Friedrich-Gundolf-Preis

STATUT

§ 1
Der 1964 begründete Friedrich­Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dokumentiert den Anspruch der Akademie, aktiv den Kulturaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (insbesondere Europas) zu fördern und mitzugestalten.

Der Preis wird aus dem Jahreshaushalt der Akademie finanziert. Er ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung vergeben.

§ 2
Der Friedrich-Gundolf-Preis würdigt hervorragende Leistungen bei der Vermittlung deutscher Kultur, insbesondere der deutschen Sprache und Literatur in nicht deutschsprachigen Ländern. Dabei können auch Übersetzungsleistungen berücksichtigt werden, die der deutschen Literatur in anderen Sprachen Wirksamkeit verschafft haben.

§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden.

Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.

§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Friedrich-Gundolf-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.

Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Friedrich-Gundolf-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.

Eigenbewerbungen sind nicht möglich.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 24. März 2021

Volkmar Sander

Germanist und Anglist
Geboren 20.10.1929
Gestorben 12.5.2011

Volkmar Sander, der ebenso kundig wie engagiert für die deutsche Literatur und die deutsche Sprache in den Vereinigten Staaten eingetreten ist...

Jurymitglieder
Kommission: François Bondy, Ruth Klüger, Norbert Miller, Lea Ritter-Santini, Jean-Marie Valentin, Peter Wapnewski

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatio von Peter Wapnewski
Mediävist, geboren 1922

I

Im Süden der Halbinsel Manhattan findet sich, in der Umgebung des Washington Square, hie und da noch eine Baulichkeit, die an die schlichte Stadtwürde New Yorks im 19. Jahrhundert erinnert. Nähert man sich den Gebäuden der NYU, der New York University, dann wird man als Deutscher − oder als einer, der sich mit Deutschen Studien befaßt − gewissermaßen organisch hineingezogen in ein so einfaches wie nobles Gebäude, das der NYU attachiert ist: Das »Deutsche Haus«. So schlicht diese Titulatur sich ausnimmt, so ist ihr Anspruch doch voller Gewichtigkeit, und weithin wirkt die Ausstrahlung des Werkes, das sich hinter diesem Namen, hinter diesen Mauern eingerichtet hat.
Um es hier schon zu sagen: Sollte man je diesem Haus einen Untertitel verleihen wollen, so müßte dieser Untertitel den Namen Volkmar Sanders tragen.
Womit wir vorwegnehmen, was dieses Gelehrtenlebens schönste Bestätigung ist. Vorerst aber vertrauen wir uns bei dem Versuch, ein Teil dieses Lebens zu beschreiben, der Ordnung des Chronologischen an:
Volkmar Sander wurde 1929 in Frankfurt am Main geboren. Die Fächer, die er studierte; die Universitäten, die er besuchte, bekunden bereits die Weit- und Weitläufigkeit, die Teil dieser Person ist: Zur Philosophie, zu den Philologischen Provinzen der Anglistik und der Germanistik, zur Historie fugte sich, kontrastierend und ergänzend die Musik, − und der bestätigenden Bewährung in ihrem Ressort galt das Staatsexamen an der Frankfurter Hochschule für Musik im Jahre 1948. Es folgten die Staatsexamina in den philologischen und philosophisch-pädagogischen Fächern (1954 und 1956), absolviert an der Frankfurter Universität. Am gleichen Ort zwei Jahre später die Promotion zum Dr. phil.
Noch aber sind wir bei den Studienjahren.
Es hatte wenn nicht der Weltgeist so doch der Geist vieler Welten Anteil an diesem Studium der historisch-philologisch-musischen Bereiche. Denn Sander besuchte nächst Frankfurt die Universitäten Pisa, Florenz und Oxford und wurde auf diese Weise einer Idealvorstellung sinnvoller akademischer Erziehung gerecht. Seine Dissertation ist Laurence Sterne gewidmet, einem Manne, der, wie man weiß, selber ein empfindsamer Reisender (und Beschreiber eines solchen) war. Es geht in dieser Arbeit um »Handlungsstränge und Handlungsgefüge«, mit andern Worten um eine Strukturuntersuchung, die schon zu allem Beginn bezeugt, daß Sander nicht eng der sprachlich gebundenen Philologie eines Faches und ihrer Dichterpflege anhängt, sondern einer Literaturwissenschaft, die sich übergreifend zur Komparatistik ausweitet und sich theorienah befaßt mit den tektonischen Elementen des epischen Kunstwerks, die man − mit einem berühmten Dissertationstitel − auch »Bauformen des Erzählens« nennt.


