STATUT
§ 1
Der 1964 begründete FriedrichGundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dokumentiert den Anspruch der Akademie, aktiv den Kulturaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (insbesondere Europas) zu fördern und mitzugestalten.
Der Preis wird aus dem Jahreshaushalt der Akademie finanziert. Er ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung vergeben.
§ 2
Der Friedrich-Gundolf-Preis würdigt hervorragende Leistungen bei der Vermittlung deutscher Kultur, insbesondere der deutschen Sprache und Literatur in nicht deutschsprachigen Ländern. Dabei können auch Übersetzungsleistungen berücksichtigt werden, die der deutschen Literatur in anderen Sprachen Wirksamkeit verschafft haben.
§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden.
Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.
§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Friedrich-Gundolf-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.
Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Friedrich-Gundolf-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.
Eigenbewerbungen sind nicht möglich.
Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 24. März 2021
Übersetzer und Germanist
Geboren 7.8.1932
Mitglied seit 1999
Als wirkmächtiger Übersetzer und als Fürsprecher der deutschsprachigen Literatur in spanischen Verlagen hat Miguel Sáenz entscheidend dazu beigetragen, ihr in der spanischsprachigen Welt eine Leserschaft zu gewinnen...
Jurymitglieder
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Irène Heidelberger-Leonard, Claire de Oliveira, Marisa Siguan und Leszek Żyliński
Laudatio von Carlos Fortea
Meine Damen und Herren, lieber Miguel,
vielleicht sollte ich Ihnen zunächst sagen, dass ich nicht zum ersten Mal
vor einem akademischen Publikum über die herausragenden Leistungen
und Verdienste von Miguel Sáenz spreche. Vor nunmehr über sechzehn
Jahren hatte ich dazu schon einmal die Gelegenheit in dieser Universität,
die zu den vier ältesten der Welt zählt, als sie im Begriff war,
unserem heutigen Preisträger die Ehrendoktorwürde zu verleihen.
Damals schien Miguel Sáenz den Gipfel einer beruflichen Laufbahn
erreicht zu haben, die in Spanien ihresgleichen suchte: Er hatte für
seine Übersetzung des Romans Ein weites Feld des leider verstorbenen
Günter Grass von der Europäischen Union den Prix Aristeion verliehen
bekommen; außerdem hatte er die Goethe-Medaille und den Verdienstorden
der Bundesrepublik Deutschland, den Österreichischen
Staatspreis für literarische Übersetzer, in Spanien den Nationalen
Übersetzerpreis und den Nationalen Übersetzerpreis für Kinderliteratur
sowie den spanischen Nationalpreis für sein Lebenswerk als Übersetzer
erhalten, zudem war er bereits Mitglied der Deutschen Akademie
für Sprache und Dichtung.
Ich wurde mit der Laudatio anlässlich der Verleihung jener Ehrendoktorwürde
betraut, und alles deutete darauf hin, dass es sich um eine
abschließende Rede handeln würde, dass es nach jenem Moment des
Ruhms für den Doktor Sáenz nichts mehr zu tun gäbe.
Die Zeit hat gezeigt, dass ich falschlag, und, um es mit Thomas
Bernhard zu sagen, auf den Heldenplatz folgte keinesfalls der Frost, eher
eine Korrektur.
Aber vielleicht sollten wir noch einmal von vorne beginnen. Alles in
diesem Leben hat eine Ursache, und was wir jetzt erzählen werden, ist
eine andere Geschichte, die vielleicht gerade heute erzählt werden soll.
Die Geschichte zeigt, dass Miguel Sáenz zu einem für das Leben in
Spanien entscheidenden Zeitpunkt mit der Übersetzung deutschsprachiger
Literatur begonnen hat: Franco ist tot, die ersten freien Wahlen haben stattgefunden, und das kulturelle Leben in Spanien blüht im
Lichte der Freiheit auf.
