Johann-Heinrich-Voß-Preis

The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.

Michael von Albrecht

Philologist and Translator
Born 22/8/1933

Er hat die Rechte dieser Prosaübersetzung dichterischer Werke aus dem Lateinischen formuliert und mit souverän erfülltem Anspruch eingelöst.

Jury members
Kommission: Heinrich Detering, Joachim Kalka, Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels, Ilma Rakusa, Lea Ritter-Santini, Michael Walter

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Joachim Kalka

Nüchternheit und Strenge aus Liebe zum Text

Verehrter Herr v. Albrecht, Herr Präsident, meine Damen und Herren,

den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung hat die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zuletzt im Jahre 1990 für ein Übersetzungswerk aus einer antiken Sprache verliehen, an Manfred Fuhrmann; zuvor 1978 an das Übersetzerkollegium der deutschen Thomas-von-Aquin-Ausgabe. Der Wunsch, nach fast fünfzehn Jahren wieder an die fortdauernde Bedeutung des Übersetzens aus den alten Sprachen zu erinnern, stieß auf ein Werk, das die bedeutenden Schwierigkeiten bei der Übertragung lateinischer Dichtung mit einem neuen, konsequenten Lösungsversuch zu beantworten versucht. Michael v. Albrecht, von 1964 bis 1998 Ordinarius und Direktor am Seminar für klassische Philologie in Heidelberg, bekannt neben vielen anderen Veröffentlichungen durch seine große Geschichte der römischen Literatur (München 1994) und seine wunderbaren propädeutischen Werke Meister römischer Prosa und Römische Poesie, hat sich immer wieder auch als Übersetzer von großem methodischem Scharfsinn betätigt, und man darf sagen, daß er auf dem Feld, das er sich ausgesucht hat, ein neues Paradigma geschaffen hat.
Die wichtigsten seiner Übersetzungen − es gibt Nebenwerke wie die Übertragung der Pythagoras-Biographie des Iamblichos aus dem Griechischen – sind die von Catull (Sämtliche Gedichte), Vergil (Bucolica) und insbesondere Ovid (Amores, Ars amatoria, Metamorphosen), die seit Anfang der neunziger Jahre im Reclam-Verlag erschienen sind (wobei das vielleicht größte Werk, die Übertragung der ovidischen Metamorphosen, bereits 1981 erstmals abgeschlossen wurde). Es sind Prosaübersetzungen, die in bewußter Abkehr von der Wiedergabe in gebundener Sprache entstanden sind; in fast allen diesen Bänden gibt der Übersetzer eine eindringliche Erläuterung zur eigenen Übersetzung, zu ihren Voraussetzungen und ihrer Technik, und er begründet seinen Verzicht auf die metrische Übertragung. Diese Ausgaben sind gelehrt, was den Kommentar und teilweise die eigene Erstellung des lateinischen Textes angeht; sie sind in ihren so skrupulösen wie geschmeidigen Übersetzungen in hohem Maße − um ein töricht gewordenes Wort zu rehabilitieren – leserfreundlich. Ihre große und grundlegende Leistung besteht darin, die Rechte der deutschen Prosaübersetzung dichterischer Werke aus dem Lateinischen, die als ebenso schwierig und vielleicht noch schwieriger als die metrische gelten muß (»Überhaupt«, sagt v. Albrecht einmal, »wird das Übersetzen durch den Verzicht auf das Metrum nur scheinbar erleichtert«), überzeugend demonstriert zu haben.
Obwohl es im strengen Zeitrahmen meiner Laudatio kaum möglich ist, sei dies mit einem winzigen Beispiel angedeutet. Phaethon ist – Metamorphosen II, 329 ff. – mit dem Sonnenwagen abgestürzt und hat die Welt in Brand gesteckt; Apoll trauert um seinen Sohn. »Nam pater obductos luctu miserabilis aegro / condiderat vultus, et si modo credimus, unum / isse diem sine sole ferunt, incendia lumen / praebebant, aliquisque malo fuit usus in illo.« Hören wir eine metrische Übersetzung, die von Erich Rösch: »Denn es verhüllte und barg in erbarmungswürdiger Trauer / gramvoll der Vater sein Haupt, und, ist der Kunde zu glauben, / schied da ohne die Sonne ein Tag. Die Brünste des Feuers / spendeten Licht, und war ein Nutzen so in dem Übel.« Auf kleinem Raum erkennen wir hier die typischen Folgen jenes Umstands, daß die metrische Übersetzung immer eine Zeile zu füllen hat: »verhüllte und barg«; »Brünste des Feuers« ... v. Albrecht übersetzt: »Der bejammernswerte Vater hatte in schmerzvoller Trauer sein Angesicht verhüllt, und wenn wir es glauben wollen, soll ein Tag ohne Sonne vergangen sein; die Feuersbrunst spendete Licht, und so war dieses Übel wenigstens zu etwas nütze.« Dieser trockene Schluß, den v. Albrecht im Nachwort unter den gelegentlich in Ovids Werk begegnenden »frostigen Pointen« anführt, »über den beleuchtungstechnischen Nutzen des Weltbrandes oder der Vergleich des blutenden Pyramus mit einem geplatzten Leitungsrohr« ist ein Beispiel für die »betonte Nüchternheit« Ovids – jene Qualität, von der v. Albrecht vor allen anderen ausgeht. »Ein gutes Beispiel ist der Beginn der Orpheusgeschichte, dem die Übersetzer und Nachdichter hartnäckig durch sentimentale Zusätze aufzuhelfen versuchen.« Dies zu unterlassen ist quasi das poetologische Programm der v. Albrechtschen Prosaübertragung.
