The »Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung« (Prize for Translation) has been awarded by the German Academy for Language and Literature since 1958 for the »outstanding achievements in translation,« with a particular emphasis on the translation of literature into German.
The prize is awarded annually at the spring conference of the German Academy.
The Johann Heinrich Voß Prize has been endowed with €20,000 since 2002.
Yiddish scholar, Germanist, Translator and Writer
Born 1/1/1963
Armin Eidherr, der mit Einfühlungsvermögen und Phantasie sehr unterschiedliche Werke der jiddischen Literatur ins Deutsche übersetzt hat...
Jury members
Kommission: Joachim Kalka, Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels, Roswitha Matwin-Buschmann, Lea Ritter-Santini, Michael Walter
Mitglieder des Erweiterten Präsidiums
Laudatory Address by Joachim Kalka
Herüberretten des Bedrohten
Die Akademie ehrt mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis zum ersten Mal einen Übersetzer aus dem Jiddischen. Daß dies in Krakau geschieht, ist eine glückliche Fügung; es hat einen schönen und bitteren Sinn, den ich nicht ausdrücklich beschwören muß.
Fast alle Literaturen kennen Aperçus zum Problem des Übersetzens, und Chaim Nachman Bialik, der nicht nur der große Dichter des modernen Hebräischen ist, sondern auch bedeutende Texte auf jiddisch verfaßt hat, wird der Satz zugeschrieben : »Eine Übersetzung ist wie ein Kuß durch ein Taschentuch.« Dieser Satz faßt schön das notwendige Scheitern des Übersetzens (man schmeckte lieber den Mund als das Tuch) und seine Leistung (immerhin findet der Kuß der beiden Literaturen statt) zusammen. Mit den Übersetzungen aus dem Jiddischen hat es wohl noch eine besondere Bewandtnis: das Taschentuch hat hier eine besondere Textur.
Ein kleines Episodenzitat aus Gershom Scholems Autobiographie Von Berlin nach Jerusalem führt ein Stück an die Eigenart des Problems heran. Scholem hat sich soeben endgültig mit seinem Vater, dem Vertreter eines völlig assimilierten Judentums, überworfen, ist von diesem per Einschreibebrief des Elternhauses verwiesen worden und ist in die Pension Struck »am Schmargendorfer Ende der Uhlandstraße« gezogen, wo viele Ostjuden wohnten, darunter Salman Rubaschow, ein späterer Staatspräsident von Israel. Man macht sich Gedanken über die Sicherung seiner Existenz wenigstens auf ein paar Monate; ein zuerst auf Hebräisch, dann auf Jiddisch erschienenes Gedenkbuch für die vor dem Ersten Weltkrieg in Palästina bei der Verteidigung ihrer Siedlungen ums Leben gekommenen Angehörigen der zionistischen Arbeiterbewegung ist ins Deutsche zu übersetzen – das wäre doch etwas für Scholem! »Ich sagte zu Rubaschow: Aber wie soll ich denn aus dem Jiddischen übersetzen? ›Was, Sie haben doch erst vor zwei Monaten den Alexander Eliasberg in der Jiddischen Rundschau wegen seiner schaurigen Übersetzung aus dem Jiddischen vernichtet!‹ Ja, sagte ich, das ist doch etwas anderes. ›Unsinn‹, sagte Rubaschow, ›Sie können Hebräisch, das weiß ich, und können also die ursprünglich hebräisch geschriebenen Aufsätze aus dem Original übersetzen. Daß Sie Deutsch können, brauchen Sie mir nicht zu beweisen. Mittelhochdeutsch haben Sie auf dem Gymnasium gelernt, wozu haben Sie mir Walther von der Vogelweide deklamiert? Und die slawischen Worte fragen Sie eben mich; dazu wohnen wir ja nebeneinander. Da haben Sie also Ihr Jiddisch.‹« Hier wird in beiläufig komisch zugespitzter Weise die Komplexität des Problems, das angeblich gar kein großes sein soll, erst recht betont. Daß im übrigen gerade das Übersetzen aus einer Sprache, in der manches mit seinen Entsprechungen im Deutschen identisch oder diesen ganz ähnlich ist, manches aber auch nur so klingt und scheint, manches haarscharf neben dem vermeintlich Entsprechenden liegt, anderes eine sehr fremde und ferne Farbe trägt – daß dieses Übersetzen seine ganz besonderen Tücken hat, versteht sich. Und dazu kommt oft das besondere Gewürz einer anderen Lebenswelt mit reicher eigener Tradition und unzähligen Anspielungen auf dem deutschen Leser Fremdes. Diese Probleme ohne Eskamotierung der unlösbaren Schwierigkeiten und mit größter Rücksicht auf die Eigenheit der Sprache zu lösen: das ist die Aufgabe, die sich der Übersetzer Armin Eidherr gestellt hat.
