The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.
Translator
Born 6/1/1886
Deceased 25/6/1966
Seit einem halben Jahrhundert hat sie ihre Arbeit als Übersetzerin dem Lebenswerk Dostojewskijs gewidmet...
Jury members
Kommission: Rudolf Hagelstange, Hans Hennecke, Karl Krolow, Walter Franz Schirmer, W. E. Süskind, Georg von der Vring
Mitglieder des Erweiterten Präsidiums
Laudatory Address by Werner Bergengruen
Writer, born 1892
Vielleicht ist es manchem unter Ihnen wie mir ergangen, dem seit langem der Name E. K. Rahsin vertraut und fremd zugleich war; vertraut, weil er sich mit dem geliebten Namen Dostojewskij und mit dem Gedanken an die große ‒ ich darf wohl sagen: monumentale ‒ Gesamtausgabe des Verlages Piper verband; fremd, weil ich nicht wußte, ob eine Frau oder ein Mann hinter dem Namen Rahsin stand, ja, nicht einmal wußte, daß es sich um ein Pseudonym handelt.
Nun, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat es sich in den Kopf gesetzt, den Namen zu jenen Ehren zu bringen, die er verdient. Was sie bewogen hat, der Frau, die sich E. K. Rahsin nennt, den diesjährigen Übersetzerpreis zuzuerkennen, das ist nicht allein der hohe Rang ihrer Verdeutschungskunst. Es ist zugleich die Einzigartigkeit eines Lebenswerkes, das mehr als ein halbes Jahrhundert umfaßt und über dem ein einziger Name steht: der Name Dostojewskij.
Mancher von uns schreibenden Leuten hat neben seinen sonstigen Verrichtungen und Hervorbringungen dieses oder jenes Buch ausländischer Provenienz in die Muttersprache übertragen, und mancher hat bei solchem Unternehmen Verläßlichkeit, Einfühlungsgabe, Sprachempfindung und Kunstverstand an den Tag gelegt. Aber ich wüßte keinen unter unseren namhaften Übersetzern, von dem sich sagen ließe, was von der heute zu Feiernden gesagt werden muß.
Sie hat sich schon in jungen Jahren einen der großen russischen Gestalter und Verkünder erwählt und sich mit aller Selbstlosigkeit und Hingabe, deren ja vor allem die weibliche Natur fähig ist, dem Gedanken seiner Verdeutschung ‒ oder lassen Sie mich besser sagen: seiner Eindeutschung ‒ zu lebenslänglichem Dienst verpflichtet. Von Jahr zu Jahr, von Buch zu Buch, von einer Fassung zur anderen fortschreitend, hat sie in der Stille, unter nobler Zurückstellung der eigenen Person, in ebenso großartiger wie beispielloser Monogamie, unbeirrbar diesem Einen die Treue gehalten, als dessen Charakteristikum sie »das Ringen um neue Begriffe von Gut und Böse« erkennt. Und wenn ich, was ja bei einer ehemaligen Architekturstudentin in besonderem Grade verlockend und erlaubt sein muß, ein Beispiel aus der Architektur heranziehen darf, so möchte ich sie mit einem der Dombaumeister früherer Zeiten vergleichen, deren ganzes Leben unabtrennbar mit einem bestimmten Sakralbau verbunden gewesen ist.
Sie hat das große Glück gehabt, in den geistigen Lebenskreis einer bedeutenden Verlegerpersönlichkeit zu geraten und in Gemeinschaft mit ihr planen und arbeiten zu dürfen. So konnte sie sich entfalten, und so konnte der gewaltige Bau der Dostojewskij-Gesamtausgabe emporwachsen. Und wenn vor dem lesenden Deutschen heute ein unverschwommenes Bild Dostojewskijs steht, des Dichters wie des Menschen, so ist es vornehmlich sie gewesen, die es aufgerichtet hat.
Aber nicht durch die Übertragung allein. Innerhalb eines solchen Lebenswerkes ist man nicht nur Übersetzer ‒ das wächst schon in ganz andere Dimensionen hinein. Die Übersetzerin wurde auf die natürlichste Weise zur Deuterin. In ihren unschätzbaren Nachworten hat sie uns die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Buches, ja, auch der kleinsten Einzelerzählung gegeben. Nehmen wir das alles zusammen, so haben wir Dostojewskijs ganze äußere und innere Biographie.
