Friedrich-Gundolf-Preis

STATUT

§ 1
Der 1964 begründete Friedrich­Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dokumentiert den Anspruch der Akademie, aktiv den Kulturaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (insbesondere Europas) zu fördern und mitzugestalten.

Der Preis wird aus dem Jahreshaushalt der Akademie finanziert. Er ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung vergeben.

§ 2
Der Friedrich-Gundolf-Preis würdigt hervorragende Leistungen bei der Vermittlung deutscher Kultur, insbesondere der deutschen Sprache und Literatur in nicht deutschsprachigen Ländern. Dabei können auch Übersetzungsleistungen berücksichtigt werden, die der deutschen Literatur in anderen Sprachen Wirksamkeit verschafft haben.

§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden.

Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.

§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Friedrich-Gundolf-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.

Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Friedrich-Gundolf-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.

Eigenbewerbungen sind nicht möglich.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 24. März 2021

Gustav Korlén

Germanist
Geboren 27.1.1915
Gestorben 10.10.2014
Mitglied seit 1960

... als Lehrer, Forscher und Vermittler der deutschen Sprache und Literatur in Schweden...

Jurymitglieder
Kommission: Fritz Martini, Peter de Mendelssohn

Mitglieder des Erweiterten Präsidiums

Laudatio von Walter Jens
Altphilologe, Schriftsteller und Übersetzer, geboren 1923

