Johann-Heinrich-Voß-Preis

The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.

Fritz Vogelgsang

Translator, Journalist and Publicist
Born 1/3/1930
Deceased 22/10/2009

... der viele große Dichtungen Spaniens und Lateinamerikas in deutscher Sprache neu geschaffen und so für diese Sprache erobert hat.

Jury members
Kommission: Hanno Helbling, Friedhelm Kemp, Lea Ritter-Santini, Michael Walter, Hans Wollschläger

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatory Address by Hans-Martin Gauger
Teacher of Romance languages, born 1935

II Servo Padrone

Fritz Vogelgsang ist einer der besten deutschsprachigen Übersetzer aus dem Spanischen. Sein Freund Rudolf Wittkopf hat den Johann Heinrich-Voss-Preis schon erhalten, und Fritz Vogelgsang hielt die Laudatio. Und die Deutsche Akademie hätte, wenn sie den Preis zuerst Fritz Vogelgsang zuerkannt hätte, auch keinen Fehler gemacht. Ich will hier aber einen weiteren Übersetzer aus dem Spanischen nennen, dem wir den Preis leider nicht mehr geben können: Erwin Walter Palm. Er hat nicht sehr vieles, aber er hat meisterhaft übersetzt.
Fritz Vogelgsang, 1930 in Stuttgart geboren, bezeichnet sich selbst als einen Autodidakten. Nach Aufenthalten in Spanien und in Japan ‒ dorthin lockte ihn, sagt er, das Nô-Theater − wurde er Journalist. Er war von 1964 bis 1974, wie es heißt, »verantwortlicher Literaturredakteur« der ›Stuttgarter Zeitung‹; der Ausdruck »verantwortlicher Literaturredakteur« impliziert, daß es auch unverantwortliche gibt; Vogelgsang, also, war ein verantwortlicher. Danach arbeitete er als Lektor bei Klett-Cotta. Seit 1980 jedoch ist er frei und widmet sich als Übersetzer und als Kommentator fremdsprachiger, zumeist spanisch geschriebener Dichtung.
Ich kann, was er übersetzt hat, kaum aufzählen. Da ist die Lyrik des großen, bei uns noch immer kaum bekannten Antonio Machado, einer der wenigen modernen Dichter, vielleicht der einzige, der geradezu volkstümlich wurde in seinem Land und den die Spanier noch über den großen, liebenswerten und bei uns viel bekannteren García Lorca stellen. Dann andere Klassiker der Moderne: Vicente Aleixandre, Rafael Alberti, Luis Cernuda, dann die schwierige lyrische Dramen- und Romansprache von Ramón del Valle-Inclán, auch er hierzulande noch immer ziemlich unbekannt. Sodann, am Beginn der literarischen Moderne, die in Spanien eine Abkehr von der Rhetorik war, Juan Ramón Jiménez. Er hat aber auch ältere Dichter übersetzt, Gustavo Adolfo Bécquer zum Beispiel, den Romantiker, und die Klassiker Lope de Vega, Santa Teresa und den großen und schwierigen und eigentlich unklassischen Luís de Góngora. Übrigens sind die Übersetzungen Vogelgsangs oft in überaus schöner Aufmachung herausgekommen. Dies gilt zum Beispiel für Góngoras hochartifizielle, ebenso gescheite wie anmutige Sonette: ein Band des Insel-Verlags, in dem wir diese Sonette von Picassos Hand schwungvoll geschrieben finden, versehen mit herrlichen, das Iberische stark betonenden Frauenköpfen. Nicht weniger schön ist die Ausgabe der ›Celestina‹ von Fernando de Rojas, wiederum mit erotischen Graphiken des greisen Picasso. Nicht genug ist diese sprachgewaltige Übersetzung der ›Celestina‹ zu preisen, desjenigen Literaturwerks also, das die Spanier in ihrer Literatur an zweiter Stelle nennen nach dem ›Quijote‹: ein gewaltiges, bildungsgesättigtes und doch auch wieder ganz unmittelbar redendes, realistisch lebensvolles Lesedrama, das einzigartig ist, nicht allein in seiner Zeit, dem Frühhumanismus, sondern überhaupt, einzigartig in der geradezu brutalen Abrechnung mit dem Menschenlos. Vogelgsang hat aber auch große Autoren aus Lateinamerika übersetzt: Miguel Angel Asturias aus Gutatemala, Octavio Paz aus Mexiko und den Chilenen Pablo Neruda. Und Vogelgsang hat nicht nur aus dem Spanischen übersetzt: das Katalanische, die traditionsreiche Sprache des östlichen Spaniens, mit den Zentren Barcelona und Valencia, erlernte er wegen des großen, eigentümlich trockenen modernen Lyrikers Salvador Espriu, von dem er zwei Gedichtzyklen, ›Die Stierhaut‹ und ›Ende des Labyrinths‹, übersetzte.
