seine Tätigkeit als literarischer Übersetzer seit Mitte der sechziger Jahre wurde. Bis dahin führte ein langer Weg: Als Soldat an der Ostfront erlebte er die Schrecknisse des Krieges, die ihn 50 Jahre später noch einmal einholen sollten, siedelte 1945 in die damalige Sowjetische Besatzungszone über, wurde in Quedlinburg Neulehrer, begann zu schreiben, übte verschiedene politische Funktionen aus, u.a. im Schriftstellerverband der DDR, bis er 1957, als Journalist und stellvertretender Chefredakteur der Kulturzeitschrift Sonntag gegen die dogmatische Politik aufbegehrend, vom Obersten Gericht der DDR zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, die er fast ausschließlich in Einzelhaft verbrachte. Sein Buch Zeuge in eigener Sache, 1990 erschienen, ist mehr als eine Abrechnung mit der Willkür jener Jahre, es ist der heute noch lesenswerte Lebensbericht über das Leben jenes Zoon politikon, als das er sich bis heute betrachtet, eines ebenso engagierten wie altruistischen Menschen mit einem hellwachen Verstand, eines kritischen Geistes, der die Zeitläufte und seine eigene Rolle darin kritisch sieht. Blickt man heute auf das umfangreiche literarisch vermittelnde Werk von Gustav Just zurück, dann will man nicht recht glauben, daß der Zufall ihn auf diesen Weg geführt hat. Nach Temperament und Neigung dem berühmten tschechisch-deutschen Publizisten und Übersetzer Paul Eisner verwandt, bewies er schon in seinen ersten Übersetzungen nicht nur sprachliches Können und sicheres atmosphärisches Gefühl, sondern auch etwas, was sich im Grau des Übersetzeralltags allzu leicht verflüchtigt: Lust an der Arbeit, etwas Glückhaftes, die Freude darüber, sich selbst auszuprobieren, sich selbst herauszufordern und an unterschiedlichen Aufgaben seine Kräfte zu messen. Ob Kinderliteratur oder Essay, ob Gesellschaftsroman oder Drama, ob Krimi oder Science-fiction − er widmete sich allem mit der gleichen zupackenden Herzhaftigkeit, um die ihn mancher Übersetzer beneiden könnte. In der slowakischen Literatur war er ebenso zu Hause wie in der tschechischen. Er verstand sich stets als Mittler zwischen der tschechischen, der slowakischen und der deutschen Kultur. Obwohl nicht aus Prag stammend, war er ein Mittler des Prager Erbes, das sich für ihn aus tschechischen wie aus deutschen Quellen speiste. Das ist in der von ihm 1985 herausgegebenen wunderbaren Auswahl Prager Miniaturen. Ansichten aus der alten Zeit sehr schön nachzulesen. Er ist verbunden mit der Geschichte Böhmens, weiß um die ‒ zuweilen sogar befruchtende − Spannung in dem national gemischten Gebiet, vor allem um die Traditionen der tschechischen Literatur, in der die Erinnerung an die hussitische Rebellion mitschwingt, die »Ahnung des böhmischen Barocks, die Tradition von Schwejk und Comenius, die Cafehausanekdote, das naive Volkslied... und das Wissen um die Stärke und Freiheitssehnsucht eines kleinen Volkes und die Unbesiegbarkeit der Wahrheit«, wie sich F. C. Weiskopf einmal ausdrückte. Es gehört viel Handwerk zum Übersetzen, solides berufliches Können, doch was ein übersetztes Buch erst zum Kunstwerk macht, ist jene Prise von etwas Unverwechselbarem, aus eigener Erfahrung und Persönlichkeit Gespeistem, jene fast unmerkliche Spur von Irrationalem, die der Übersetzer − der gute Übersetzer natürlich − zum Text beisteuert und damit dessen Konturen verschärft und dessen innere Struktur verdeutlicht.
