Friedrich-Gundolf-Preis

STATUT

§ 1
Der 1964 begründete Friedrich­Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dokumentiert den Anspruch der Akademie, aktiv den Kulturaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (insbesondere Europas) zu fördern und mitzugestalten.

Der Preis wird aus dem Jahreshaushalt der Akademie finanziert. Er ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich im Rahmen der Frühjahrstagung vergeben.

§ 2
Der Friedrich-Gundolf-Preis würdigt hervorragende Leistungen bei der Vermittlung deutscher Kultur, insbesondere der deutschen Sprache und Literatur in nicht deutschsprachigen Ländern. Dabei können auch Übersetzungsleistungen berücksichtigt werden, die der deutschen Literatur in anderen Sprachen Wirksamkeit verschafft haben.

§ 3
Der Preis darf nicht geteilt werden.

Kann der Preis aus zwingenden Gründen nicht ausgehändigt werden, so bleibt es dem Erweiterten Präsidium überlassen, die Verleihung des Preises auf das nächste Jahr zu verschieben.

§ 4
Eine Fachkommission der Akademie berät über Kandidatinnen und Kandidaten für den Friedrich-Gundolf-Preis. Sie besteht aus sieben sachkundigen Mitgliedern, die von der Mitgliederversammlung gewählt werden.

Auf der Grundlage des Vorschlags dieser Kommission für den Friedrich-Gundolf-Preis entscheidet das Erweiterte Präsidium über den Träger bzw. die Trägerin des Preises.

Eigenbewerbungen sind nicht möglich.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 24. März 2021

Alison Lewis

Germanistin
Geboren 12.2.1958

»Am Anfang stand die Dissertation über Irmtraud Morgner an der University of Adelaide. Heute ist Alison Lewis eine international anerkannte Expertin für die Literatur der DDR sowie der Nachwendezeit...«

