Johann-Heinrich-Voß-Preis

The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.

Edwin Maria Landau

Translator and Publisher
Born 20/9/1904
Deceased 2/1/2001

... für seine von großem Einfühlungsvermögen zeugenden Übertragungen schwieriger Texte der französischen Bühnenliteratur...

Jury members
Kommission: Hans Hennecke, Hermann Lenz, Horst Rüdiger, Harald Weinrich, Ernst Zinn

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Peter Grotzer
Literary scholar, born 1933

Berge sind dazu da, um bestiegen zu werden.
(Paul Claudel)

»Ihr könnt jetzt sagen, was Ihr wollt, versuchen mich zu überreden,
Ich steh zu meinen Worten, nichts vermag mich umzustimmen;
Zuviel Verderbtheit herrscht in unsern Tagen.
Ich geb den Umgang mit den Menschen auf.
Wie! alles spricht doch gegen meinen Gegner,
Gesetz und Ehre, Redlichkeit und Schamgefühl;
Und alle Welt erzählt sich, wie gerecht mein Anspruch ist,
Darum verließ ich mich auch auf mein gutes Recht;
Indessen seh ich mich betrogen durch den Ausgang des Verfahrens:
Auf meiner Seite steht das Recht, und ich verliere den Prozeß!«

So spricht Molières Alceste im Misanthrop, erstmals aufgeführt vor 311 Jahren; wir lächeln heute noch über ihn, und damit über uns selbst. Die Frische der von Edwin Maria Landau übersetzten Verse beruht auf dem Faktum, daß ein für den deutschsprachigen Schauspieler gängiges Metrum gewählt und bewußt auf die Reime verzichtet wurde, die bisweilen sogar bei Molière selbst den Gedankengang verkrümmen; der Sinn ist präzis wiedergegeben, die strenge Form der Aussage erhalten.
Die Liebe zum Wort ist beim heute geehrten Übersetzer nicht musealer Bewahrung, sondern lebendiger Vermittlung verpflichtet, und gerade deshalb ist für ihn jede schriftliche Fixierung nur vorläufig. Mit dem Leben des Hörenden und Verstehenden, der das fremde Wort für andere zugänglich machen will, entwickelt sich ja ständig das Klima der Mitteilung, und darin werden die Texte einbezogen. So sträubt sich Edwin Maria Landau z. B. im Fall von Claudels Bibelkommentaren gegen die papierene Literarität, die diesem Dichter, der sein Werk jeweils in den Morgenstunden fast ohne Streichungen niederschrieb und oft mitten im Satz abbrach, um am folgenden Tag leichter den Rhythmus wiederzufinden, nicht gemäß ist, viel weniger jedenfalls als z. B. Dichtern, deren Wort primär Auseinandersetzung mit der Sprache, aber nicht Ausdruck eines auf Überzeugung ausgerichteten Glaubens ist.
Ich habe mit einem Zitat aus Molière begonnen und bin unvermittelt bei Claudel angelangt: von diesen beiden Autoren hat Edwin Maria Landau weitaus am meisten übersetzt. Beide waren auf ihre Art Außenseiter der Gesellschaft und wollten den Menschen zur Einsicht in sein tieferes Wesen bringen; die Voraussetzungen allerdings waren vollkommen verschieden, denken Sie etwa an Don Juan und Rodrigue. Molière wirft uns auf unterhaltsame Weise auf unsere uneingestandenen Schwächen zurück, Claudel will uns zur Annahme der Schöpfung und des Schöpfers führen. Der eine hat Witz und Ironie, der andere Humor und begeisterte, unbeirrbare Leidenschaft.
Jeder von uns weiß, wie schwer es ist, Leidenschaft in der Sprache zu fassen, ohne daß sie komisch wirkt. Da zeigt sich z. B. in einer Stelle aus der »Mittagswende«, wie Edwin Maria Landau die Kraft von Claudels Sprache in uns spürbar macht. Es handelt sich um die Szene in Happy Valley, dem alten Friedhof von Hongkong, Akt II der Bühnenfassung.
De Ciz hat sich von seiner Frau Ysé verabschiedet: er zieht ins Landesinnere, opfert ihren Wunsch nach Geborgenheit den Geschäften, die für ihn notwendig sind. Kaum ist er verschwunden, erscheint Mesa vor Ysé, und ihre geheime Liebe offenbart sich im Wort, paradoxerweise am Ort, wo die Toten ruhen. Der Text kann als eines der schönsten Liebesduette der französischen Literatur gelten; hören wir lediglich, wie Mesa und Ysé ihre Rede jeweils beginnen. Uberprüfen Sie nicht nur den Sinn, sondern auch die Form der Übersetzung.