Schließlich, noch einmal, kaum ausreichend zu rühmen, »nunca como se debe alabado«, den im vergangenen Jahr bei Fischer erschienenen ersten Band des ›Romans vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc‹. Dieser Roman − sein Autor heißt Joanot Martorell (es gibt aber auch noch einen zweiten, der sich Martí Joan de Galba nennt) −, dieser Roman aus dem Jahr 1490, in katalanischer Sprache geschrieben, erscheint zum ersten Mal auf Deutsch, ein Buch, das bereits der Don Quijote las und das der kundige Pfarrer im Roman sogleich ausnimmt von jener denkwürdigen literarkritischen Bücherverbrennung: er bezeichnet dies Werk − und ist da klar erkennbar Sprachrohr des Autors − schlicht als »das beste Buch der Welt«, »el mejor libro del mundo«. Was will man mehr? Es ist also die erste Übersetzung ins Deutsche dieses vor genau fünfhundert Jahren in Spanien erschienenen katalanisch geschriebenen Werks, gedruckt übrigens (Gutenbergs Erfindung lag noch nicht lange zurück) in Spanien von einem deutschen Drucker, Nikolaus Spindeier aus Zwickau. Der Fall ist bemerkenswert auch insofern, weil dieses bisher nur von den für das Spanische zuständigen Philologen gekannte und gepriesene Werk seinen neuen Ruhm, außerhalb der Gelehrtenwelt, einem Schriftsteller verdankt, dem großen peruanischen Autor Mario Vargas Llosa, der einen schönen ›Fehdebrief zur Verteidigung des weißen Ritters‹ geschrieben hat. Auch diesen ›Fehdebrief‹ hat Vogelgsang übersetzt, und es spricht wahrlich nicht gegen ihn, daß er sich in seinem Vorwort, überschrieben mit ›Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen Erzfabulanten‹, kräftig, weil er manches anders sieht, mit dem kundigen und so sehr europäischen Peruaner auseinandersetzt.
Überhaupt die Kommentare, die Vor- und Nachworte Vogelgsangs. Man hat sie ihm gelegentlich verübelt, weil Literaturkritiker nicht selten meinen, der Übersetzer habe zu übersetzen und sich darauf, bitte, zu beschränken. Er habe weder auszuwählen noch zu kommentieren. Diese Meinung scheint mir mehr als abwegig. Zunächst partizipieren die Kritiker hier − unbewußt, vielleicht mehr als bewußt − an der zu geringen Einschätzung dessen, was ein Übersetzer tut, dann jedenfalls, wenn seine Übersetzungen, wie Nietzsche dies in einer treffenden Formulierung von der Übersetzung fordert, »Eroberungen« sind. Übersetzungen müssen, in der Tat, Eroberungen sein. Sodann ist zu bedenken, was Michael Hamburger einmal so ausgedrückt hat: »das Übersetzen [ist] eigentlich − für mich setzt Hamburger hinzu, »eine tiefere und auch ergiebigere Würdigung eines Texts als jedes Schreiben darüber«. Dies wiederum bedenken insbesondere die Philologen viel zu wenig, die Fremdsprachiges zitieren, ohne durch die Übersetzungen jener Zitate zu zeigen, daß oder was sie verstanden haben. Alle fremdsprachigen Zitate sollten in philologischen Arbeiten, meine ich, eigentlich übersetzt werden. Dies zwingt den Interpreten zur Deutlichkeit. Der Übersetzer nämlich sieht sich gegenüber dem Philologen, der auszuweichen vermag, in einem strukturell gegebenen Nachteil: er muß sich für eine Lösung entscheiden; er muß sich überhaupt immer entscheiden. Die Interpreten, die philologischen und die anderen, können offen und in der Schwebe lassen. Der Übersetzer kann, wenn auch er in der Schwebe lassen will und dies oft genug muß, dies auch wieder nur durch eine Entscheidung für eine Lösung, eine einzige, tun. Schließlich gilt, was das Kommentieren angeht, in anderer Weise doch wohl auch, was Paulus drastisch, mit Hilfe Luthers, in ganz anderem Zusammenhang so ausdrückt: »man soll dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden«. Warum eigentlich sollte der Übersetzer über das Werk, mit dem er so intensiv gerungen hat, nichts sagen dürfen? Vogelgsang tut es ohne die geringste Scheu, und bei ihm sind die Vor- oder Nachworte wie ein Überborden der übersetzenden Tätigkeit. Auch sind sie ein sich kundig machendes und daher dann auch den Leser kundig informierendes Sich-Vergewissern über Autor und Werk.
