Organisation

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat die Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Sie wird institutionell getragen von der öffentlichen Hand und unterstützt von privaten Förderern.
Ihre Organe sind: 1. die Mitglieder­versammlung, die über die Zuwahl neuer Mitglieder entscheidet, das Präsidium und die Kommissionen wählt und über alle Angelegen­heiten der Akademie berät. 2. das Präsidium, das nach Vereinsrecht den Vorstand der Akademie bildet. 3. das Kuratorium, das die Akademie berät und unterstützt.
Aus den Reihen der Mitglieder bildet die Akademie außerdem verschiedene Gremien, die einzelne Aufgaben kontinuierlich wahrnehmen, dazu gehören die Kommissionen.

Arbeitsprogramm

Arbeitsprogramm der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für die Jahre 2022 bis 2028


Einleitung

Das Arbeitsprogramm der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in den kommenden sechs Jahren orientiert sich

-an den Aufgaben und Zielen der Akademie, wie sie in der Satzung niedergelegt sind: sachkundige Begleitung der Sprachentwicklung, Förderung und kritische Reflexion des literarischen Lebens, Verantwortung für das literarische Erbe und für die Bildung künftiger Lesergenerationen, Mitgestaltung der auswärtigen Kulturpolitik und des Kulturdialogs,

-an der programmatischen Absicht der Akademie, ihre thematischen Akzente so zu setzen, dass Probleme von Sprache und Dichtung nicht getrennt voneinander, sondern im wechselseitigen Zusammenhang diskutiert werden,

-an dem Wunsch der Akademie, die Vielfalt der in ihr versammelten Kompetenzen auf den Gebieten der Literatur, der Literatur- und Sprachwissenschaften, der Übersetzung, der Literatur- und Kulturvermittlung in einen produktiven Zusammenhang zu bringen,

-an der Notwendigkeit, längerfristige Projekte, deren Laufzeit drei Jahre nicht überschreiten sollte, so zu gestalten, dass die Möglichkeit der Akademie, auch auf aktuelle Herausforderungen des literarischen Lebens, der sprachlichen Entwicklung und der Kulturpolitik kurzfristig zu reagieren, nicht eingeschränkt wird,

-an der Voraussetzung, dass die Akademie über keine eigene Forschungsinfrastruktur verfügt und deshalb bei der Realisierung ihrer Projekte in hohem Maße auf Kooperationspartner in den Universitäten und Wissenschaftsakademien angewiesen ist.

Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich ein Arbeitsprogramm, das, differenziert nach Umfang, Laufzeit, Aktualitätsbezug und Kooperationsnotwendigkeiten, eine Vielfalt unterschiedlicher organisatorischer Formate umfasst. Es erstreckt sich von kurzfristig zu organisierenden Diskussionsveranstaltungen zu aktuellen Fragen des literarischen Lebens über die Frankfurter Debatten über die Sprache und die Leipziger Debatten über Literatur, die einen mittelfristigen Planungsvorlauf haben, bis hin zu den längerfristig konzipierten Editionsvorhaben der Akademie und ihren Berichten zur Lage der deutschen Sprache, denen künftig Berichte zur Lage des literarischen Lebens an die Seite treten werden; für die Erstellung dieser Berichte wird eine durchschnittliche Laufzeit von drei bis vier Jahren veranschlagt. Da die Berichte zur Lage der deutschen Sprache und zur Lage des literarischen Lebens die Akademie vor große organisatorische Herausforderungen stellen und sie zugleich für die öffentliche Wahrnehmung ihrer Arbeit und damit für die Profilbildung der Akademie von herausgehobener Bedeutung sind, konzentriert sich das Arbeitsprogramm vor allem auf die Berichte, die in den kommenden sechs Jahren zu erstellen sind.