II

Nach abgeschlossenem Studium, nach drei Lehr- und lehrenden Jahren an einer Schule zu Frankfurt hielt es Sander nicht länger am allzu vertrauten Ort, er nahm ein Angebot an als Assistant Professor am Florida Southern College, und zwar in der Anglistischen Abteilung. Um bereits ein Jahr später nunmehr die Germanistik des Vassar College im Staate New York zu verstärken. 1963 berief ihn die New York University: erst als Associate Professor, dann (1968) als Full Professor, und ernannte ihn zum Head of the German Department und zum Chairman. Eine Position, die er bis zum Jahre 1993, das Institut spürbar prägend, innehatte.
Die Zahl seiner Funktionen, Ämter und Ehrenämter ist so eindrucksvoll wie sich der planen Aufzählung entziehend. Nicht anders verhält es sich mit den ihn sichtbar schmückenden Auszeichnungen, von denen als die hervorragendste das Große Bundesverdienstkreuz genannt sei, das ihm vom Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland im Juni 1989 verliehen wurde.
Die pragmatischen, sich niemals jedoch in bloßes Operator-Tun verlierenden Qualitäten Sanders bewährten sich auch mannigfach in wissenschaftsorganisatorischen Funktionen. Er ist Mitglied mehrerer Akademien, gab oder gibt eine Reihe von Zeitschriften und Sammelwerken heraus und zierte mannigfach die verantwortlichen Positionen in wissenschaftlichen Gesellschaften.


III

In mehr als einem Dutzend von Büchern, die sich Sander als ihrem Autor oder verantwortlichem Herausgeber verdanken, sowie in einigen Dutzend Zeitschriftenartikeln und Rezensionen beweist er sich als subtil deutender Interpret von Dichtern und ihren Gesellen wie anderseits als Analytiker des literarischen Kunstwerks. Der ersten Kategorie sind Studien zuzurechnen vor allem über Werke des 19. und 20. Jahrhunderts: So über Mörike, Wilhelm Raabe, E. T. A. Hoffmann, sodann u.a. über Bert Brecht, Dürrenmatt, über Gottfried Benn, Döblin, Kafka und Christa Wolf. Eher der Kategorie der literarischen Theorie sind zuzurechnen Arbeiten zur Rolle des Erzählers, zu »Form und Groteske«, zur »Illusionszerstörung und Wirklichkeitserfahrung« oder zu Walter Benjamin (»und den Folgen«). Im Sinne der Verdienste um den Gundolf-Preis sind besonders hervorzuheben die mannigfachen Bemühungen um die Darlegung der Rezeption der deutschen Literatur in den USA und um die sich immer wieder beunruhigend stellende Frage nach Methode und Funktion des Faches Germanistik, − eine nicht nur auf das Schicksal dieser Disziplin in Amerika einzuschränkende Frage.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Hinweis auf die bedeutende »NYU Series of German Texts«, für deren Edition Sander als Initiator kompetente Einzel-Herausgeber und Kommentatoren gewonnen hat, − eine Serie, die im Jahre 1969 mit Eichendorff begann und sich bis heute, nunmehr als »German Library«, erfolgreich fortsetzt, vom Mittelalter bis zur Moderne sich erstreckend.