In dieser Zeit beschließt ein spanischer Verleger, Jaime Salinas, der
Leiter des prestigeträchtigen Verlags Ediciones Alfaguara, sich mit einer
Gruppe bedeutender Intellektueller zu umgeben, die sich alle in der
Jugend oder einer ersten Reifephase befinden, darunter, um zwei Beispiele
zu nennen, auch Javier Marías und Miguel Sáenz.
Die Aufgabe dieser Gruppe von Intellektuellen ist es, der Verlagsleitung
Namen und Titel bedeutender ausländischer Schriftsteller vorzuschlagen.
In Spanien gibt es zu diesem Zeitpunkt ein glühendes Interesse
für das, was in Europa geschrieben wird.
Einer der wichtigsten Namen, die Sáenz der Verlagsleitung von Alfaguara
vorschlägt, ist der von Thomas Bernhard. Im Jahr 1978 erscheint
die Übersetzung von Verstörung, die gleichzeitig der Beginn der professionellen
Übersetzerlaufbahn unseres Preisträgers und der Beginn einer
Laufbahn als Förderer und Verbreiter der deutschsprachigen Kultur
ist.
Der Fall Sáenz ist für unser kulturelles Panorama außergewöhnlich.
Normalerweise handelt es sich bei Übersetzern um unsichtbare Wesen,
Namen, die an eine kleine Stelle auf der zweiten Seite der Bücher
verbannt werden. Ganz selten, etwa wenn der Autor, dessen Werke sie
übersetzen, den Nobelpreis verliehen bekommt, werden die Übersetzer
um einen Presseartikel gebeten, bis ein Literaturwissenschaftler gefunden
wird, oder Radio und Fernsehen stellen ihnen banale Fragen.
Aber dies war nicht der Fall bei Miguel Sáenz. Nach dem Erfolg von
einigen seiner ersten Übersetzungen, insbesondere sind hier die Werke
von Bernhard sowie Die unendliche Geschichte und ganz besonders Der
Butt zu nennen, wird Miguel Sáenz zu einer bekannten Persönlichkeit
des kulturellen Lebens in Spanien, vielleicht weil er es schafft, in seiner
Arbeit den unbestrittenen Publikumserfolg von Autoren wie Michael
Ende und die unbestrittene Qualität von Autoren wie Bernhard
oder Grass zu vermischen. Als damals junge zukünftige Übersetzer besuchten
wir alle seine Kurse und Vorträge. So bedeutende Medien wie
El País berichteten auf ihren Kulturseiten von den Preisen, die ihm verliehen wurden. Viele Jahre lang, und ich weiß, dass er das nicht hören
möchte, war Sáenz der Übersetzer schlechthin, das Vorbild für Generationen
von Übersetzern, insbesondere, aber nicht ausschließlich, für
Übersetzungen aus dem Deutschen.
Seine Autorenliste umfasst alle Arten deutschsprachiger Literatur:
die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, angefangen mit Günter
Grass, dessen unumstrittener Übersetzer er für das Spanische
war; die noch immer existierende Literatur der nicht mehr existierenden
Deutschen Demokratischen Republik, vertreten durch Christa
Wolf; die klassische deutsche Literatur, repräsentiert durch Bertolt
Brecht, Alfred Döblin oder Heinrich von Kleist; die österreichische Literatur
mit Thomas Bernhard, aber auch Stefan Zweig, Joseph Roth,
Josef
Winkler und Robert Schneider und, ganz besonders, Kafka; die
Schweizer Literatur, vertreten durch Friedrich Dürrenmatt; die Literatur
der neuen Deutschen, die er selbst als »fünfte deutsche Literatur«
bezeichnet hat, repräsentiert durch Emine Sevgi Özdamar. Jedes Mal
ist er als Übersetzer tätig, in vielen Fällen auch als Förderer, als derjenige,
der dem Verlag den Vorschlag unterbreitet hat.