I. Berichte zur Lage der deutschen Sprache

I.1. Vierter Sprachbericht: Vielerlei Deutsch: Varietäten und Normorientierungen des Deutschen in Europa

Christa Dürscheid, Peter Eisenberg, Rita Franceschini
Laufzeit: 2022 bis 2025

Während die bisherigen Sprachberichte Reichtum und Armut der deutschen Sprache, Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache und Die Sprache in den Schulen – Eine Sprache im Werden zum Thema hatten, wird sich der vierte Sprachbericht den Varietäten und Normorientierungen des Deutschen in Europa zuwenden.

Zum Thema

Für den Bericht zur Lage der deutschen Sprache ist der Gesichtspunkt 'Vielfalt' von besonderer Bedeutung, weil er die Selbstwahrnehmung der Sprachgemeinschaft wie den öffentlichen Diskurs darüber wesentlich mitbestimmt. Häufig geschieht das sogar, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Der Vierte Bericht könnte diesem Gesichtspunkt eine bisher wenig präsente Perspektive hinzufügen, indem er das zusammenhängende deutsche Sprachgebiet in Mitteleuropa als solches ins Auge fasst. Und er könnte gleichzeitig den ebenso zentralen wie gegenwärtig vernachlässigten oder sogar missverstandenen Schlüsselbegriff der Sprachnorm revitalisieren und vom Kopf auf die Füße stellen, indem er zeigt, wie er zum Verständnis und zur systematischen Erfassung arealer Gegebenheiten beiträgt. Zunächst deshalb einige Bemerkungen zum Normbegriff selbst.

Bemerkungen zum Normbegriff

Die Zahl der Normbücher, die dem Leser versprechen zu zeigen, was gutes und richtiges Deutsch sei und wie er es erreichen könne, war schon einmal größer als heute, ist aber noch immer beträchtlich. Und es gibt über 100 Institutionen, die sich der Sprachpflege widmen. Für uns kommt es darauf an, den sprachlichen Ansatz solcher Zugriffe, ihren Sprachbegriff und ihren Sprachgebrauchsbegriff zu klären und dem Leser die Chance zu geben, sein sprachliches Selbstvertrauen zu stärken. Das ist umso wichtiger, als das öffentliche Bewusstsein von den verschiedenartigen Varietäten des Deutschen – auch über das zusammenhängende Sprachgebiet hinaus – gering ist; ebenso gering ist die Kenntnis der Wirkkraft der weiteren Zentren des Deutschen außerhalb Deutschlands. Vielen gilt das deutsche Deutsch als die Leitvarietät; dass sich das Standarddeutsche in Europa durch je eigene Sprachgebrauchsformen in Österreich, der Schweiz, in Liechtenstein, Südtirol, Luxemburg, Ost-Belgien, Elsass-Lothringen und Schlesien konstituiert, wird oft nicht wahrgenommen oder als Abweichung von der Norm angesehen. Im Bericht wird dagegen ein dynamischer, im Gebrauch verankerter Normbegriff zugrunde gelegt, um so in einer breiteren Öffentlichkeit das Bewusstsein zu stärken, dass Gebrauchsnormen die Grundlage jeglicher Normdiskussion bilden sollen. Zur empirischen Fundierung gibt es dazu inzwischen zahlreiche Korpora und anschaulich gestaltete Sprachkarten, die in den einzelnen Beiträgen herangezogen werden können (und sollten).

Überdachung und Sprachgebrauch im weiteren Kontext

Der Blick auf die areale Ausdehnung muss aber keineswegs bei der Süd-, West-, Nord- und Ostgrenze des zusammenhängenden Sprachgebietes Halt machen, wo Deutsch mit je romanischen, nordischen und slawischen Varietäten sowie Ungarisch in Kontakt steht, sondern er kann durchaus auch die (dialektalen, meist dachlosen) Varietäten umfassen, die davon areal abgetrennt erscheinen. Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, wie das Standarddeutsche und seine dialektalen Varietäten in verschiedenen Sprachkontaktkonstellationen realisiert werden (sowohl auf phonetischer, morphologischer als auch lexikalischer, syntaktischer und pragmatischer Ebene).So kann die Vielfalt im Lexikon hier z.B. sehr gutes Anschauungsmaterial liefern. Thematisiert werden kann in diesem Zusammenhang auch die Stellung des Deutschen in mehrsprachigen (gesellschaftlichen und individuellen) Sprachrepertoires. Fragen zum Spracherhalt und -verlust, demnach auch zum Erst- und Zweitspracherwerb, im schulischen wie im außerschulischen Bereich, sind hier wichtig, ebenso wie die Stellung des Deutschen in der EU und in Relation zum Englischen.