Der Gedanke an die Unpopularität von Anmerkungen innerhalb eines im engeren Sinne literarischen Werkes ‒ das Wort »belletristisch« will mir in diesem Zusammenhang nicht über die Lippen ‒ hat sie nicht hindern können, hier das Wünschenswerte, Notwendige, Verdienstliche mutig zu verrichten. Sie hat Schwerverständliches erklärt, verbreitete Irrtümer berichtigt und so an ihrem Teil wichtige Voraussetzungen zum Verständnis nicht nur Dostojewskijs und seiner Bücher, sondern auch russischer Zustände und russischer Menschen geschaffen. Ungezählte Leser in allen Ländern der deutschen Sprache haben sich ihr Bild nicht nur von Dostojewskij, sondern von der russischen Welt und von der vielberufenen, so eifrig, ja, so leidenschaftlich gern mißverstandenen russischen Seele nach ihren Unterweisungen geformt, unter denen ich nicht zuletzt der Anmerkungen gedenke.
Was nun die Übersetzungen selbst angeht, so möchte ich sie noch mit ein paar Worten charakterisieren und zugleich daran erinnern, daß unsere Preisträgerin ihre Arbeit in einer Zeit aufgenommen hat, da, mindestens, was Verdeutschungen aus dem Russischen angeht, das übersetzerische Niveau, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, beklemmend niedrig war. Ja, man könnte versucht sein, auf diese Jahre um 1906 den klassisch gewordenen Ausspruch anzuwenden, mit dem Karl Kraus die Bemühungen eines Shaw-Übersetzers honorierte: »Er übersetzte diese Bühnenwerke aus dem Englischen in eine ihm gleichfalls unbekannte Sprache.« In eine solche Situation traten nun E. K. Rahsins Übertragungen, die ja nicht denkbar gewesen wären ohne die kundigste Liebe zu zwei Sprachen, zwei Kulturen, zwei Völkern. Sie haben mitgeholfen, Maßstäbe zu gewinnen, an denen übersetzerische Leistungen gemessen werden konnten. Neben der Zuverlässigkeit jedes Wortes und Satzes möchte ich aber noch ein zweites Meritum rühmen.
Im Gegensatz zu den Auffassungen mancher anderer Nationen, etwa der Italiener ‒ den völkerpsychologischen Ursachen dieser Verschiedenheiten nachzusinnen, würde hier zu weit führen ‒, hat der deutsche Leser das Bedürfnis, die Ursprungswelt eines übersetzten Romans deutlich um sich zu spüren. Uns gilt als die geglückte Übertragung diejenige, durch deren adäquates Deutsch nicht nur die sprachliche Individualität des Verfassers hindurchschimmert, sondern die den Leser zugleich mit der Atmosphäre des Landes und Volkes tränkt, denen der Autor angehört. Es muß auch an der Sprache spürbar sein, ob das übersetzte Werk der portugiesischen, der arabischen oder eben der russischen Welt entstammt. Es muß, wie die Russen sagen, »nach Rußland riechen«. Diesen russischen Geruch hat die Preisträgerin auszubreiten verstanden, ohne daß ihr Deutsch darüber zu Schaden gekommen wäre. Sie hat als Substanz die Reinheit und Freiheit der deutschen Sprache zu behaupten und doch als Aroma den Geist des Russischen zu erhalten gewußt.
So etwa stellt sich mir das Werk dar, das wir mit unseren bescheidenen Möglichkeiten, aber mit den Impulsen unserer Herzen heute zu ehren versuchen; zu unserem großen Bedauern: par distance.
Dostojewskij hat ein, wie es bei ihm und seinen Landsleuten heißt, »neues Wort« gesprochen. Und nach seiner festen Überzeugung ist Rußland als ein Ganzes berufen, einmal ein neues Wort zu sprechen. Wenn dieses Wort seine Lautgestalt findet, dann wird es vielleicht manchem Deutschen vernehmlicher und verständlicher sein aufgrund der heute von uns gefeierten Leistung. Wir wollen nicht ablassen, vom Vaterlande Dostojewskijs dies neue Wort zu erhoffen. Es kann nicht identisch sein mit dem hundertfach entstellten und befleckten Wort, das nun seit vier Jahrzehnten von Rußland aus in die Welt schallt. Denn es müßte ja gesprochen sein aus jener Seelenkraft, die wir mehr als jede andere an der russischen Nation bewundern und lieben, nämlich aus der Kraft des Gewissens, die uns aus so manchen Äußerungen des russischen Volksgeistes entgegentritt, am stärksten und ergreifendsten aber aus den Werken der großen russischen Dichter des neunzehnten Jahrhunderts.