Jurymitglieder
Günter Blamberger, László Földenyi, Daniel Göske, Claire de Oliveira, Marisa Siguan, Stefan Weidner und Leszek Żyliński (Vorsitz)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Es geht mir wie vielen Menschen, wenn man sie fragt, wie kommen Sie zu Ihrem Beruf. Ich habe keine einfache Erklärung dafür, wie eine Australierin der fünften Generation dazu kommt, sich so intensiv mit der Vermittlung der deutschen Kultur zu beschäftigen. Vielleicht spielte die Begeisterung meines Vaters für deutsche Musik und Kultur eine Rolle. Vielleicht lag es an der Hoffnung meiner Mutter, dass ihre Vorfahren aus Deutschland kämen, weil sie mit Nachnamen Niemann hieß. Oder vielleicht war es nur Zufall, und ich fiel wie Alice im Wunderland durch ein Kaninchenloch und landete auf der anderen Seite des Globus in einem Land namens Deutsch-Land.
Ich glaube mittlerweile, dass es einen anderen Grund gab, weshalb ich Deutsch lernte. Weit mehr als mir bewusst war, war ich ein Kind des Kalten Kriegs. Vor allem war ich ein australisches Kind der Kulturdiplomatie des Kalten Kriegs. Mein Blick auf die deutsche Kultur war nicht wenig von der damaligen Außenpolitik beeinflusst – von der australischen einerseits und der ostdeutschen andererseits.
Australien befand sich 1972 in einer Zeit des Aufbruchs. Eine progressive Labor-Regierung wurde nach zwei Jahrzehnten in der Opposition gewählt. Das war auch die Zeit der Ostpolitik und Ostverträge, die den Weg zur Entspannung der Beziehungen zwischen Ost- und West-Deutschland anbahnten. Wenige Wochen nach der Wahl des neuen australischen Prime Ministers und einen Tag nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags erkannte Australien die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik an. Australien war damit das erste westliche Land, das Beziehungen zu beiden deutschen Staaten aufnahm.
Ein paar Jahre danach ging ich an die Universität Adelaide. Am Ende meines ersten Jahrs kehrten meine Dozenten und Dozentinnen von ihrer jährlichen Deutschlandreise zurück und berichteten von den neuesten Ereignissen. Der Poet Wolf Biermann wurde gerade ausgebürgert. Daraufhin gaben uns unsere Dozenten – unter anderem der Rilke- und Kleist-Forscher Tony Stephens – allerlei Texte von ostdeutschen Dichtern zu lesen, die über Nacht zu Dissidenten gemacht wurden. In diesen Jahren fing an mehreren Universitäten Australiens eine intensive und langanhaltende Auseinandersetzung mit der Literatur der DDR an. Ein wichtiger Multiplikator bei der Vermittlung dieser Literatur in Australien war Leslie Bodi, der Gundolf-Preisträger von 1989.
Wie ich inzwischen weiß, war ein wichtiger Eckpfeiler der ostdeutschen Kulturdiplomatie die Frauenpolitik der SED. Das Image der DDR als ein von starken, gleichberechtigten Frauen beeinflusstes Land war für Studierende wie mich unwiderstehlich. Als ich später ein Thema für meine Doktorarbeit suchte, fiel meine Wahl auf die Schriftstellerin Irmtraud Morgner. Bei einer Reise als Doktorandin aus dem »Nicht-Sozialistischen Ausland« in die DDR erfuhr ich aus erster Hand von der Existenz einer zweiten, inoffiziellen Kultur in der DDR. Dort befand ich mich, ähnlich wie Alice im Wunderland, in einem Land, in dem alle seltsame Spiele spielten. Ich verstand die einfachsten Sachen nicht – zum Beispiel die Weigerung, mir sogenannte ›Geheime Verschlusssachen‹ aus dem Westen in der Bibliothek zugänglich zu machen.
Ich erlebte dort vor allem, wie sehr sich der Literaturbetrieb gespalten hatte. Nicht nur die offiziell genehmigte Literatur wurde vom Regime ›zersetzt‹, um einen fürchterlichen Stasibegriff zu verwenden, auch die Nachwuchsliteratur im Untergrund wurde systematisch zerstört. Der Zufall wollte es, dass ich damals in Ost-Berlin auch in Kontakt mit Mitgliedern dieses Untergrunds wie Rüdiger Rosenthal und Lutz Rathenow kam.