Alle Modalitäten

Alle drei Modalitäten des Deutschen (gesprochen/geschrieben/gebärdet) sollen im Vierten Bericht thematisiert werden. Was die Gebärdensprache betrifft, wird damit der Tatsache Rechnung getragen, dass diese Minderheitensprache (vgl. Rahel Beyer/Albrecht Plewnia: Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland, Tübingen 2020) bislang noch in keinem unserer Berichte behandelt wurde. Auch hier lassen sich verschiedene Normorientierungen erkennen (so gibt es eine deutsche, eine deutschschweizerische und eine österreichische Gebärdensprache). Ein mögliches Thema im Bereich des geschriebenen Deutsch ist der Aufbau des deutschen Schriftsystems und seine Normierung (mit Bezug auf die im Regelwerk vorgesehenen länderspezifischen Schreibvarianten, z. B. zum Eszett), aber auch die erreichte Kooperation im Rat für Rechtschreibung. Im gesprochenen Deutsch könnte die Variationsbreite in der Aussprache des Standarddeutschen dargestellt werden (z. B. mit Bezug auf den Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards (AADG), der die Vielfalt im Bereich der Aussprache für den gesamten deutschsprachigen Raum dokumentiert und beschreibt).

Weitere Aspekte

Immer wieder lesen wir, dass Träger unserer auswärtigen Kulturpolitik die Rolle des Deutschen für ihre Arbeit schmälern. Die Deutsche Welle sendet überwiegend in englischer Sprache, die Aktivitäten des Goethe-Instituts bedienen sich ebenfalls mehr und mehr des Englischen, und Anforderungen des DAAD, etwa was die Stipendienvergabe für ein Studium in Deutschland betrifft, machen davon Gebrauch, dass man vieles bei uns inzwischen mit Englischkenntnissen studieren kann. Im Bericht wollen wir dazu Zahlen zusammentragen und einen Überblick zu einschlägigen Werken (z. B. die Arbeiten von Ulrich Ammon) geben, in denen man sich über die Stellung der Deutschen in Europa informieren kann.

Zur Gliederung

Da die Berichte zur Lage der deutschen Sprache vor allem ein interessiertes, breites Publikum ansprechen sollen, wird in einem einleitenden Überblicksteil auf die bereits vorhandene Literatur eingegangen und es werden Instrumente zur weiteren Information bereitgestellt (z. B. Zahlen zur Stellung des Deutschen außerhalb Deutschlands, Überblick zu einschlägigen Werken, Datenbanken, Förderprogrammen (DAAD etc.), Internetadressen und interaktive Sprachkarten, Hinweise auf Nachschlagewerke, Wörterbücher). Dieser erste Teil soll somit Orientierungscharakter für die Vertiefung der o. g. Themenfelder haben. Der zweite Teil behandelt auf dieser Basis ausgewählte Themenbereiche und dokumentiert die Vielfalt der Sprachgebrauchsformen des Deutschen auf allen sprachlichen Ebenen, in den arealen und modalen Dimensionen wie oben erwähnt. Wie weit dabei über den europäischen Kontext hinausgegangen werden kann, muss nicht schon jetzt entschieden werden. Eine solcherart gegliederte Darstellung hat insofern Neuigkeitswert, als sie einen Überblick über die Kräfte zu geben vermag, die im deutschen Varietätenraum wirken. Letztlich führt die gesamte Darstellung damit über die leidige Diskussion zu 'gutem' und 'schlechtem' Deutschweit hinaus und untermauert die Sachlage zur Varietätenvielfalt des Deutschen in Europa mit empirischen Daten.