Die Zahl der übersetzten Texte und die Vielfalt an Autoren ergeben
eine beeindruckende Bilanz: 180 Titel, darunter Werke von 21 Romanautoren,
7 Dichtern, 15 Dramatikern, 5 Librettisten. Und unter den Romanautoren
Bernhard, Grass, Kafka, Sebald und Döblin. Unter den
Dramatikern Brecht, Dürrenmatt, Dorst und Goethe. Unter den Librettisten
Berg und Wagner. Für die spanischen Leser ist Miguel Sáenz
die deutsche Literatur.
Das alles wissen Sie sehr gut, denn für seine Arbeit wählten Sie ihn
schon vor vielen Jahren zum Mitglied Ihrer Akademie. Worüber Sie
möglicherweise nichts oder nicht so gut Bescheid wissen, ist über den
Einfluss seiner Arbeit auf die aktuelle spanische Literatur, auf die Art
und Weise, in der heutzutage viele spanische Schriftsteller schreiben.
Denn Übersetzungen beeinflussen, manchmal in entscheidendem
Maße, die aufnehmende Literatur. So wie sich im deutschen Theater
nach Shakespeare oder im englischen Roman nach dem Quijote alles geändert
hat, ändert sich alles nach einem einflussreichen Werk, das heißt,
nach seinem Übersetzer. In einem 2010 erschienenen Artikel sagte der
Literaturkritiker Martín Schifino: »Die Frage nach dem einflussreichsten
spanischen Prosaautor vom Ende des 20. Jahrhunderts könnte man
ohne große Übertreibung mit Miguel Sáenz beantworten.« Es ist klar,
dass er mit dieser Aussage eine Metapher erschaffen wollte, aber dies
macht die Aussage nicht weniger wahr: Durch die Vermittlung von
Sáenz erreichte uns nicht nur die Welt von Grass und Bernhard, sondern
auch ihre Form, ihr Stil. Es gibt viele Arten zu übersetzen, und
der neue Preisträger des Friedrich-Gundolf-Preises respektiert in seinen
Übersetzungen den charakteristischen Stil eines jeden Autors und
versucht, die fremde Stimme ohne Verzerrung wiederzugeben. Dies hat
dazu geführt, dass seine Art zu schreiben, diese formbare Schreibweise,
die sich an den Text des Autors anpasst, gleichzeitig auch zur Stimme
des Deutschen, zur einflussreichen Stimme einer reichen und andersartigen
Literatur geworden ist.
Viele stimmen diesem zu: Martín Schifino sagt, dass Miguel Sáenz
Bernhard »eine gleichartige, nicht nur natürliche, sondern immer durch
ihre Stilelemente wiedererkennbare Stimme« gegeben habe. Carlos
Fuentes
versichert in Bezug auf Kafka, dessen Sprache Milan Kundera
als unübersetzbar bezeichnete, es gäbe »im Spanischen eine bemerkenswerte
und sehr anerkennenswerte Ausnahme. Die Übersetzung von
Miguel Sáenz ist so brillant, dass ich sehr bezweifle, dass auf sie die ironische
Aussage meines Freundes Milan zutrifft«. Der Nobelpreisträger
Mario Vargas Llosa sagte einmal: »Im Spanischen hatte Brecht Glück.
Die von Miguel Sáenz geschaffenen Übersetzungen seiner Werke sind
hervorragend.«
Wir könnten jetzt noch andere zu Wort kommen lassen, aber man
braucht nicht noch mehr Einzelmeinungen wiederzugeben, um die
herrschende Meinung kennenzulernen, die Miguel Sáenz zu einem
Aushängeschild seiner Kunst gemacht hat. Im November 2012 beschrieb
die Tageszeitung El País seine Aufnahme in die Real Academia
Española mit einer in gleichem Maße expressiven wie wahren Schlagzeile: »Die Übersetzung zieht in die Akademie ein«. Am Tag seiner
Aufnahme in die Akademie war der Veranstaltungsraum der Akademie gefüllt mit Übersetzern, die in ihm eine Art großen Meister sahen,
einen Primus inter Pares ihres Berufsstandes.