1986 ahnte ich nichts von der Unterwanderung des literarischen Lebens durch die Staatssicherheit und von der Bespitzelung von Ehegatten, Freunden und Kollegen. Ich wusste nur, dass sich die Hoffnungen auf eine gerechtere Welt für Frauen nicht erfüllt hatten. Mein Interesse am Untergrund war aber bereits geweckt, und so konnte ich nach dem Mauerfall als eine der allerersten Wissenschaftler/-innen Zugang zu den Stasi-Akten über die Prenzlauer-Berg-Szene bekommen. Ausgerechnet der von meinen Bekannten bewunderte Dresdener Poet Sascha Anderson wurde als Stasi-Informant entlarvt, und sein Verrat drohte die Bemühungen einer ganzen Generation zunichtezumachen. Andersons Akte galt aber lange Zeit als vernichtet. Als neun Jahre später eine Beiakte in der Behörde gefunden wurde, konnte ich das elfbändige Dossier bestellen und als erste Wissenschaftlerin in einer Studie auswerten. Es lag mir vor allem daran zu erforschen, wie es der Stasi gelingen konnte, die literarische Avantgarde, die sich in den achtziger Jahren in Dresden, Berlin und andernorts kontinuierlich ausgebreitet hatte, so gründlich zu unterwandern. Ich bin froh darüber, dass mein daraus entstandenes Buch Die Kunst des Verrats heute noch von Zeitzeugen der inoffiziellen Literaten- und Künstlerszene geschätzt wird und dass es vor etwa zehn Jahren eine retrospektive Wanderausstellung der Poesie des Untergrunds begleitete.
In dieser Studie konnte ich mit der weit verbreiteten These aufräumen, dass der Untergrund eine reine Stasi-Simulation gewesen sei, wie Feuilletons damals behaupteten. Es gab, wie ich in meiner Studie demonstriert habe, blühende authentische Subkulturen, die trotz der Einschleusung von Stasi-Informanten dem Regime die Stirn boten. Ohne Zweifel richteten Spitzel wie Sascha Anderson viel Schaden an, zwischenmenschliches Unheil, vor allem aber auch politischen Schaden. Denn die »Inoffiziellen Mitarbeiter« (IMs) der Stasi haben dafür gesorgt, dass die Szene nicht zu politisch wurde und die Literatur nicht zu provokativ. Inzwischen glaube ich, dass die Spitzel im Untergrund Bauern in einem zynischen Schachspiel waren, das das Regime und sein Sicherheitsdienst inszenierten. Sie waren Figuren, die ihre Integrität und Solidarität opferten, der eine hochnäsig, der andere unter Druck. Ihre Hybris lag darin, dass sie glaubten, sie könnten die Spielregeln dieses grausamen Schachspiels bestimmen. Sascha Anderson zum Beispiel dachte, er könnte die eine Seite gegen die andere ausspielen. Aber auch Anderson hat bei diesem Machtspiel verloren, als er die Stasi anflehte, aus dem Dienst entlassen zu werden.
Als ich vor acht Jahren mit einem Forschungsprojekt zu IMs der DDR beschäftigt war, konnte ich mein Studium des Untergrunds ausweiten.
Anhand von fünf Biographien von Stasi-IMs untersuchte ich in meiner Monographie A State of Secrecy Motivation und Habitus unterschiedlicher Informantentypen. Ich verfolgte über vier Jahrzehnte hinweg ihre Entwicklung von der Anwerbung bis hin zu dem Ende ihrer Verstrickung in den Sicherheitsdienst, als sie entweder ausstiegen, ins Exil gingen oder starben. Dabei versuchte ich die unterschiedlichen Taktiken der Stasioffiziere herauszuarbeiten, wie sie bemüht waren, ihre Informanten auf Dauer mit Anreizen wie Prestige und kulturellem Kapital an sich zu binden oder mit raffinierten Erpressungsmitteln unter Druck zu setzen. Für die Studie wählte ich neben Dichterinnen und Dichtern wie Helga M. Novak und Paul Gratzik den Fall von Paul Wiens. Wiens war ein wichtiger Kulturfunktionär und Poet in der DDR und eine Zeitlang Herausgeber von Sinn und Form. Wiens war auch der zweite Ehemann Irmtraud Morgners. Er wurde ohne offene Erpressungsmittel von der Stasi unter dem Decknamen »Dichter« angeworben. Er fiel aber bald in Ungnade und wurde selbst in einem »Operativen Vorgang« bearbeitet. Erst nachdem Wiens Morgner geheiratet hatte, bot er der Stasi seine Dienste wieder an. Zehn Jahre lang war er für die Stasi fleißig im Dienst, bis zu seinem Tod. Der letzte Eintrag in seiner Stasiakte vermerkt, dass dieser Treff mit seinem Führungsoffizier im Krankenhaus stattfinden musste, allerdings ohne neuen Auftrag, denn es war abzusehen, dass Wiens bald sterben würde.