»MESA. − Ainsi donc
Je l’ai saisie! et je tiens son corps même
Entre mes bras et il ne me fait point de résistance et j’entends dans mes entrailles ce cœur qui bat!
C’est ça!
Il est vrai qu’elle n’est qu’une femme, mais moi, je ne suis qu’un homme,
Et voici que je n’en puis plus et que je suis comme un affamé qui ne peut retenir ses larmes à la vue de la nourriture à manger.
O colonne! ô puissance de ma bien-aimée! ô il est amer, ô il est sacré, ô il est injuste, ô il est détestable que je l’aie rencontrée!
[...]
YSÉ. − Tu me tiens, je te tiens, et bien que ma chair tressaille
Je ne me retire point et je reste comme assourdie, et la voilà donc, celle que tu trouvais si fière et si méchante!
Tu ne sais pas ce que c’est qu’une femme et combien merveilleusement avec toutes ces manières qu’elle a,
Il lui est facile de céder et tout à coup de se trouver abjecte et soumise et attendante,
Et pesante et gourde et interdite entre la main de son ennemi et incapable de remuer aucun doigt.
O mon Mesa, tu n’es plus un homme seulement, mais tu es à moi qui suis une femme,
Et je suis le double de toi avec moi, et tu es le double de moi avec toi, et nous nous sentons battre dans la chair l’un de l’autre le même cœur,
Quelqu’un qui se sert d’un seul cœur pour être deux.(1)

Mesas Sprache schwillt vom dreisilbigen »Ainsi donc« (das an etwas bereits Vollendetes erinnert) zum zwei- und dreizeiligen Satz an, klingt ab und schwingt sich nach verschiedenen Zweifeln zur langen Periode auf, die ihr erregtes Echo in den wiegenden Sätzen von Ysé findet. Der Geist des Gesagten zeigt sich in dessen Gesagtwerden, Logos und Lexis entsprechen sich, und erst wenn Ähnliches im deutschen Text geschieht, ist dieser ebenbürtig, d.h. aus dem gleichen Geist geboren. In der neuesten Fassung von Edwin Maria Landau − sie ist noch nicht gedruckt − tönt das so:

»MESA: Endlich also
Hab ich sie an mich gerissen! ja ihren Leib halt ich
In meinen Armen, und er leistet keinen Widerstand mehr, bis in die innersten Fasern vernehm ich dies Herz, das schlägt!
So ist es!
Es ist wahr, sie ist nur eine Frau, und ich, ich bin nur ein Mann,
Und nun kann ich nicht mehr, wie ein Verhungerter bin ich, beim Anblick der Speise, die man ihm vorsetzt, vermag er die Tränen nicht zurückzuhalten.
O Säule, o Allgewalt meiner Geliebten! o wie bitter es ist, wie verflucht, wie ungerecht, wie abscheulich, daß ich ihr begegnet bin.
[...]
YSÉ: DU hältst mich, ich halte dich, und wenn auch mein Fleisch erschaudert,
Ich ziehe mich nicht zurück, wie betäubt erstarr ich, da ist sie also, die Frau, die du so stolz und so boshaft befunden!
Du weißt nicht, was das ist, eine Frau, und mit all ihrem Gehabe, das sie treibt, wie wunderbar
Leicht es ihr fällt, nachzugeben, und im Nu ist sie nichts als Verworfenheit, Unterworfenheit, nichts als Bereitschaft,
Und lastend und starr, verstört in der Hand ihres Feindes, nicht imstande, auch nur einen Finger zu rühren.
O mein Mesa, du bist nicht länger ein Mann nur, nein, du bist mein, die ich ein Weib bin,
Und ich bin das Doppel von dir mit mir, und du bist das Doppel von mir mit dir, und wir spüren im Fleische von beiden das gleiche Herz schlagen.
Jemand, der sich, um zwei zu sein, eines einzigen Herzens bedient.«

