The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.
Writer and Translator
Born 13/3/1890
Deceased 22/5/1970
Edwin und Willa Muir, deren Übertragungen deutscher Prosa in das Englische kongeniale Einfühlungskraft und Sprachsensibilität verraten...
Jury members
Die Mitglieder der Kommission und des Erweiterten Präsidiums
Laudatory Address by Hans Hennecke
Literary critic and Translator, born 1897
Daß die ersten Empfänger des Übersetzungspreises der »Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung« Edwin und Willa Muir sind, hat einen zweifachen Sinn und eine doppelte Berechtigung. Einerseits haben beide eine schon der Zahl und dem Umfang nach erstaunliche Reihe von bedeutenden deutschen Romanen und Erzählungen in meisterhafter Einfühlungskraft und Werktreue ins Englische übertragen; und andererseits befinden sich unter den von ihnen übersetzten Schriftstellern Autoren, die nunmehr seit längerem der Weltliteratur angehören. Dies gilt zumal von Franz Kafka und Hermann Broch; damals, als die Muirs sie übertrugen, Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, gehörten sie noch kaum ‒ nämlich nur im Bewußtsein der Eingeweihten und Kenner ‒ der deutschen Literatur an. Indem Edwin und Willa Muir sie durch ihre Übertragungen den englischen und amerikanischen Lesern erschlossen, vollbrachten sie eine Leistung von geistesgeschichtlichem Rang. Bedenkt man, wie Franz Kafkas Wirkung und schöpferischer Einfluß seit nunmehr über einem Vierteljahrhundert in England und Nordamerika ‒ wohl mehr noch als selbst in Frankreich ‒ Ereignis wurde, so kann man nicht daran zweifeln, daß Edwin und Willa Muir einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert haben.
Freilich fällt ein großer Schatten auf diese Anerkennung ihrer Leistung: der plötzliche Tod Edwin Muirs, Ende letzten Jahres. Beklagenswert ist obendrein, daß Mrs. Willa Muir durch eine schwere Erkrankung verhindert wurde, diesen Preis hier in Trier selbst in Empfang zu nehmen.
Daß wir ihn dem Ehepaare zusprachen, rechtfertigt sich durch den Anteil, den sie beide, jeder auf seine Weise (wie Sie gleich bei der Verlesung von Mrs. Muirs Beitrag zu diesem Abend hören werden), an dieser Leistung haben. Übersetzende Schriftsteller-Ehepaare ‒ denn auch Mrs. Muir hat Romane geschrieben ‒ sind ja neuerdings keine Ausnahmeerscheinung. Daß anfangs höchst materielle Erwägungen die Muirs zu Übersetzern machten, soll nicht verschwiegen werden. Sie selbst haben das betont ‒ und auch, daß es anfangs dabei mitunter ein wenig routinemäßig herging.
Als sie 1922 den ersten, ausgerechnet die Versdramen Gerhart Hauptmanns betreffenden Auftrag erhielten, sah das, wie Edwin Muir später in seiner Autobiographie berichtete, so aus: »Wir hatten in Hellerau bei Dresden unser eigenes Zimmer, in dem wir uns mit Hauptmanns Versen herumschlugen, darum bemüht, sie in einigermaßen passable englische Verse umzusetzen... Und das«, so betonte er an anderer Stelle, »war der Beginn einer Zeit, in der wir uns in eine Art Übersetzungsfabrik verwandelten.« Nun, ich darf hier gleich, korrigierend und beruhigend, einfügen; dieses sarkastische »Understatement« ist ohne jede wirkliche Berechtigung: immer haben die Muirs mit großer Gewissenhaftigkeit und nie versagendem Stilgefühl übersetzt.
Die Ernte dieser übersetzerischen Gemeinschaftsarbeit ist erstaunlich reich ‒ zumal wenn man bedenkt, daß sie in der Zeit entstand, in der Edwin Muir neben einer Unzahl von Buchbesprechungen drei Essaybände, drei Romane, sein theoretisches Meisterwerk, das Buch über den Aufbau des Romans (»The Structure of the Novel«), eine Biographie des schottischen Theologen John Fox, seine meisterliche Autobiographie, eine der unvergeßlichsten unserer Zeit, und vor allem sechs Bände Gedichte veröffentlicht hat ‒ ganz abgesehen von seiner Tätigkeit als Mitherausgeber einer Zeitschrift und als zeitweiliger Leiter der Institute des »British Council« in Prag und später in Rom.
Das Übersetzerwerk der Muirs umfaßt ‒ um hier nur die wichtigsten Arbeiten zu nennen ‒ neben einigen Versdramen Gerhart Hauptmanns und seinem ironisch-utopischen Roman »Die Insel der großen Mutter« zwei Dramen und die drei wichtigsten Romane Lion Feuchtwangers, »Jud Süß«, »Die häßliche Herzogin« und »Erfolg«, zwei Romane Schalom Aschs, Ernst Glasers »Jahrgang 1902«, Heinrich Manns Roman aus dem Jahre 1932 »Das ernste Leben«, Hermann Brochs Roman-Trilogie »Die Schlafwandler« und vor allem Franz Kafkas epische Prosa, soweit diese bereits veröffentlicht vorlag: zumal also die Romane »Der Prozeß«, »Das Schloß« und »Amerika«, einen Band Erzählungen (darunter »In der Strafkolonie«) und das Buch »Die Chinesische Mauer«.