Was hat Wiens dazu bewogen, sich wieder an die Stasi zu wenden und bis zu seinem Tod als IM zu arbeiten? Und wie hat er seinen Verrat an Vertrauten und Freunden gerechtfertigt? Meine These ist, Wiens’ zweite Entscheidung, für die Stasi zu arbeiten, bedeutete, dass er sein politisches wie soziales Kapital behalten konnte und weiter die Privilegien eines Geheimdienstfunktionärs genießen durfte. Er war durch und durch ein Kosmopolit und konnte, so trivial es klingt, als Stasiagent wieder ins Ausland reisen.
Aus den Akten wird klar, dass Wiens aber nie auf seine Frau angesetzt wurde, obwohl sie in seinen Stasi-Treffberichten vorkommt, wie Morgners Freundin Sarah Kirsch auch. In meiner Studie habe ich unter anderem versucht, in der Literatur Spuren dieser Stasigeschichten und auch Antworten auf die in den Akten aufgeworfenen Fragen zu entdecken. So stieß ich in Morgners Roman Amanda auf eine fiktive Figur, die Wiens ähnlich scheint: Konrad Tenner. Konrad Tenner macht ein verschlüsseltes Geständnis über seine Verstrickung in das Machtregime. Er sei ein Hasardeur gewesen, der immer an zwei Tischen gespielt habe und immer mit dem gleichen Einsatz. Er spielte so, dass jeder Spieltischbesitzer glaubte, er wäre kein Kunde eines anderen. Dies ist meiner Ansicht nach eine treffende Schilderung von Paul Wiens. Bis zu seinem frühen Tod hat er den Staatssicherheitsdienst gegen den Schriftstellerverband ausgespielt und umgekehrt, und am Ende verlor er das Spiel und sein Leben.
Parallel zur Erforschung von Informanten im Literaturbetrieb habe ich mich jahrelang mit dem Umgang von Opfern mit ihren Stasiakten beschäftigt. Wie ich in meinen theoretischen Arbeiten ausgeführt habe, legte die Stasi Akten ihrer Opfer an, für die ich den Begriff der »feindseligen unautorisierten Biographie« geprägt habe. In den Akten sind Lebensgeschichten festgehalten, die sich die Menschen selbst nie ausdachten oder erträumten. Die Stasi bearbeitete vermeintliche politische Gegner, wobei sie das Ergebnis ihres Eingriffs in fremde Leben mit äußerster Detailfreude und zuweilen mit unerbittlicher Banalität dokumentierte. Und in einem letzten Schritt archivierte sie das von ihr angeeignete Leben. In unzähligen Dossiers, in nummerierten Aktenordnern abgeheftet und angeordnet und mit einem umfassenden Karteisystem miteinander vernetzt, speicherte die Stasi das fremde Leben in prädigitalen Technologien. So wurde die Stasi zu weit mehr als nur einem Instrument der Macht. Sie wurde selbst zu einem Speicher dieses gestohlenen Lebens und hinterließ somit Zeugnisse ihrer eigenen Verbrechen.
Nach der Öffnung der Akten berichteten viele Opfer über die Leseerfahrung ihrer persönlichen Stasiakten als etwas Unheimliches und Befremdliches. Lutz Rathenow schreibt zum Beispiel von der Lektüre als »eine Art Nachlaßbesichtigung zu Lebzeiten«. Meine jetzige Forschung richtet sich auf die Wiederaneignung dieser für die Opfer so befremdlichen Stasibiographien. Hier geht es mir darum, zu verdeutlichen, dass die Stasi nicht nur Leben beschrieb, sondern auch Leben in feindlichen Gestaltbildungen festhielt und damit Lebensalternativen vorschrieb und Lebensmöglichkeiten verhinderte. Mit der Registrierung einer Stasiakte wurde, so könnte man mit dem Linguisten John Austin argumentieren, mit Worten nicht nur etwas gesagt, sondern auch etwas erschaffen – ein Staatsfeind und ein Sicherheitsrisiko, und beide mussten mit Sondermaßnahmen unter Kontrolle gebracht werden. Für Opfer wie etwa Sarah Kirsch und Wolf Biermann hatten diese Sondermaßnahmen ungeheuerliche lebensgeschichtliche Folgen.
Lassen Sie mich zum Schluss auf die Literatur der DDR zurückkommen.