»Vergleicht man eine beliebige metrische Übertragung mit dem Original, so beobachtet man oft, was schon Wolfgang Schadewaldt hervorgehoben hat« – anläßlich seiner legendären Übersetzung der Odyssee in deutsche Prosa – »daß der Übersetzer früher mit dem Gedanken fertig ist als mit dem Vers. Die traditionelle Methode des Dolmetschens ist daher vielfach eine Kunst des Streckens und kommt nicht ohne Flickwörter und schmückende Zusätze aus. Sie verwandelt die schlanke ovidische Muse in eine etwas behäbige und betuliche Matrone.« Die ganze Anstrengung v. Albrechts ließe sich definieren als Auflösung jener poetischen Aufschwemmungen, als Versuch, etwa »Catull deutschen Lesern in einer von dichterischen ›Übermalungen‹ befreiten Form zu vermitteln«.
Das ist schwieriger als die metrische Übersetzung, die sich immer auf das Scheinpoetische stützen kann: »Überhaupt«, um diesen bedenkenswerten Satz noch einmal zu zitieren, »wird das Übersetzen durch den Verzicht auf das Metrum nur scheinbar erleichtert.« Insbesondere zeigt sich die Empfindlichkeit des Prosastils »gegen unidiomatische Phrasen und verdrehte Wortstellung«, also genau gegen das, was man in unfreundlicher Stimmung als das Handwerkszeug der metrischen Übersetzung bezeichnen könnte. Nun werden die Rechte einer dichterischen Übersetzung nicht geleugnet; es wird lediglich konstatiert, wie ungeheuer selten der Glücksfall eintritt, daß sie in diese Rechte treten kann. Demgegenüber besinne man sich auf die realen Möglichkeiten des Übersetzens. Einmal zitiert v. Albrecht Heines Kritik an der Schlegelschen Shakespeare-Übersetzung mit ihrer Forderung nach Prosa anstelle der gebundenen Sprache und fügt hinzu: »Es ist gewiß beherzigenswert, wenn ein großer Dichter uns philologischen Übersetzern die einfache Wahrheit ins Gedächtnis zurückruft, daß es für unsereinen immer noch ein weniger utopisches Ziel ist, ordentliche Prosa zu schreiben als gute Verse.« In dieser radikalen und stolzen Bescheidenheit liegt sein Programm als Übersetzer.
Wenn die großen Werke der Literatur immer wieder neu übersetzt sein wollen und wenn sich in den wichtigen Übersetzungen jedes Zeitalters dessen besondere Vorlieben und Anliegen spiegeln, was lesen wir dann als Zeitgenossen Übertragungen wie den Ovid-, Catull-, Vergil-Übersetzungen von Michael von Albrecht ab? Skepsis, Präzision und den ostentativen Verzicht auf alle supplementäre Gestikulation. Nüchternheit. Strenge. Hinter dieser Strenge eine große Liebe zum Text. Denn seine Übersetzungsversuche wollen immer sehnsüchtig auf das Original zurückverweisen, nicht nur in dem Sinne, in dem er geschrieben hat: »Die Wirkung einer Prosaübersetzung hängt somit entscheidend davon ab, ob es ihr ohne die Krücke des Versmaßes gelingt, eine Vorstellung von der gleichsam spielerischen Leichtigkeit des Originals zu vermitteln« – nein, im Sinn des Satzes, mit dem er das Nachwort zu seiner Catull-Ausgabe schließt: »Die Übersetzung hat ihr Ziel erreicht, wenn sie – nach Goethes Worten – ›eine unwiderstehliche Neigung zum Original‹ erweckt.« Nicht umsonst sind alle die genannten Ausgaben zweisprachig.
Die Familie v. Albrecht hat alte Verbindungen nach Rußland – der Großvater hat noch die Neffen des Zaren unterrichtet. Es ist ein schöner, ein glücklicher Zufall, daß diese Ehrung in St. Petersburg stattfindet, einer Stadt übrigens mit einem, wie wir hören, erneut blühenden humanistischen Gymnasium und dem Vernehmen nach sogar einer regen neulateinischen Dichtung. Wir wollen die Möglichkeiten unserer heutigen Aneignung antiker Literatur nicht überschätzen. Aber wir wollen auch nicht von der herrlichen Anstrengung lassen, diese Aneignung immer wieder zu versuchen, und wir danken einem so ingeniösen, liebevollen, strengen Führer auf diesem Wege wie Michael v. Albrecht.