I.2. Fünfter Sprachbericht: mögliche weitere Themen
Laufzeit: 2025 bis 2028

I.2.1. Die deutsche Sprache im Urteil der Öffentlichkeit

Ausgangspunkt des Berichts wäre das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an sprachlichen Fragen (jenseits von Fragen wie Woher stammt dieses Wort? oder Was bedeutet die Redewendung X?). Vielmehr würden kontroverse Themenaufgegriffen werden, also gerade Themen, auf die unsere Akademie immer wieder angesprochen wird.

Ein solcher Bericht wäre auf einer Metaebene angesiedelt, hätte nicht einen inhaltlich festumrissenen Sprachbereich zum Gegenstand, würde gleichwohl auf einzelne Bereiche zugreifen, wenn sie denn im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen.

Natürlich wäre der Bericht nicht präskriptiv angelegt, würde vielmehr einen Überblick über den Stand der sprachwissenschaftlichen Diskussion zu einem jeweiligen Themenaspekt bieten. Dabei könnten die Ausführungen zu den Themen von einem oder mehreren Beiträgen allgemeineren Zuschnitts gerahmt werden.

Im Folgenden einige Stichworte zu solchen möglichen Themenbereichen (und es sind tatsächlich nur Stichworte, keine fertigen Kapitelüberschriften; auch überschneiden sie sich zum Teil, ließen sich anders bündeln, ineinander integrieren usw.):

- Sprachnormen

- „Laienlinguistik“ – etwa bezogen auf Bewertungen des Deutschen wie „prägnant / markant“, bis hin zur (vermuteten) Korrelation von Sprache und Denken; auch bezogen auf (vermeintliche) kommunikative Haltungen wie Authentizität, Direktheit usw.; beides lässt sich über Jahrhunderte zurückverfolgen

- „gutes Deutsch“/ „Hochdeutsch“ – Sprechen und Schreiben als Mittel sozialer Distinktion

- Gendern – die Schwierigkeit des Umgangs mit dem Thema haben wir auch in der Sprachkommission erfahren; hier würde es um eine Bündelung sowohl des Forschungsstandes als auch der öffentlichen Debatte gehen

- Political Correctness – jenseits des Genderns, also etwa der Umgang mit 'brisanten' Wörtern

- Sprache und Identität – bezogen auf Gruppen unterschiedlichen Umfangs und inhaltlichen Zuschnitts, von z.B. Dialekten bis zur Nationalsprache; auch (vermeintliche) Gefährdungen einer sprachlich vermittelten Identität (etwa durch Anglizismen oder migrantische Sprachvarietäten) / Sprachpurismus

- „Sprach- und Kulturverfall“ (u.a. auch Einflussneuer Medien)

I.2.2. Sprache und Sprachgebrauch (in) der deutschen Literatur oder die deutsche Sprache in der Literatur

Die Literatur gehört nach gängiger Auffassung zweifellos zu den Bereichen der deutschen Sprache und ihres Gebrauchs, in denen besondere Leistungen hervorgebracht wurden und werden. Das betrifft zahlreiche Dimensionen der sprachlichen Gestaltung und der sprachlichen Verfasstheit literarischer Texte: den Wortgebrauch, die syntaktische Gestaltung, die Vielfalt von Verfahren des Erzählens, Techniken der Erzeugung von Spannung, subtile Weisen der Einführung von Wissen und der Erzeugung von Welten, Metaphorik, Formen der Dialoggestaltung und des Sprechens usw. Dabei können nicht nur die in der Sprache angelegten Möglichkeiten genutzt und ausgeschöpft werden, in literarischen Werken können auch Weisen des „anders Schreibens“ erprobt und neue Verfahren der Kreativität und der Originalität ausgelotet werden.