Was habe ich durch mein intensives Studium der Literatur gelernt? Eines gewiss: dass die Literatur »das Spiel mit offenen Möglichkeiten« braucht, wie Christa Wolf einmal schrieb. Manche Staatsdichter konnten oder wollten nicht auf dieses freie Spiel der Literatur eingehen. Stasi-IMs wie Paul Wiens und Sascha Anderson ließen sich zwar auf dieses Spiel ein, aber es war ein verblendetes Pokerspiel mit der Wahrheit und mit der Macht. Ihre Lyrik, die gute und die schlechte, legt schmerzliches Zeugnis von diesem Zwiespalt ab.
Ich will hier kein Urteil fällen über die Frage, was von der DDR-Literatur bleiben soll, denn ich glaube, nahezu alles verdient zu bleiben: die Literatur der integren, der ambivalenten sowie der verblendeten Zeitzeugen der DDR-Diktatur. Letztere sollten als Mahnung dafür bleiben, wie hoch der Preis ist, wenn man seine Seele an den Teufel verkauft. Statt eines Urteils möchte ich zum Schluss eine weitere Perspektive vorschlagen, aus der man die DDR-Literatur betrachten kann. Damit möchte ich den sozialen, zwischenmenschlichen Aspekt des Schaffensprozesses in der Diktatur hervorheben, sprich die der literarischen Geselligkeit. Brecht würde vielleicht das Wort Freundlichkeit benutzen. Der Romantiker Schleiermacher würde von »geselligem Betragen« reden.
Dort, wo in der DDR »geselliges Betragen« gepflegt wurde, konnten die Härten des Literaturbetriebs und die Machenschaften der Überwachung gelindert werden. Dazu gehören die künstlerischen Salons, in denen sich Bürger abseits der Staatsmacht treffen konnten. Solche Treffen wurden im Untergrund wie auch in der offiziellen Kultur gepflegt. Sie werden in der Literatur gelegentlich thematisiert, wie etwa in Christa Wolfs Roman Sommerstück, der von einem Sommerurlaub im Landhaus mit Freundinnen wie Irmtraud Morgner und Helga Schubert berichtet. Die Geselligkeit in privaten Wohnungen war überaus wichtig: zum Austausch, als Rückzugsort und als Ort der Ermutigung.
Solche Dokumente dieser Geselligkeit im literarischen Leben sind ungenügend erforscht. Im Archiv befindet sich erhellendes Material: in Briefwechseln, in Tagebüchern, in Memoiren und zuletzt in den Stasiakten selbst. Denn die Spitzelberichte legen auch davon Zeugnis ab. Diese Zeugnisse bilden allesamt wichtige Dokumente zum Leben und Überleben in der Diktatur, oder wie Susanne Schädlich sagt: »Das sind alles Geschichten, die erzählt werden müssen. Damit man beteiligt bleibt. Damit der Schlußstrich nicht gezogen wird.«
In diesem Konvolut von Archiven liegt die Zukunft der DDR-Literatur für nachfolgende Generationen von Lesern. Diese Zukunft sähe viel düsterer aus, wenn die Spuren der Vergangenheit verwischt worden wären. Sie sind aber zum Glück gerettet worden durch den bürokratischen Wahn des DDR-Staatsapparats einerseits und die Bürgerrechtler andererseits. Diese Archive hätten leicht vernichtet werden oder, wie die KGB-Akten in Russland, kurz geöffnet und dann wieder versiegelt werden können. Stattdessen wurden sie nach der Wende dauerhaft geöffnet. Die für das kollektive Gedächtnis unentbehrlichen Quellen wurden über dreißig Jahre lang in Deutschland respektvoll gehütet und verwaltet. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie man jetzt an der Schließung von Memorial in Moskau sieht. Die Stabilität der deutschen Erinnerungspolitik gewährte somit der DDR-Literatur ein zweites Leben. Dies gibt uns eine zweite Chance, aus der Geschichte eines ideologisch geteilten Europas zu lernen, eine Chance, die die Gegenwart dringend benötigt.
Diese Auszeichnung ist für mich eine außerordentliche Ehre. Sie ist es auch für die University of Melbourne, die mit Namen wie Gerhard Schulz und Tony Stephens eine ehrwürdige Tradition der Germanistik hat. Der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Gundolf-Preis-Jury bin ich für diese Anerkennung sehr dankbar. Meiner Laudatorin Karen Leeder möchte ich besonders danken und auch allen, die heute anwesend sind. Herzlichen Dank!