Da der Friedrich-Gundolf-Preis »die Vermittlung deutscher Kultur
im Ausland« auszeichnet, ist offensichtlich, dass seine Verleihung dieses
Jahr auf jeden Fall zu Recht erfolgt. Nur wenige Personen haben
so viel dazu beigetragen, die deutsche Kultur Millionen von Menschen
näherzubringen. Sein Einfluss hat den Atlantik überquert und Spuren
in Amerika hinterlassen, wie es die Worte zeigen, die der argentinische
Schriftsteller Marcelo Cohen ihm widmete: »Ich habe oft darüber
nachgedacht, wie die Windungen und Erweiterungen, die du der Sprache
mit so unterschiedlichen Übersetzungen gegeben hast, zu Veränderungen
in der spanischsprachigen Literatur geführt haben, einige davon
offensichtlich, andere verborgen und dauerhaft. Ich habe dies bei so
unterschiedlichen Autoren wie Gándara, de Azúa, Saer, Pauls, Sergio
Chejfec und ein paar jüngeren untersucht, die sich vielleicht dieser Tatsache
gar nicht so bewusst sind.«
Darüber hinaus füllt unser Preisträger den Preis selbst mit Inhalten,
durch seine herausragende Arbeit, durch seine aufmerksame Neugier
und sein Streben danach, sein Wissen mit denen zu teilen, die ihn umgeben.
Ein Gespräch mit Miguel Sáenz bedeutet, als Erster eine große
Zahl von Literaturempfehlungen zu erhalten. Sáenz empfahl und übersetzte
Bernhard, er empfahl und übersetzte Sebald, er empfahl und
übersetzte Josef Winkler. Aber er empfiehlt auch die Lektüre seiner
Lieblingsautoren, deren Werke bereits auf Spanisch verfasst wurden,
wie Fernando Vallejo, von dem ich ihn bei allen seinen öffentlichen Auftritten
sprechen höre, oder er empfiehlt plötzlich die Lektüre eines wenig
bekannten Werkes eines Experten für die baskische Sprache. Sáenz,
der Mann voller universeller Neugier, der großzügige Humanist.
Sie werden mir gestatten, dass ich mit meinen letzten Worten auf einer
persönlicheren Ebene über den Preisträger spreche. Mit der Zeit
haben wir uns daran gewöhnt, in Miguel Sáenz einen Weisen zu sehen,
einen bedeutenden Künstler oder einen scharfsinnigen Denker.
Und das ist er. Und zwar all das. Aber noch viel mehr. Er ist zum Beispiel
auch ein stets hilfsbereiter Kollege, ein diszipliniertes Mitglied der
Berufsvereinigung, der er angehört, und ein treuer Freund, eine Stütze
in schwierigen Zeiten. Er ist der Mann, der eine junge Studentin im
Praktikum bei den Vereinten Nationen besucht, um sie zu unterstützen,
der Mann, der eine junge Doktorandin zu einem Treffen im engen
Kreis mit Günter Grass in Lübeck einlädt, der Mann, der alle Initiativen
seines Berufsstandes unterstützt, für die seine Stimme wichtig ist.
Der Kollege, der einem jüngeren Kollegen, der eine schlechte Kritik erhalten
hat, schreibt, um ihm Hoffnung zu geben, um ihm zu sagen, dass
die Laufbahn eines Übersetzers lang ist.
Ich weiß, dass auch diese Rede nicht die letzte sein wird. In wenigen
Tagen wird dem neuesten Preisträger des Friedrich-Gundolf-Preises in
einer anderen spanischen Universität die Ehrendoktorwürde verliehen
werden. Meine Kollegen sind gerade dabei, eine neue Laudatio zu verfassen,
und sie werden einen weiteren Absatz hinzufügen müssen, der
besagt, dass Miguel Sáenz erneut eine Auszeichnung für seinen Beitrag
zur deutschen Literatur und zur spanischen Sprache erhalten hat, für
seinen Beitrag zur Weltliteratur, wie Goethe sie definierte. Unser Preisträger
hört niemals damit auf, uns Anlässe zum Feiern zu geben.
Lieber Miguel: Lang leben deine Preise.
Vielen Dank.