In der Folge des Textes spürt man, wie der Übersetzer auch das bei Claudel so außerordentlich wichtige konkrete, erdhafte Element zum Klingen bringt. Hören Sie etwa folgenden Satz, ebenfalls eine revidierte Fassung des gedruckten Texts. Es spricht Mesa:

»[...] und ich halte sie, diese Säule, rund ist sie, ganz Weib nur, in meinen Händen,
Ja, eine Beute, und der Dampf ihres Lebens steigt mir zu Kopf durch die Nase, ich atme ihn ein, ich erbebe und fühle, daß sie die Schwächere ist, wie das Wild, das sich krümmt und das man beim Nacken packt!«

Kann das Ausgeliefertsein der von ihrem Mann verlassenen Frau auf gedrängtere Weise und faßbarer veranschaulicht werden? Der Text behält seine Dichte, die Sprache wird hier so stark, daß das szenische Spiel nur noch andeuten muß, und gerade das dürfte im heutigen Theater, das dem Wort weniger als der Handlung zutraut, schwierig zu spielen sein. Jean-Louis Barrault hat zwar kürzlich bewiesen, daß es möglich ist, und zwar mit größtem Erfolg, von Paris bis Moskau.
Der deutsche Text steht als Analogie neben dem Original; dieses dem Fremdsprachigen näher zu bringen, ist ja das Ziel des Übersetzers, der, auch wenn ihm solches μεταφεϱεῖν in besonderen Augenblicken gelingt, stets um seine Nachfahrenschaft weiß. Mehr noch als Theatertexte hat Edwin Maria Landau die viel weniger bekannte Prosa Claudels übersetzt, seine Schriften zur Literatur, Kunst und Religion. Auch hier nur ein Hinweis; er soll das Anschwellen des Claudelschen Atems fühlbar machen, der so mächtig ist, daß wir sogar im Deutschen, wo die Perioden in der Regel länger sind als im Französischen, Mühe haben, die weitgespannten Sätze ohne Atemnot zu lesen. Die Stelle ist aus dem Vortrag »Einführung in die holländische Malerei« (1935); Landau zeigt auf eindrucksvolle Weise, was Claudels metaphorische Syntax leistet:

»Um mich besser verständlich zu machen, wähle ich einen Vergleich aus dem Seelenleben. Wenn sich in uns die großen fundamentalen Wandlungen unseres Denkens, unseres Fühlens und unseres Charakters vorbereiten und vollziehen, wenn wir unter den kleinen Tagesereignissen unwiderstehlich in uns die Durchbruchchancen einer dieser Sturmfluten wachsen fühlen, die man auch eine große Liebe nennt, einen großen Schmerz oder eine religiöse Bekehrung, wenn wir bemerken, daß bereits die ersten Dämme nachgeben, daß an unserem Horizont der Pegelstand sich gehoben hat, daß alle Ausgänge unserer Seele versperrt sind, wenn wir uns von einem Feld zurückziehen, das gestern noch unberührt war und heute schon überflutet ist, und wir feststellen, daß auf dem Grunde der entlegensten und durch die größten Windungen geschützten Zufluchtskammer unseres Wesens das Wasser langsam Strich um Strich steigt und daß die letzten Hilfskräfte und Verteidigungsmittel bedroht sind durch den Einbruch des Fremden: wie sollte man da nicht an Holland denken, an die Mittagsstunde, da auf Tausenden von Schiffen unter dem Klatschen des dreifarbigen Feldzeichens der Gott der Wogen im Triumph Einzug hält und in all seiner Macht Besitz ergreift von diesem Netz von Adern und Arterien und einmal mehr diesem Land, das ihm zu eigen ist, seinen Besuch abstattet? Unter diesem gewaltigen Ansturm füllen die Schleusen sich, heben die Brücken sich eine nach der andern; wohin man schaut, sieht man sie wie Waagen sich betätigen, die alten gestrandeten Barken machen sich von ihrer Schlickumklammerung frei, die Abzugskanäle der Deiche schäumen auf, und die Sieben Vereinten Provinzen spüren bis auf den Grund ihres Herzens einmal mehr diesen lebenspendenden Schock, den die Grabplatte des großen Admirals Ruyter so herrlich immensi tremor Oceani nennt. Und ebenso kann es ein andermal geschehen, daß die Seele, für einen Augenblick von diesem Angreifer bei der Gurgel gepackt, fühlt, wie nach und nach dieser Griff sich lockert und das Wasser, das sie zu überfluten drohte, davoneilt, wieder fällt, durch alle Ausgänge entweicht, ohne daß irgend etwas imstande wäre, es zurückzuhalten, und dabei ein Stück von uns selbst mitträgt. Die Länderstriche, die man verloren wähnte, tauchen einer nach dem andern wieder auf, das Auge, das unserm Arme zuvorkommt, ergreift erneut Besitz von diesen verjüngten, befruchteten Flächen.
Man sollte es aufgeben, die Niederlande verstehen zu wollen, wenn man nicht, sobald man sich mit ganzer Seele darin versenkt hat, unter seinen Füßen diese latente Nachgiebigkeit spürt, wenn man nicht fühlt, wie man selbst einbezogen ist in diese Art kosmischen Rhythmus wie eine Brust, die sich abwechselnd hebt und senkt.«(2)
Beide Beispiele zeigen, daß hier nicht nur philologische Genauigkeit angestrebt wird, nicht nur die Wiedergabe von Begriffen, sondern die Nachgestaltung einer Stimmung und die Analogie des Rhythmus, und gerade dies ist das schwerste, weil nur zeichenhaft darstellbar.