Übrigens ist Vogelgsang ein ehrgeiziger Übersetzer auch insofern, als er einen größeren Unterschied zwischen übersetzendem und, sagen wir einmal, freiem Schreiben nicht anerkennt. Seine einschüchternde Wortgewalt bestärkt ihn in dieser seine Arbeit ohne Zweifel befördernden Meinung, die ich nicht schlechthin als Illusion bezeichnen, aber doch auch nicht einfach übernehmen will.
Wir hatten einmal, er und ich, eine kleine Fehde, die menschlich völlig harmlos, aber von der Sache her nicht unwichtig war. Sie betraf das Übersetzen selbst, und zwar anläßlich des Portraits eines Übersetzers, das sich in Thomas Manns ›Doktor Faustus‹ findet: Rüdiger Schildknapp, bekanntlich, heißt der Übersetzer dort, und der Name »Schildknapp« wurde da, wie immer, mit Bedacht gewählt. Hinter dieser zentralen Nebenfigur des Romans, Adrian Leverkühns treuem und doch nicht in jeder Hinsicht zuverlässigem Freund, verbirgt sich, wie man weiß, Thomas Manns eigener Freund, der Schriftsteller und Übersetzer Hans Reisiger. Meines Wissens ist Schildknapp der einzige Fall eines literarischen Übersetzers als literarischer Figur. Übrigens sind wir uns, Vogelgsang und ich, auch im Blick auf Thomas Mann wohl nicht ganz einig. Ich habe mich oft darüber gewundert, weshalb Thomas Mann den Lesern so zusagt und den Schriftstellern so wenig. Der pure Neid auf den »Großschriftsteller« kann es ja nicht sein. Vielleicht liegt es daran, daß man von Thomas Mann, wenn man selbst literarischer Autor ist oder sein möchte, schwerlich lernen kann; schwerlich kann man ihn ja weiterführen... Döblin zum Beispiel, den Günther Grass seinen Lehrmeister nennt, kann man weiterführen... Offensichtlich gibt es Autoren für Leser und Autoren für Autoren. Doch wie immer: Thomas Mann schildert seinen Übersetzer als gescheiterten Schriftsteller und macht dies Scheitern beinahe zur Bedingung seines erfolgreichen Übersetzens.
Davon nun wollte Fritz Vogelgsang vehement gar nichts wissen, wie er in seiner Laudatio auf Rudolf Wittkopf zu verstehen gab. Ein Schildknapp, ein Diener also, sei der literarische Übersetzer ganz und gar nicht. Nun hatte ich es ja im Zweifel nicht so ernst gemeint mit dem Diener. Meine These war: etwas von Rüdiger Schildknapp müsse gerade im guten literarischen Übersetzer sein: der Ansatz, einerseits, zum Schriftsteller, sonst fehlt ihm der Zugang und fehlen ihm die Mittel der Ausführung; aber doch, andererseits, nicht zu viel an eigenem, Eigenes wollendem literarischen Schaffensimpuls, sonst übersetzt er entweder gleich gar nicht, oder er macht aus dem fremden Werk sein eigenes, so wie Rilke aus beinahe jedem von ihm übersetzten Vers einen (oft sehr schönen) Rilke-Vers machte... Als Leser von Übersetzungen jedenfalls müssen wir doch wohl sagen, daß uns ein Übersetzer nicht willkommen wäre, der sich nicht bereit zeigte zu dienen, nämlich seinem Autor durch eine »getreue« Übersetzung. Wobei sogleich hinzuzufügen ist, daß es sich da um einen Diener sehr besonderer Art handelt: einen Diener, der erobert, die Schliche seines Herrn vielfach durchschaut und auf seine Weise im Medium der neuen Sprache durchaus herrscherlich herrscht: der Diener, somit, in seinem Feld, als Herr, il servo padrone. Ich meine also, etwas von diesem Zwiespalt dürfe und müsse im guten Übersetzer lebendig sein, etwas von Leporellos kecker Klage, mit der vokal der ›Don Giovanni‹ beginnt: »Sich abmühn bei Tag und bei Nacht..»Notte e giorno faticar...«, und dann, ganz direkt: »Will auch einmal Edelmann sein und nicht mehr dienen«, »Voglio fare il gentiluomo, e non voglio più servir«. Gut, der Vergleich hinkt, jeder Vergleich tut es, und − wie die eigentlich tiefsinnige Wendung unserer Sprache lautet −: ich meine ja bloß... Und auf jeden Fall und unabhängig von Rüdiger Schildknapp ist ja dies richtig: daß wir erstens den literarischen Übersetzer dringend brauchen, jeder an Literatur Interessierte braucht ihn, und daß zweitens eine einzige meisterhafte Seite, die gut übersetzt wurde, mehr wiegt als hundert Seiten eigener mittelmäßiger Produktion...