Es verdient hier Erwähnung, daß sich merkwürdige und erregende Parallelen zwischen Edwin Muirs und Franz Kafkas Leben finden ‒ jedenfalls während einer bestimmten Epoche: Parallelen ihrer äußeren und inneren Situation.
Beide verbrachten schwere, düstere, deprimierende Jahre ihrer Jugend im Büro: Kafka in Prag und Muir in Glasgow; und sie erfuhren dabei am eigenen Leibe, und wahrhaftig auch im Geiste, die dürre und beklemmende Dämonie der gespenstischen »Ordnung« des modernen Büros und der durch sie inszenierten Unterordnung allen Lebens, Daseins und Soseins unter das unerbittliche Funktionieren des ‒ so schien es ihnen ‒ von einem immer roboterhafter werdenden Kollektiv und einer schattenhaften Beamten-Hierarchie dirigierten »rechten« Betriebs. Büro und Bürokratie wurden ihnen zur Karikatur und Perversion jeder im Geiste anschaubaren und echte Glaubenskraft aufrufenden Weltordnung. Franz Kafka gewann daraus die genial gesehene, gedeutete und dargestellte Zerrbildhaftigkeit seiner Welt, der epochalen Kafka-Welt, mit ihrer sehr hintergründigen Sinnhaftigkeit.
Aber denken wir hier nur an den psychologischen Aspekt dieser ihrer Büroerfahrungen: an das Leiden des schöpferischen Individuums, das sich dabei um seine besten Kräfte und Möglichkeiten betrogen sieht. Dies führte dann zu bedrückenden Feststellungen in den Tagebüchern beider Männer.
So heißt es einmal bei Muir: »Wende ich mich aber den Gedanken und Bildern in meinem Geiste zu, welch ein Unterschied! Welch ein unglaublicher Unterschied!« Dem entspricht bei Kafka der berühmte Ausspruch: »Die ungeheure Welt, die ich im Kopfe trage!« Oder die andere Tagebuchstelle: »Dich schwinge also auf! Dich bessere, der Beamtenhaftigkeit entlaufe, fange doch an zu sehen, wer du bist, statt zu rechnen, was du werden sollst.« Entsprechungen dazu finden sich auch in Muirs Autobiographie.
Doch wenden wir uns nun der Übersetzung Kafkas durch die Muirs zu!
Wo immer man auch ansetzt, um die Wort- oder jedenfalls die Sinntreue und die dem so einmaligen und unvergeßlichen Tonfall Kafkas gerecht werdende Rhythmik der englischen Übertragung vergleichend zu prüfen: man kann nur immer wieder von neuem bewundernd feststellen, daß und wie sehr die übersetzerische Leistung an das nahezu Vollkommene reicht. Wenn gegen Ende des Romans »Der Prozeß« der Geistliche im Dom zu Josef K. über den heiligen Text sagt: »Die Schrift ist unveränderlich«, so sagten sich Edwin und Willa Muir offenbar, wie weitgehend dies auch für den verantwortlichen Übersetzer Kafkas gelten muß.
Übrigens gibt es eine besonders eindeutig überzeugende Probe, durch die man die Qualität einer Übertragung gleichfalls einigermaßen zu ergründen vermag; sie anzustellen, schien mir gerade in diesem Falle ratsam. Ich habe die englischen Texte mehrfach stellenweise auch zurückübersetzt, also Muirs Kafka verdeutscht; und dabei »landete« ich, wenn ich so sagen darf, erstaunlich oft bei fast genau dem deutschen Kafka-Text. Ich fand beglückende Bestätigungen für das Gelingen einer der schwierigsten Aufgaben des Übersetzens. Was Fritz Martini einmal Kafka gegenüber als »ein unmittelbares Einformen des Inhaltlichen in die rhythmische Satzbewegung« kennzeichnete ‒ gerade das leistet die Muirsche Übertragung.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, all das an ein paar anschaulichen Beispielen erläutern ‒ auch auf die Gefahr hin, daß durch solches Hinabsteigen ins Detail der festlich gestimmte Ton und Fluß einer rechten »laudatio« sich ein wenig stauen sollte. Das wird unvermeidlich sein, da Sie, wie ich vielleicht annehmen darf, doch nicht nur Behauptungen hören, sondern auch Beweise haben wollen.