Ist es nicht eine wunderbare Herausforderung, sich als Übersetzer einer Sprache zu stellen, von der selbst ein profunder Kenner beinahe warnend sagt: »Ich müßte hunderterlei Leben leben, um dich, tschechische Sprache, zur Gänze zu erkennen! (Musil bych žít steřým životem, abych tě plně poznal, česká řeči!) Bislang hat noch keiner alles erschaut, was du bist. Noch liegst du vor uns geheimnisvoll, überschäumend und voll weiter Ausblicke, du künftiges Bewußtsein eines Volkes, das im Aufstieg begriffen ist!« Diese Äußerung des tschechischen Schriftstellers Karel Capek mag wie eine schwärmerische, von geheimem Stolz durchdrungene Liebeserklärung klingen, doch sie weist sehr wohl auf die schwierige Entwicklung dieser mitteleuropäischen, in fremden Ohren oft ungewöhnlich, wenn nicht gar exotisch klingenden Sprache hin, die sich gegen Überfremdung behaupten mußte und Umgangs- und Hochsprache in der Literatur auf erstaunliche Weise verschmolz. Vom Einfluß der vielen Dialekte in diesem kleinen Land ganz abgesehen.
Für Gustav Just war das Übersetzen immer wieder neue Herausforderung, eine nie ermüdende Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Sprachstile, Handschriften, Positionen und Gefühlsebenen. Und immer wieder Suchen und Entdecken. Nie wurde er müde, seine Kenntnisse weiterzugeben. Er regte Kollegen an und überschüttete Verlage und Redaktionen geradezu mit Vorschlägen. Sicherlich ließe sich über einen Mann, der in den dreißig Jahren aktiven Übersetzens, Sammelns und Herausgebens mehr als hundert Bücher veröffentlicht hat, noch manches Bemerkenswerte hinzufügen. Was besonders hervorsticht, ist das Vermögen des Übersetzers Just, sprachliche und stilistische Besonderheiten des Originals adäquat deutsch wiederzugeben. Auf die Frage eines Zuhörers bei einer seiner vielen Lesungen aus slowakischer und tschechischer Literatur, wie er den jeweiligen Tonfall treffe, antwortete er mit dem ihm eigenen Humor, er schlage sich das Original an den Kopf und höre dann genau, wie es klinge. So gelang es ihm, sowohl historisierende Literatur als auch umgangssprachliche Texte entsprechend wiederzugeben. Gerade bei diesen letzteren kam ihm etwas zugute, was ich seinen »böhmischen Ton« nennen möchte. Einwandfreies Deutsch also, durch das eben doch etwas vom tschechischen Original durchschimmert. So gelang es ihm, den äußerst kunstvollen, bisweilen skurrilen Tonfall eines Vladislav Vančura meisterhaft zu treffen, z. B. in der Erzählung Ein launischer Sommer. In den Karlsteiner Vigilien von František Kupka traf er großartig den altertümelnden Ton. Auch als Übersetzer von Dramatik, z. B. der meisten Werke von Karel Čapek, erwies er sich als der Aufgabe gewachsen, indem er eine Sprache fand, die den gestischen Anforderungen des Theaters entspricht. Wichtig scheint mir auch der Hinweis zu sein, daß sich Gustav Just mit großer Sorgfalt und Liebe der jüdischen Thematik widmete, z. B. in der herausragenden Erzählung Das Leben mit dem Stern von Jiří Weil, die ich auch deshalb hervorheben möchte, weil Jiří Weil unter den damaligen Verhältnissen in der Tschechoslowakei politisch geächtet war. Große Verbreitung fanden die von Eduard Petiška verfaßten jüdischen Märchen und Legenden aus dem alten Prag, die unter dem Titel Der Golem in Justs Übersetzung erschienen sind.
Einen ganz persönlichen Wunsch hätte ich an Gustav Just: Er möge doch die Last einer Neuübersetzung des Braven Soldaten Schwejk auf sich nehmen. Die bis heute gültige, viele Jahrzehnte alte Übersetzung von Grete Reiner hat ihre Verdienste und ihre Reize, gibt aber das Original von Hašek nur annähernd wieder. Gustav Just ist der einzige, der das Zeug dazu hat, die für das nächste Jahrhundert gültige Übersetzung zu schaffen.