IV

Die hier genannten (und die in ihrem Umkreis nicht genannten aber mitgemeinten) Meriten Sanders mögen für sich genommen schon als ausreichend gelten für die Würdigung durch den Gundolf-Preis. Indessen bleibt die im Sinne einer »Vermittlung deutscher Kultur im Ausland« hervorragendste Tat Volkmar Sanders als Abschluß und Klimax dieser Laudatio zu rühmen. Er gründete im Jahre 1977 das »Deutsche Haus at New York University«. Eine Gründungstat auf schwierigem Gelände, und eben dieserhalb von der größten Bedeutung. Die weitgestreute deutsche Gemeinde New Yorks, sich heterogen zusammensetzend und sich selbst auf unterschiedliche Weise verstehend, hat in diesem Institut wenn nicht eine verinnerlichte Heimat so doch ein geistiges Schatzhaus gefunden, das ihr ein gut Teil der Heimat repräsentiert. Der Kenner der kulturellen Situation New Yorks weiß, daß sich dieses Haus konsequent entwickelt hat zu einem Zentrum der deutschen Literatur und Kultur, und es bekundet seine Bedeutung und praktische Wirkung, daß vor einer Reihe von Jahren das New Yorker Goethe-Institut beschloß, eines seiner wichtigsten Ressorts, nämlich das des Sprach-Unterrichts, an das Deutsche Haus zu delegieren. Das eine wie das andere Institut − auch das ein Verdienst Volkmar Sanders − ergänzen seitdem einander in der Ausübung ihres so gewichtigen wie schwierigen Mandats: den deutschstämmigen Besuchern die lebendige Erinnerung an die alte Heimat zu bewahren, den amerikanischen Gastgebern und einer nachwachsenden Generation das alte wie vor allem das neue, das heißt gegenwärtige Deutschland lebendig vor Augen und Ohren zu fuhren.
Seit der Gründung des Hauses veranstaltet Sander dort regelmäßig Vortragsabende, Kolloquien, Symposien und Seminare wie auch Buchwochen, und groß ist die Schar der bedeutenden Literatur-Wissenschaftler, Historiker und vor allem Schriftsteller, die im Laufe der Jahre tätige Gäste dieses Instituts waren. Auch verdient die nicht selbstverständliche Tatsache Erwähnung, daß seit nunmehr einer Dekade der Deutsche Literaturfonds jährlich zwei Autoren als Stipendiaten an das Deutsche Haus schickt und, sie für jeweils zweieinhalb Monate finanzierend, seinerseits einen Beitrag zum Gedeihen des Unternehmens leistet. Was auf ein weiteres Verdienst Sanders verweist: Sein so beharrliches wie erfolgreiches Bemühen um die materiellen Beiträge wohlwollender Sponsoren zum Nutzen dieser Institution und ihrer jeweiligen aktuellen Aktionen und Ausstellungen.
Schließlich sei in einem nicht sentimentalen aber emotionalen Sinne bedacht, daß dieses Haus auch zu einem Mutterhaus geworden ist für die zwar auf Grund der unbarmherzigen Naturgesetze schwindende aber immer noch beträchtliche Zahl der deutschsprachigen Immigranten (die richtiger benannt refugees sind), die das Land der Deutschen mit schmerzlichen und liebevollen Gefühlen suchen und hier zu einem guten Teil (wieder)finden.
Volkmar Sander ist nach seiner Hochschul-Emeritierung im vergangenen Jahr nun auch von der Leitung des Deutschen Hauses, seines Deutschen Hauses, entpflichtet worden und in das Land seines Ursprungs zurückgekehrt. An seiner Seite seine mitforschende und -lehrende Ehefrau Margret, die in unserem Zusammenhang zu erwähnen keinen Verstoß gegen das Gesetz der Diskretion bedeutet, da es unangemessen wäre, ihren Beitrag zu dem Lebenswerk ihres Mannes zu übergehen.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ehrt Volkmar Sander mit ihrem Gundolf-Preis in dankbarer Anerkennung dessen, was er an schwierigem und exponiertem Ort als Lehrer, Wissenschaftler, Administrator und Herr seines Hauses im Dienste der Vermittlung der deutschen Kultur geleistet hat.