Man macht sich selten klar, was hinter einer Übersetzung steht: wieviel an vielfältigem, dem Text und der eigenen Sprache intensiv hingegebenen Suchen und Finden, wieviel an Zweifel, Verwerfung, erneutem Suchen und erneutem Finden, das dann oft bloß die Rückkehr zum zunächst Gefundenen ist. Hans Wollschläger hat es einmal, wie andere vor und nach ihm, eindringlich beschrieben. Dies alles natürlich ist beim eigenen Schreiben nicht anders. Der Unterschied liegt darin, daß der nichtübersetzende Schriftsteller seinen Text noch nicht hat, genauer: daß er für ihn keine Vorlage hat, allenfalls ist da etwas noch Unbestimmtes, das ihm vorschwebt, während der Übersetzer über einen festen Text als Vorlage für seinen eigenen verfügt. Gewiß ist jedes Schreiben etwas wie ein Übersetzen. »Übersetzen ist so gut Dichten«, sagt Novalis in einem Brief an August Wilhelm Schlegel, »als eigene Werke zustande bringen − und schwerer, seltener. Am Ende ist alle Poesie Übersetzung.« Dies ist gewiß kühn gedacht, und gewiß ist es auch nicht einfach falsch. Nur muß man, wenn jedes Schreiben Übersetzen ist, dann sogleich zwei Arten von Übersetzung unterscheiden: solche mit festem Text als Vorlage, der genau, nämlich mit dem Ziel der Wirkungsgleichheit in der neuen Sprache, entsprochen werden muß, und solche mit noch undeutlichem, sich selbst erst suchendem Text.
Man muß sich auch klarmachen, was beim Übersetzen eigentlich übersetzt wird. Nicht eine Sprache wird in eine andere übersetzt, sondern: etwas in einer Sprache wird in etwas in einer anderen verwandelt. Es wird auch nicht der Sinn des Texts übersetzt, das also, was er meint; ein überaus gängiges Mißverständnis. Übersetzt vielmehr wird der Text selbst, auch gerade, so gut es angeht, in seinen materiell sinnlichen Qualitäten. Es ist also falsch zu meinen, ein Etwas am Text, eben sein Sinn, werde übersetzt. Es ist schon deshalb falsch, weil ein Text nicht ein Etwas ist, das − neben anderem − auch noch Sinn hätte. Vielmehr: der Text ist Sinn. Dieser sinnverkörpernde (nicht: sinnhabende) Text ist Gegenstand der Übersetzung, und die Übersetzung schafft eine neue − im Idealfall wirkungsgleiche − Verkörperung.