Beginnen möchte ich mit einer Glanzstelle seiner Prosa, in der das Licht selbst der Kafkaschen Sprache wie in einer Linse »gesammelt« erscheint: mit der tiefsinnigen Legende vom Türhüter und vom Manne vom Lande, die der Geistliche im Dom Josef K., dem Helden des Romans »Der Prozeß«, erzählt, und die Kafka ja auch der Aufnahme als Sonderstück in ein früheres Buch gewürdigt hat. Hier ist alles auf engstem Raume beisammen: das plastische Pathos, die inständige Dinglichkeit im Dienste hintergründigen Humors, die präzise Transzendenz und die glasklare Dialektik der Sprache Kafkas. Zunächst das plastische Pathos. Im Urtext heißt es hier:
»Merke aber, ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr vertragen.« Das heißt bei Muir: »But note that I am powerful. And I am only the lowest door-keeper. From hall to hall, keepers stand at every door, one more powerful than the other. Even the third of these has an aspect that even I cannot bear to look at.« Allerdings kann der Engländer hier nur das »ertragen«, nicht aber das für Kafka so unendlich bezeichnendere »vertragen« übersetzen.
Und nun ein Beispiel für die fast penetrante, hintergründig humorhafte Dinglichkeit. Bei Kafka heißt es hier:
»Er verflucht den unglücklichen Zufall in den ersten Jahren laut; später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen.« Diese Stelle lautet bei Muir: »In the first years he curses his vile fate aloud; later, as he grows old, he only mutters to himself. He grows childish, and since in his prolonged watch he has learned to know even the fleas in the door-keeper’s fur-collar, he begs the very fleas to help him and to persuade the door-keeper to change his mind.«
Und nun möchte ich ‒ selbst auf die Gefahr hin, in den Augen mancher Kafka-Bewunderer eine kleine Blasphemie zu begehn ‒ noch ein Beispiel dafür anführen, daß die Übertragung hie und da noch subtiler werden kann als sogar ihr Urtext ‒ und gar ein von Franz Kafka geschriebener; ja wo sie das nicht nur kraft der Materie der englischen Sprache sein kann oder auch sein muß, sondern wo sie den Urtext tatsächlich verbessert, und zwar ohne es an Treue ihm gegenüber zunächst im mindesten fehlen zu lassen. Im gleichen Romane, in dem Kapitel »Ein Asyl«, heißt es bei Kafka: »,Nun?‘, fragte er alle insgesamt.« Es handelt sich um einen Mann, der zu einer Gruppe einigermaßen ratlos beieinanderstehender Menschen tritt. Edwin und Willa Muir übersetzten dies folgendermaßen: »,Well?‘, he asked, addressing everybody.« Wieviel sinnvoller sowohl wie sinnenhafter klingt hier das »addressing everybody« (also: wobei er sich an jeden einzelnen wandte) als das soviel abstraktere, unanschaulichere und damit auch schwerfälligere: »,Nun?‘, fragte er alle insgesamt!« ‒
Ein Kapitel seiner Autobiographie beschließt Edwin Muir mit dem Satz: »Meine Heirat war das glücklichste Ereignis meines Lebens.« Es gibt für die menschliche Intensität dieser Beziehung, die den Dichter, den Denker und den bedeutenden Kulturkritiker Edwin Muir auch geistig immer wieder befruchtet hat, ein einzigartiges Zeugnis ‒ und zwar in seinen eigenen Gedichten. Das »The Confirmation« (»Die Bestätigung«) überschriebene Gedicht ist eine tiefgründige Huldigung des Dichters an die Frau, die vier Jahrzehnte lang seine Lebens-und Arbeitsgefährtin war. Eine Huldigung, die über beide so viel aussagt, daß es mir sinnvoll erscheint, meine »Laudatio« auf die zwei Preisträger mit diesen Versen zu beschließen. Der Urtext lautet:
»Yes, yours, my love, is the right human face.
I in my mind had waited for this long,
Seeing the false and searching for the true,
Then found you as a traveller finds a place
Of welcome suddenly amid the wrong
Valleys and rocks and twisting roads. But you,
What shall I call you? A fountain in a waste,
A well of water in a country dry,
Or anything that’s honest and good, an eye
That makes the whole world bright. Your open heart,
Simple with giving, gives the primal deed,
The first good world, the blossom, the blowing seed,
The hearth, the steadfast land, the wandering sea,
Not beautiful or rare in every part,
But like yourself, as they were meant to be.«
In meiner Verdeutschung lautet dieses Gedicht:
»Du trägst das rechte Menschenangesicht,
Geliebte. Lang erharrte ich’s im Geist,
Sah nur das falsche, ging auf’s wahre zu
Und fand dich, wie ein Wandrer, ganz erpicht
Auf Heimstatt, plötzlich ankommt, eingekreist
Bisher von Tälern, Felsen, Pfaden. Aber du ‒
Was bist du mir? Ein Quell im Wüstenlicht,
Ein Wasserspringquell, wo rings dürres Land ‒
All das, was treu, gut ‒ Aug’, das unverwandt
Die ganze Welt erhellt. Dein offnes Herz,
Im Geben schlicht, gibt doch die frühste Tat,
Die erste gute Welt, die Blüte, blüh’nde Saat,
Den Herd, das feste Land, wandernde Meer,
Nicht schön durchaus noch kostbar allerwärts,
Doch dir gleich, wie’s ihr Sinn von Anfang her.«
(Gekürzt)