Sein Vater war ein Schwede, seine Mutter ist eine Deutsche gewesen: Aufgewachsen in Lund, wo − zumindest in übertragenem Sinn − Kopenhagen und Lübeck näher als der hohe Norden sind, in der Schule Erik Rooths zu einem der europäischen Großmeister auf dem Feld des Mittelniederdeutschen herangereift, in Stockholm − nunmehr selbst Haupt einer Schule − jene Disziplin begründend, die es − horribile dictu! − vor ihm nicht gab: die deutsche Literaturwissenschaft, hat Gustav Korlén zeitlebens die Rolle eines Boten hin und her, von Schweden nach Deutschland, von Deutschland nach Schweden, und eines Geschäftsträgers zwischen zwei Ländern gespielt, die jahrhundertelang nachbarlich miteinander verkehrten: In den Kontoren Visbys schrieb man deutsch; die Kinder der schwedischen jeunesse dorée studierten in Rostock und Greifswald.
In der Tat, die Prädikate, die Thomas Mann dem jungen Joseph und seinem zwischen getrennten Bereichen vermittelnden Witz zuerkennt, Sendbote hin und her und Geschäftsträger zwischen Sphären und Einflüssen: diese ebenso nüchterne wie poetische Etikettierung bezeichnet exakt − als hätte Thomas Mann sie mit dem Blick auf ihn: Mercurius aus Schonen formuliert − die Praktiken eines Mannes, der einerseits die Schweden ermuntert hat, nach Süden zu schauen, nach Deutschland und darüber hinaus, indem er ihnen zeigte, daß, von Lund aus gesehen, Rom nicht ferner ist als Kiruna, und der andrerseits für die Deutschen eine Art von Wahlkonsul wurde, der in Skandinavien ihre Belange vertritt, friedliche Belange der Kultur, deren Erörterung die Aula der Stockholmer Handelshochschule in den sechziger Jahren zu einer Art von Tyske Bryggen gemacht hat − einer Brücke, wie es der Bezirk jenes Handelskontors war, das im 14. Jahrhundert hanseatische Kaufleute bezogen − in Bergen, wo ein Straßenzug noch heute Deutsche Brücke heißt.
Sie sehen, meine Damen und Herren, Hermes ist nicht nur im Süden zuhaus: Mit welcher Intensität Gustav Korlén sein Mittler-Amt ausübt − immer bestrebt, dort Verbindungen, Entsprechungen und geheime Bezüge sichtbar zu machen, wo auf den ersten Blick das Trennende zu dominieren scheint, wie konsequent er die eine große Aufgabe seines Lebens durchgeführt hat: im Sinne des Joseph-Romans ein Bote, Führer und Wächter an der Grenze zu sein, die nicht länger Grenze mehr sein darf, das beweisen seine Publikationen, und dafür stehen die Themen der von ihm inaugurierten und durchgeführten Kongresse. Dieser Mann, der sich im Werk Eikes von Repkow so gut auskennt wie in den Romanen Heinrich Bölls und das lübische Stadtrecht mit der gleichen Geläufigkeit liest wie ein Drama von Handke, hat − man stelle sich vor! − keine Zeile über Goethe geschrieben... nicht einmal über das Thema »Goethe und Schweden«! Nichts über Kleist und Hölderlin, aber viel über die Sprache der DDR und der Bundesrepublik! Das nenne ich Konsequenz! Einerlei, ob der junge Korlén, auf den Spuren Agathe Laschs, Borchlings und Rooths, den lübischen Duktus der mittelniederdeutschen Geschäftssprache am Beispiel städtischer Amts- und Geschäfts-Bücher analysierte und in Anstellungseiden, Privilegienzusicherungen, Zunftbriefen und Kontokorrenten Dokumente einer bürgerlichen Kultur bewertete, die, zentriert in den Kaufmannskontoren, vom Selbstbewußtsein einer sich emanzipierenden Klasse spricht... einerlei, ob Korlén die Praktiken der lübischen Kanzlei erforschte, in deren Namen zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert an der ganzen Ostseeküste Recht gesprochen wurde, in Visby so gut wie in Riga... einerlei, ob er sich später, mit einem kühnen salto mortale fünf Jahrhunderte graziös überspringend, der deutschen Gegenwartsliteratur zuwandte − und dies mit einer Verve, daß den Stockholmer Germanisten Namen wie Reich-Ranicki, Thomas Bernhard und Hubert Fichte bald vertrauter wurden als Namen wie Immermann oder Gutzkow... einerlei, ob er auf schwedischem Boden Symposien vorbereitete − jene großen Gespräche über die Emigrations-Literatur allem voran, die zu inszenieren der bundesrepublikanischen Germanistik − um es höflich auszudrücken − nicht gegeben war... immer ging es Korlén, dem Mediaevisten und Literaturwissenschaftler, Linguisten, Sprachpädagogen und Kulturpolitiker darum, den Prozeß der wechselseitigen Durchdringung zwischen der deutschen und skandinavischen Kultur so entschieden wie möglich zu fördern. Deshalb, zunächst, die Beschwörung des gemeinsamen Erbes − nicht in schöner Rede, sondern in grundgelehrten Studien: Kammereiregister, Arzneibücher, Erbinventarien mit archivarischem Spürsinn durchmustert! Deshalb, zum zweiten, der Versuch, die schwedische Gegenwartsliteratur durch eine Konfrontation mit der deutschen ihrer Provinzialität zu berauben. Deshalb, schließlich, das Bemühen − ein ehrliches Maklergeschäft im Bereich der Kultur − aus der Position der nächsten Ferne heraus die Eigenarten beider deutscher Literaturen und Sprachen mit einer Schärfe und Klarheit herauszupräparieren, die von den Betroffenen selbst nicht erreicht werden kann. Nie, denke ich, ist die Veränderung einer Sprache, mit deren Hilfe man sich zwischen Magdeburg und Braunschweig glaubt verständigen zu können und es in Wahrheit nicht mehr kann, plastischer und ergreifender als von Gustav Korlén dargestellt worden − und das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, daß dieser Letzte, der zugleich die Sprache des Sachsenspiegels und die Sprache der beiden deutschen Verfassungen zu erhellen versteht, in keinem Augenblick den historischen und gesellschaftlichen Aspekt aus den Augen verloren hat, der Zeugnissen der Literatur ihre Unverwechselbarkeit gibt. (Manchmal, zeigt sich, kann es nützlich sein, wenn man sich der belletristischen Produktion nicht als Kenner des Sonetts, sondern als ein Wissenschaftler nähert, der etwas von polizeilichen Verordnungen und Verfügungen des Privatrechts versteht.)
Jawohl, mir scheint, wir können einiges lernen von diesem Mann zwischen den Ländern, wir Literaten in der Bundesrepublik: Lernen, daß der Wille zur kulturpolitischen Aktion die Seriosität des Wissenschaftlers nicht zu beeinträchtigen braucht. Lernen: wie man − vor allem unter dem Aspekt der Übersetzung − nicht nur die Diskrepanz zwischen Literaturwissenschaft und Literaturkritik, sondern auch die Trennung von Literaturwissenschaft und Linguistik überwinden kann. (Dieser Mann hier hat eine deutsche Phonetik geschrieben, aber er wäre auch in der Lage, eine Geschichte der DDR-Literatur zu verfassen.) Lernen schließlich: Daß man einer ganzen Disziplin − wie Korlén es mit der Umfunktionierung der linguistisch orientierten schwedischen Germanistik getan hat − einen neuen Weg weisen und dabei so tun kann als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt: Gustav Korlén liebt es, sein Licht unter den Scheffel zu stellen; je origineller seine Beiträge sind, desto prononcierter spricht er von Kontinuitäten und Traditionen und gedenkt seiner Lehrer, diesseits und jenseits der Ostsee, denen er alles verdanke, und wenn er dann gar beginnt, in Zitaten zu reden − aufgepaßt! Er wird es gleich tun! −, dann muß man wissen, daß es ein Trick von ihm ist, Innovatorisches, mit Brechtscher List, unter dem Etikett »Binsenwahrheit« zu verbreiten. Schließlich ist Hermes, der Mittler, auch − und vor allem! − ein witziger Schalk; der Pfiffigkeit seines Gehirns − jener schlauen Grazie, die sich nicht zuletzt in einer Vortragsart äußert, der kein Gegenstand so feierlich ist, daß er nicht in der Form des small talk und geplauderten Toasts zelebriert werden könnte... der Pfiffigkeit seines Gehirns (wie Thomas Mann es genannt hat) gelingt bisweilen, was sich dem Tiefsinn so gut wie der fordernden Geste entzieht: Aufhebung der Grenzen, freundliches Miteinander, Versöhnung. Sollten eines Tages Schriftsteller der beiden deutschen Staaten ihr erstes Symposion halten, dann nur in Stockholm, dann nur unter der Aegide Gustav Korléns... und da die Inhaber schwedischer Germanistik-Lehrstühle, die Psilander, Wellander und Lindquist, bei allem Unterschied im Einzelnen, das Eine gemeinsam haben: mindestens achtzig, oft aber auch neunzig Jahre alt zu werden, mag es sein, daß dieser Tag noch kommen wird. Das soll ein Wort sein, Merkur!