Je mehr Nuancen und Untertöne ein Leser im Original hört, desto schwerer fällt es ihm, eine Bedeutung auszuwählen: er ist Kritiker im etymologischen Sinn des Wortes, einer, der entscheiden und damit bescheiden sein muß.
Wenn es sich so verhält, daß die Übersetzung eine Form der Auslegung ist, wobei stets nur der diesem besonderen Leser einleuchtende Sinn zur Sprache kommt, oft überhell, dann werden der neue Sinn und die Textgestalt bestimmt durch den Blickpunkt des Übersetzers. Dieser setzt sein eigenes Text Verständnis aufs Spiel, aber auch sein Verhältnis zur Sprache, das allerdings beim Dichter stets eigen-williger ist als beim Philologen oder beim Verfasser wissenschaftlicher Prosa. Wenn wir zudem annehmen, daß ein dichterisches Werk zwar eine einmalige Form ist − ein rhythmischer Klangkörper −, aber nicht eine univoke Bedeutung hat, so begreifen wir, wieso Übersetzungen des gleichen Werks bisweilen stark voneinander abweichen, ohne deshalb schon falsch zu sein, und wieso oft ein Dichter findet, die Übersetzung erhelle sein Werk, währenddem Kritiker und Übersetzer kaum je die Arbeiten ihrer Kollegen gut finden, wenn sie überhaupt je solche lesen.
Jeder Mensch drängt nach der Mitteilung geistiger Inhalte, also nach Sprache; er bedarf ihrer zum Leben, und so ist der Übersetzer unerläßlich, wo die Sprache eine Schranke bildet. Verhält es sich anders bei literarischen Werken, wo das Wort nicht primär Mittel der Mitteilung ist?
Wir stoßen in diesem Zusammenhang auf eine unlösbare Paradoxie: geistiges Wesen teilt sich in der Sprache mit, und da wird es fragwürdig, was bleibt, wenn die Sprache ausgewechselt wird, als ob sie nur Vehikel wäre.
Sicher besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Dichterwerk und der kunstvollen Übersetzung: ihn nicht zu sehen, wäre albern, so hoch auch immer man die Verdienste des Übersetzers veranschlagt. Ausgangspunkt zur intensiven Lektüre und zur Übersetzung ist meist die Auseinandersetzung mit der Fremdheit eines Dichterworts. Dieses soll als solches verstanden werden. Doch wie ist es möglich, die Einheit von Gehalt und Sprache, die wie Frucht und Schale zusammengehören, in ein anderes Medium zu übertragen, ohne daß die neue Sprache ihren Gehalt »wie ein Königsmantel in weiten Falten« umgibt, wie Walter Benjamin einmal bemerkt? Der Königsmantel verdeckt, was darunter ist; er ist nicht die Person, die Macht darstellt, sondern das Werk eines Schneiders.
Die Übersetzung ist Zeichen statt eines Zeichens; sie bedeutet nicht die Dinge, sondern das Original, und so muß der Übersetzer viel vom Text und dessen Verhältnis zur Sprache verstehen und dazu in seinem eigenen Idiom »zuhause« sein, auf daß möglichst Wesentliches vom Original in den fremden Ohren mitklinge, seien es Harmonien oder Diskordanzen, und daß, wie Edwin Maria Landau einmal bemerkt, die »Bild- und Sinnakzente« an der gleichen Stelle liegen wie im Original.
Nie aber dürfen wir uns verleiten lassen, im Originaltext einen festliegenden Sinn vorauszusetzen, denn dichterische Texte verlangen nach einer Art des Deutens, das zwar je in eine Richtung weist, aber sein Ziel nicht a priori kennt. Jedes Lesen ist ein solches Deuten im Sinne Hans-Georg Gadamers, auch das Übersetzen. Die große Gefahr für jeden Leser besteht darin, daß er zu wissen glaubt, was der andere meint, und alsdann nicht mehr sieht, was von diesem vermeintlich »Gedachten« im Wort tatsächlich gesagt ist.
So steht der Übersetzer am Kreuzpunkt von Logos und Lexis, von Gemeintem und Gesagtem. Er ist kein Ur-heber, sondern ein Leser, der Brücken baut, die unerläßlich sind, nachdem die Sprachen verwirrt sind. Die ersten Übersetzer waren die Propheten: ihre Ein-sichten sind im Buch der Bücher fixiert, das auch nur ein Zeichen ist. Die Sprache im Paradies muß gut gewesen sein, vollkommen erkennend, das Wort kein Mittel, sondern in sich ruhend. Ein Dichter wie Claudel findet in der Schöpfung noch einen Abglanz vom Paradies, schreibt er doch in seiner Einführung zu einem Gedicht über Dante von der Welt, und zu ihr gehört auch die Sprache:

»Die Dinge sind nicht ein willkürlicher Schleier der Bedeutung, die sie bedecken. In Wirklichkeit sind sie wenigstens ein Teil dessen, was sie bedeuten, oder richtiger gesagt, sie werden erst vollkommen, wenn ihre Bedeutung die Vollkommenheit erreicht hat.«

Auf die Sprache übertragen − ich glaube, daß Edwin Maria Landaus Übersetzertätigkeit wie die Poetik Claudels auf der gleichen sprachtheoretischen Grundlage ruhen − heißt dies, daß hier jede Aussage symbolischen Charakter hat, womit der reinen Artistik enge Grenzen gesetzt sind, ja vielleicht sogar dem Literarischen selbst, wenn man es als einen nie an ein Ziel gelangenden Prozeß der Reflexion versteht.
Die Texte, die ich Ihnen vorgelegt habe, sind dem Original angemessen, und doch sind sie deutsch. Solche Angemessenheit ist nur möglich, wenn dem Übersetzer sowohl das innere Universum des Dichters wie auch die Besonderheit von dessen Wort gegenüber der Sprache seiner Zeit voll bewußt wird.