Es hat sich, was die Einschätzung, den schlichten Respekt vor der großen − intensiven und extensiven − Leistung des Übersetzers angeht, in den letzten beiden Jahrzehnten einiges gebessert. Was sich gebessert hat, reicht aber nicht aus. Ich will daher zwei Vorschläge machen oder besser: Forderungen erheben, deren Realisierung leicht wäre. Sie wäre leicht und kostenneutral. Im letzten und vorletzten ›Merkur‹-Heft, April 1991, findet sich eine ganzseitige Anzeige des Romans des Spaniers Gonzalo Torrente Ballester. Daß es sich um den Verlag Klett-Cotta handelt, tut nichts zur Sache, denn andere Verlage halten es vielfach nicht anders. Wir erfahren nämlich in dieser Anzeige nur den Namen des Autors, den deutschen Titel des Werks (er lautet ›Licht und Schatten‹), die Seitenzahl und den Preis des Buchs in DM und in österreichischen Schillingen. Wir erfahren auch, daß der zweite Teil des Werks im Juli und der dritte im Oktober 1991 erscheinen werden. Schließlich erfahren wir die ISBN-Ziffer. Kurz: wir erfahren vieles, nur den Namen des Übersetzers erfahren wir nicht. Vielleicht handelt es sich da wieder um Fritz Vogelgsang... Man präsentiert uns auf dieser Werbeseite den Umschlag des Buchs mit schöner Graphik − aber eben: auf dem Umschlag steht der Name des Übersetzers nicht. Es ist schon viel, bei deutschsprachigen Verlagen, wenn der Übersetzer auf dem Titelblatt erscheint. Meine wunderschöne Ausgabe von Gogols »Toten Seelen« kommt von der Büchergilde Gutenberg. Auf dem Titelblatt dieses, wie gesagt, besonders schön und gewissenhaft ausgestatteten Buchs findet sich, neben Autor und Titel, bloß noch der Hinweis: »Mit 104 Federzeichnungen von Josef Hegenbarth«. Den Namen des Übersetzers − er heißt Alexander Eliasberg − findet man, keineswegs unter den übrigen Angaben irgend hervorgehoben, erst auf der allerletzten Seite, dort, wo auch vermerkt ist, wer Schutzumschlag und Einband entworfen, welche Firma für Satz und Druck verantwortlich ist und welche das Papier (»100 g holzfrei weiß«) geliefert hat. Überhaupt fällt auf, daß der Illustrator durchweg als weitaus wichtiger behandelt wird als der Übersetzer: »Miguel de Cervantes. Don Quijote. Mit 24 Illustrationen von Grandville« steht auf dem Einband der bei dtv erschienenen Ausgabe. Frage nun also: ist diese Behandlung der Übersetzer gerecht? Ist sie nicht ungeheuerlich? Gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, den Übersetzer nicht klar und deutlich neben dem Autor herauszustellen? Wollen die Verlage dem Leser ein Original Vortäuschen? Die Forderung kann also nur lauten: der Übersetzer gehört nicht nur auf das Titelblatt, sondern auch auf Einband und Umschlag. Und es geht nicht an, da, wie üblich, dem Graphiker das Feld zu überlassen, der, möglicherweise, so viele Buchstaben auf dem Umschlag nicht will...
Meine zweite Forderung wäre, auch sie durchaus kostenneutral, daß die Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften ihre Rezensenten bitten, um nicht zu sagen anweisen, grundsätzlich, das heißt: in jedem Fall, den Namen des Übersetzers zu nennen und zur Qualität der Übersetzung Stellung zu nehmen. Damit wir uns verstehen: dem Rezensenten sollen keine Vorschriften gemacht werden hinsichtlich seiner Aussage; er soll schreiben dürfen, was er für richtig hält; nur eins soll er nicht dürfen: den Übersetzer schlicht ignorieren und − wiederum eigentlich eine Monstrosität − einfach so tun, als hätte hier nicht einer zahllose Stunden mit schwieriger Arbeit verbracht. Im übrigen muß man die Sprache des Originals keinesfalls beherrschen, um zur Übersetzung etwas sagen zu können. Immer kann, ganz unabhängig vom Original, zur Lesbarkeit der Übersetzung, zu ihrer inneren Stimmigkeit etwas gesagt werden. Hierfür genügt die Kenntnis der »Zielsprache«. Vor Jahren erschien in der ›Zeit‹ eine ganzseitige Besprechung von Jacques Lacans Buch ›Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse‹. Die Übersetzung dieses in gewissem Sinn literarischen Werks durch Norbert Haas, die Gegenstand der Besprechung war, hilft auch demjenigen vielfach zu besserem Verständnis, der des Französischen einigermaßen mächtig ist, denn gut französisch zu können, ist für das Verständnis Lacans beinahe hinderlich. Nun, in jener Besprechung dieses Werks von Lacan wurde die Übersetzung, die gerade in diesem spezifischen Fall überaus schwierig und langwierig war, mit keinem Halbsatz erwähnt, und auf der ganzen, riesigen Seite fand sich nirgends der Name Norbert Haas. Auch hier − also e silentio zu erschließen − Mißachtung. Da ich die Autorin der Rezension verehre, will ich ihren Namen hier nicht nennen. Ihr Vorgehen steht ja auch nicht allein.