Zum weiten Feld der Literatur gehören nicht nur geschriebene Texte, sondern auch Lesungen, Podcasts, Hörbücher, Literaturverfilmungen, Comics und Graphic Novels, die jeweils eigene Anforderungen nicht nur an die sprachliche Gestaltung, sondern auch an die „Performance“ bzw. die Text/Bild-Koordination stellen. Das literarische Übersetzen ist gleichfalls eine hohe Kunst und ein anspruchsvolles Handwerk in einem Bereich mit besonderen Herausforderungen.

Das „Feld“ der deutschsprachigen Literatur ist nicht einheitlich, sondern vielfältig nicht nur im Hinblick auf die unterschiedlichen Genres, sondern auch auf Themen, regionale Bezüge oder Schreibweisen, sei es in einzelnen Texten, in einem Lebenswerk oder in literarischen Richtungen. In all diesen Dimensionen kann es auch Veränderung und Dynamik geben.

Man kann auch fragen, wo und wie literarisches Schaffen thematisiert wird, sei es beispielsweise im Deutschunterricht, in den Rezensionen des Feuilletons, in „Laienbesprechungen“ oder in Gesprächen unter kundigen Leserinnen und Lesern.

Wie können wir diesen Reichtum für eine breitere Öffentlichkeit systematisch und nachvollziehbar darstellen? Und wie können wir Verständnis fördern, was die Arbeitenden im literarischen Feld (vgl. hierzu die Arbeiten von Pierre Bourdieu und Rolf Engelsing: R. Engelsing, Die literarische Arbeit. Vol. 1: Arbeit, Zeit und Werk im literarischen Beruf, Göttingen 1976) eigentlich tun, wenn sie die deutsche Sprache gebrauchen?

I.2.3. Zur Lage des wissenschaftlichen Schreibens

Die Forschung zum Sprachgebrauch und zur Textkompetenz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den deutschsprachigen Universitäten ist noch nicht weit gediehen; tragfähige Textkorpora liegen nicht vor. Zwar ist in den vergangenen Jahren vielfach diskutiert worden, unter welchen Druck Deutsch als Wissenschaftssprache im Zeichen der internationalen Dominanz des Englischen als Publikations- und Unterrichtssprache geraten ist, gerade dies aber hat dazu geführt, dass die spezifischen Kompetenzen der Studierenden und der Lehrenden an den Universitäten auf dem Gebiet der deutschen Sprache wissenschaftlich vernachlässigt worden sind. Dabei haben die Veränderungen in der schulischen Bildung und der digitale Wandel entscheidenden Einfluss auch auf die Entwicklung des Deutschen als Wissenschaftssprache nicht nur bei den Studierenden, sondern auch bei den Lehrenden.

Das Themenfeld ist außerordentlich vielschichtig und voraussetzungsreich, denn es umfasst in gleicher Weise die sprachlichen Voraussetzungen, die die Studierenden an die Universitäten mitbringen, den Sprachunterricht an den Universitäten und das universitäre Schreiben, Sprachkompetenz und wissenschaftliche Textkompetenz. Am Anfang werden exemplarische Entwicklungsstudien zum Sprachverhalten in einzelnen Disziplinen (differenziert nach Kultur- und Literaturwissenschaften, Sozial- und Naturwissenschaften) stehen. Von hier faltet sich das Spektrum der Fragestellungen auf, vom wissenschaftsinternen Sprachverhalten bis zur sprachlichen Vermittlung von Wissenschaft an eine disziplinär nicht geschulte Öffentlichkeit, von den Formen kollektiven Schreibens bis zur individuellen Wissenschaftsprosa, von der Abstraktion ausdifferenzierter Begriffsapparate bis zur erzählenden Ergebnisvermittlung, mit einem Wort: von den basalen sprachlichen Ansprüchen, die an alle Teilnehmer am Wissenschaftssystem gerichtet werden müssen, bis zu jener Form sprachlich-stilistischer Virtuosität, die denkbare Sigmund-Freud-Preisträgerinnen und -Preisträger hervorbringt.