Wie der Dichter steht der Übersetzer in der Zeit; weil sein Verhältnis zur Sprache aber ein anderes ist als das der Dichter (er schreibt nicht für sich, sondern für seine Zeitgenossen) und weil sein Textverständnis notgedrungen ein beschränktes, persönliches ist, so ist es nicht abwegig, zum Schluß den Lebenshorizont des Preisträgers kennenzulernen, soweit er von außen faßbar ist. Seine Ansprache wird allerdings mehr über ihn aussagen als meine mageren Hinweise.
Edwin Maria Landau ist am 20. September 1904 in Koblenz am Rhein als Sohn eines pfälzischen Amtsgerichtsrates und einer gebürtigen Wienerin zur Welt gekommen. Nach seinen Studien in deutscher Literaturgeschichte, Philosophie und Kunstgeschichte lernte er in der Offizin von Jakob Hegner in Hellerau den Beruf des Verlegers und gründete 1931 in Berlin den Verlag »Die Runde«, der vor allem jüngeren Dichtern und Gelehrten aus dem Stefan-George-Kreis offen stand. 1933 veröffentlichte er dort den Band »Nationalsozialismus vom Ausland gesehen«, der bis 1935 in rund 10000 Exemplaren verkauft, aber leider zu wenig ernst genommen wurde. Die darin enthaltene Kritik an der Rassengesetzgebung und der Wirtschaftskonzeption der nationalsozialistischen Partei und des Verlegers jüdische Ahnen bewirkten, daß er von den Machthabern bald als für den kulturfördernden Beruf ungeeignet erklärt wurde. Nach einer Periode der Zusammenarbeit mit Benno Schwabe wanderte Edwin Maria Landau 1938 nach London aus. Auf einer Reise nach Basel wurde er dann in Paris vom Krieg überrascht und in ein französisches Interniertenlager gebracht. Der Übergabe an die Gestapo und der Verschleppung nach Auschwitz entging er dank einem glücklichen Umstand und verständnisvollen französischen Wärtern. Nach verschiedenen mißglückten Versuchen gelang ihm 1943 die Flucht über die Grenze in die Schweiz, wo er, mit einer Zürcherin verheiratet, seit 1956 in Zürich eingebürgert, als freier Herausgeber, Theater- und Literaturkritiker und Übersetzer aus »force majeure« lebt.
Zwar hatte Edwin Maria Landau bereits 1937 ohne Namensnennung ein Werk des Historikers Louis Madelin (»La Contrerévolution sous la révolution«) ins Deutsche übertragen, und im Verlag »Die Runde« waren Briefe von Petrarca (übersetzt von Hans Nachod und Paul Stern) und Vergils »Aeneis« und die »Eklogen« (übersetzt von Götz von Preczow) sowie das »Trostbuch der Philosophie« des Boethius (übersetzt von Eberhard Gothein) erschienen; schicksalentscheidend jedoch wurde für ihn erst die erste Auseinandersetzung mit dem Werk Paul Claudels inmitten des zweiten Weltkrieges in einem französischen Arbeitslager. Seine damals begonnene Übersetzung der »Geschichte von Tobias und Sara« wurde 1953 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt, und nach der Aufführung der zweiten Fassung im Schauspielhaus Zürich übertrug Claudel ihm die Verantwortung für eine deutsche Ausgabe. Die »Gesammelten Werke« des Dichters sind zwischen 1958 und 1963 bei Benziger (Einsiedeln, Zürich, Köln) und bei Kerle (Heidelberg) in sechs Bänden erschienen und heute wieder im Buchhandel erhältlich. Im Rahmen dieser Ausgabe hat Edwin Maria Landau auch »Das Buch von Christoph Kolumbus«, die zweite Fassung des »Tausches« erstmals übersetzt, außerdem »Goldhaupt«, »Die Stadt«, »Mittagswende«, »Mariä Verkündigung« in neuer Übersetzung vorgelegt. Dazu kommen zahlreiche Prosatexte: die Einzelbände »Ausgewählte Prosa«, »Heilige unserer Tage«, »Vom Sichtbaren und Unsichtbaren«, »Gedanken zur Dichtung«, »Ich glaube an Gott«, »Das Geistliche Tierbuch«, tausende von Seiten.
Es gibt von Edwin Maria Landau auch eine gereimte deutsche Fassung des äußerst schwierigen »Après-midi d’un Faune« von Mallarmé, und − ich beschränke mich − außer je zwei Stücken von Corneille, Racine und Voltaire hat er noch sechs der klassischen Komödien von Molière übersetzt, darunter »Amphitryon«, erschienen bei Langen-Müller in München und Wien.
Nachdem Edwin Maria Landau in der Herausgabe und Übersetzung Claudels im deutschen Sprachbereich seine Lebensaufgabe erblickte, hat er eine über 1500 Bände umfassende Spezialbibliothek und ein Archiv mit über 4000 Dokumenten aufgebaut. Das Arbeitsinstrument von einmaligem Reichtum, auch im Bereich der Claudel-Rezeption auf deutschen Bühnen, wurde 1974 dem Romanischen Seminar der Universität Zürich geschenkt und bildet die Basis des nun ständig mit der neuesten Fachliteratur versorgten internationalen Claudel-Forschungszentrums; der Katalog in Buchform soll noch dieses Jahr erscheinen.
Wenn Sie, verehrter Herr Dr. Landau, für Ihre Arbeit heute mit dem Übersetzerpreis ausgezeichnet werden, so dürfen Sie das Geschenk als Zeichen dafür annehmen, daß Ihr unermüdlicher Dienst am Wort der größten Dichter aus dem vom Geschick Deutschlands untrennbaren Nachbarland Frankreich von jenen anerkannt wird, die sich der Pflege der deutschen Sprache und Literatur verschrieben haben. Gestatten Sie, daß ich Ihnen im Namen aller hier Anwesenden meinen herzlichen Glückwunsch entbiete, verbunden mit der Hoffnung, daß bald ein deutscher Verleger den Mut finde, die von Ihnen gewünschte Ausgabe der Claudelschen Bibelkommentare zu wagen.