Die Realisierung dieser beiden Forderungen wäre für den Übersetzer nicht allein eine angemessene ideelle Entschädigung. Sie wäre für ihn auch Verpflichtung. Er hätte dann weniger die Möglichkeit, sich hinter einem Quasi-Anonymat, das ihm ungebührliche Freiheit gewährt, zu verbergen. Übrigens gibt es Übersetzungen, in denen überhaupt nirgends der Übersetzer genannt ist: Turgenjews ›Väter und Söhne‹ liegen mir so vor; da heißt es bloß: »Buchausstattung Karl Bauer«. Dies ist für den Übersetzer, dann nämlich, wenn er schlecht ist, ein Schutz, den man ihm nicht gewähren sollte. Es geht also nicht allein darum, den Übersetzer stärker herauszustreichen, es geht auch darum, ihn in eine exponiertere Stellung zu bringen, damit auch die Mängel seiner Arbeit − die vermeidbaren Mängel − stärker hervortreten. Die Stärkung des Übersetzers im Bewußtsein würde indirekt, ohne Zweifel, auf die Qualität der Übersetzung eine günstige Wirkung tun. Auf den Plakaten, die Konzerte ankündigen, auch auf Schallplattenhüllen, ist in der Regel der »Interpret« übergroß herausgestellt: ganz klein liest man da, etwa unter »Maurizio Pollini«, »Beethoven«, »Chopin« und so weiter. Man kann dies schlecht und sicher nicht in jeder Hinsicht gleichsetzen (immerhin: Georg Picht hat den Vergleich bereits angestellt). Sicher aber ist, daß der Übersetzer nicht weniger − quantitativ und qualitativ, im Guten wie im Schlimmen − für seinen Autor tut als der interpretierende Künstler für seinen Komponisten: beide erwecken − für andere − etwas zum Leben. Und ein russisch geschriebenes Buch ist für den dieser Sprache nicht Kundigen noch toter (sit venia comparativo) als die Partitur der Hammerklavier-Sonate für den, der gedruckte Noten nicht − allein durch bloßes Lesen − für sich selbst zum Klingen zu bringen vermag...
Im übrigen, philosophisch anthropologisch gesehen, ist das Übersetzen vielleicht die menschlichste aller denkbaren Tätigkeiten. Der Mensch sei, heißt eine alte Kunde, das »Sprache habende Tier«. In Wirklichkeit ist die Bestimmung ungenau und auch nicht ganz zutreffend. Der Mensch ist das Tier, das mehrere Sprachen spricht oder doch zu erlernen imstande ist. Dies heißt nun aber korollarisch: der Mensch ist das Tier, das übersetzt. Kein Tier übersetzt. Im Übersetzen zeigt sich die radikale Geschichtlichkeit unserer Sprache, die eben nicht als Sprache, im Singular, sondern nur in der Vielfalt, in der historisch gewordenen Varietät gegeben ist. Es gibt nur Sprachen; keine Sprache. Was die Erzählung der biblischen Genesis vom sogenannten »Turmbau« in Babylon berichtet (denn es geht auch um den der großen Stadt), ist faktisch, ohne daß die Erzählung dies wüßte, der Versuch, die Geschichtlichkeit der Sprache zu erklären. Die Übersetzung ist das Produkt Babylons; sie ist aber gerade auch ein Stück Überwindung des Babylonischen; sie ist in unserer Welt ein antibabelisches Element. Und übrigens finden wir den Übersetzer, auch schon den professionellen, bereits in der Genesis: Joseph, als mächtiger Minister des Pharao, redet mit seinen Brüdern, damit sie nicht merken sollen, daß er sie versteht, über einen Dolmetscher. Es gab also an Pharaos Hof bereits angestellte und gewiß schon damals schlecht entlohnte Übersetzer.
Heute aber gilt es, ein wenig spät vielleicht, aber durchaus noch rechtzeitig, einen großen Übersetzer zu ehren: einen literarischen Übersetzer, einen Kommentator, der ein Diener ist und ein Eroberer. »Ich habe gesprochen«, sagen die Spanier am Ende einer Rede, »nichts weiter«: »He dicho. Nada más«.