Ich möchte aber nicht wie ein Kenner des Jiddischen zu Ihnen sprechen, was eine Anmaßung wäre, kaum als Übersetzer im kollegialen Bewußtsein der Schwierigkeit eines solchen Unternehmens, sondern in aller Kürze als Vertreter einer etwas altfränkischen Gattung, die aber vielleicht für das Geschäft des Laudators eine besondere Eignung besitzt: als dankbarer Leser. Diese Dankbarkeit gilt dem Übersetzer, Philologen und Herausgeber (der Jiddischen Bibliothek im Otto Müller Verlag), der auf dem Terrain der jiddischen Literatur entscheidende neue Entdeckungen ermöglicht hat – Abraham Mosche Fuchs, Lamed Schapiro – und altbekannte Autoren wie etwa Isaak Leib Perez neu sehen läßt. Besonders ist hervorzuheben, daß einige der von ihm übersetzten Texte sich par excellence als Korrektiv eines weitverbreiteten und recht fatalen Mißverständnisses empfehlen.
Die jiddische Literatur ist wie keine andere der letzten Jahrhunderte Opfer der Furie des Verschwindens, so sehr, daß ihre Übersetzung, wie Eidherr geschrieben hat, immer zum prekären, dringlich gebotenen »Herüberretten des Bedrohten« in die Fortexistenz wird. Sie hat es aber außerdem auch seit längerem schwer, sich eines falschen, in allzu leuchtenden Chagall-Farben gemalten Bildes zu erwehren, das hartnäckig an ihr kleben will. Der seltsame Weg gewisser Schlüsselfigurinen vom tragischen Humor der Geschichten Scholem-Alejchems über eine Nostalgie, die sich an Chagalls von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gefälligeren Wunderlichkeiten inspiriert, bis hinein in das Musical Fiddler on the Roof (auf deutsch Anatevka) scheint typisch für eine Rezeption dieser Literatur, die ihren Gegenstand gar nicht mehr als Literatur im eigentlichen Sinne wahrzunehmen vermag, sondern ihn reduziert auf eine Art Folklore-Souvenir, entweder sentimental oder melodramatisch-dämonisch, Yentl oder Dybbuk. Armin Eidherr gehört zu den Jiddisten und Übersetzern, die durch ihre Arbeit in den letzten Jahren jene Festlegung jiddischer Literatur auf das spezielle Rollenfach einer bunt-melancholischen Nostalgie, die auch die Vielschichtigkeit der großen jiddischen Klassiker in die Kitschoptik mitreißen will, immer wieder sabotiert haben.
Als Beispiel für seine besondere Leistung sei hier Unter der Brücke genannt, der großartige und großartig in ein elastisch-grelles österreichisch voller Zeitkolorit und Niedertracht übersetzte Text von Abraham Mosche Fuchs aus dem Jahre 1924 – eine gnadenlos düstere Geschichte aus dem 2. Wiener Gemeindebezirk während des Weltkrieges, ein erstaunliches Beispiel für die bedeutende jiddische Literatur im Wien der Zwischenkriegszeit, ein Stück jüdischer Expressionismus. Durch eine solche Publikation tritt diese Literatur mit all ihrer radikalen Eigenart für den heutigen Leser auch wieder in einen europäischen und modernen Kontext. Ich habe vor kurzem in dem Friedhelm Kemp gewidmeten Heft Nr. 5 von metaphorá: Zeitschrift für Literatur und Übertragung eine mich einigermaßen verblüffende Entdeckung gemacht: die Übersetzung von Gedichten von Baudelaire und Saint-John Perse ins Jiddische, als Beispiele aus einer ganzen Anthologie ins Jiddische übersetzter französischer Lyrik, die M. Litvine 1968/1986 in Paris hat erscheinen lassen. Wie hier Baudelaires »Spleen« (Je suis comme le roi d’un pays pluvieux) wird zu »Zum kenig bin ich glajch fun lender nas un kalt« − das hinterläßt einen außerordentlichen Eindruck. Und solchen Echos, die da mit einem Mal zwischen der klassischen Moderne und dem Jiddischen hin- und hergehen, scheint der dem Leser ganz unerwartete Klang einer so überraschenden jiddischen Erzählung wie Unter der Brücke zu entsprechen. Die jiddische Literatur ging niemals in einer Schtetl-Romantik auf; sie gehört mit vielen ihrer Texte ganz und gar in die komplexe Geschichte der – im emphatischen Sinn – modernen Literatur. Auf die Rettung auch dieser Erinnerung zu zielen: das ist vielleicht die besondere Signatur der Arbeit von Armin Eidherr.