(1) Paul Claudel, Théâtre I, Bibliothèque de la Pléiade, 1965, S. 1112 f.
(2) »Introduction à la peinture hollandaise«
Pour me faire mieux comprendre, j’emploierai une comparaison morale. Quand se préparent ou s’achèvent en nous les grands mouvements fondamentaux de transformation de la pensée, du sentiment et du caractère, quand, sous les petits événements journaliers, nous sentons irrésistiblement s’accroître en nous les chances de l’un de ces raz de marée que l’on appelle un grand amour, ou une grande douleur, ou une conversion religieuse, quand nous nous apercevons que déjà les premières barrières ont fléchi, que le niveau de notre horizon a monté, que toutes les issues de notre âme se trouvent bloquées, quand, nous retirant d’un champ hier intact et aujourd’hui submergé, nous constatons qu’au fond des retraits les plus éloignés et les plus tortueux de notre personnalité l’eau monte ligne à ligne et que les ressources suprêmes de notre défense sont menacées par une irruption étrangère: comment ne pas penser à la Hollande, à l’heure de midi, quand, charrié en triomphe sur des milliers de bateaux au claquement de son enseigne tricolore, le dieu des vagues, prenant puissamment possession de ce réseau de veines et d’artères, vient une fois de plus rendre visite à ce pays qui lui appartient? Sous cette poussée immense, les écluses se remplissent, les ponts se lèvent l’un après l’autre, on les voit de tous côtés fonctionner comme des balances, les vieilles barques édiouées se détachent de leur prison de boue, la saignée des digues jaillit, et les sept Provinces-Unies jusqu’au fond de leur chair une fois de plus ressentent ce choc vital que l’épitaphe du grand amiral Ruyter appelle magnifiquement lmmensi tremor Oceani. Et de même un autre temps arrive où l’âme un moment saisie comme à la gorge par cet assaillant, peu à peu sent cette prise se desserrer et cette eau qui allait l’engloutir fuir, descendre, s’échapper par toutes les issues sans que rien puisse la retenir, emportant avec elle quelque chose de nous-mêmes. Les territoires que l’on croyait perdus reparaissent l’un après l’autre et l’oeil devançant notre bras reprend possession de ces étendues autour de nous renouvelées et fécondées.
Il faut renoncer à comprendre les Pays-Bas, si, dès que l’on s’y est enfoncé pour de bon et en plein, on ne ressent pas sous ses pieds cette élasticité secrète, si l’on ne s’entend pas soi-même participer à cette espèce de rythme cosmique comme une poitrine alternativement qui se soulève et qui s’abaisse. (Paul Claudel, Œuvres en prose, Bibliothèque de la Pléiade, 1965, S. 170 f.)