II. Bericht zur Lage des literarischen Lebens

II.1. Erster Literaturbericht: Zur Lage der Literaturkritik

Lothar Müller, Daniela Strigl
Laufzeit: 2022 bis 2025

Bereits auf ihrer Herbsttagung 2018 hat sich die Akademie in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung um eine erste Bilanz der gegenwärtigen Situation der Literaturkritik bemüht. Veranlasst wurde sie dazu durch den Befund, dass sich durch die wachsende Dominanz der digitalen Medien, ein sich veränderndes Nutzungsverhalten und neue Marketingstrategien der Verlage die Rahmenbedingungen der Literaturkritik grundlegend verändern. In ihren modernen Anfängen war sie eng mit der Herausbildung der periodischen Presse, den Wechselbeziehungen zwischen Buch, Zeitschrift und Zeitung verknüpft. Im zwanzigsten Jahrhundert prägte in den deutschsprachigen Ländern vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg die Nähe von Printmedien und Rundfunk die mediale Auffächerung der Literaturkritik. Der gesamtkulturelle Prozess der Digitalisierung, der seit dem späten 20. Jahrhundert mit zunehmender Dynamik die Printmedien, aber auch das Radio und das Fernsehen erfasst, bringt zugleich eine Fülle neuer Akteure und Formate der Literaturkritik hervor.

Statt in kulturkritische Klagen über den Bedeutungsverlust der medialen Stammheimat der Literaturkritik zu verfallen, hat sich die Akademie dazu entschlossen, die Diskussion um ihre Zukunft auf eine möglichst tragfähige empirische Grundlage zu stellen: also zu einer Bestandsaufnahme darüber zu gelangen, welchen Raum die Literaturkritik in den unterschiedlichen Medien in den vergangenen Jahrzehnten eingenommen hat und welcher Stellenwert ihr dort heute zukommt. Eine belastbare Datenlage über die Entwicklung der Literaturkritik in den unterschiedlichen Medien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gibt es noch nicht, ebenso wenig darüber, wie sich die Sprache und die Form der Literaturkritik sowie ihre Zielgruppen im medialen Wandel verändern.

Die von der Akademie projektierte Bestandsaufnahme fasst zunächst die Infrastrukturen und Routinen gegenwärtiger Literaturkritik in ihren wichtigsten Feldern ins Auge: den Printmedien, die sich mehr und mehr in multimediale Websites verwandeln; dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk, der zunehmend Schrift- und Zeitungselemente aufnimmt und durch Mediatheken zum öffentlichen Archiv seiner selbst wird; den vielfältigen Blogs, online-Zeitschriften und Podcasts, die primär in digitalen Formaten existieren. Die Literaturkritik partizipiert auf allen genannten Feldern an der gewachsenen Bedeutung von Interaktivität, der Relativierung von „gatekeeper“-Funktionen und der immer leichter und präziser möglichen Messung der Reichweite einzelner Formate und Texte. Nicht jede Äußerung über Literatur kann in der anvisierten Bestandsaufnahme untersucht werden. Sie wird sich auf diejenigen Formate konzentrieren, die sich, in welcher sprachlichen Form auch immer, als kollektive, diskursive Reflexionen einschließende Selbstaufklärung über Geschmacksurteile beschreiben lassen.

Die Akademie wird in Abstimmung mit einer Arbeitsgruppe, in deren Händen künftig die inhaltliche Begleitung der Berichte zur Lage des literarischen Lebens gemeinsam mit dem Präsidium liegt, 2022 eine Projektleitung für den Bericht zur Lage der Literaturkritik einsetzen; diese wird ein erstes inhaltliches Konzept erarbeiten und zur Diskussion stellen. Auf dieser Grundlage erfolgt die Organisation einer Arbeitstagung gemeinsam mit der Historischen Kommission der ARD und weiteren Partnern aus den unterschiedlichen Medien sowie aus dem Verlagswesen, die über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Literaturkritik und ihrer medialen Präsentation verfügen. Das Ziel dieser Arbeitstagung besteht in der Festlegung der Struktur des Berichts, in der Identifikation der Wege zur Sicherung seiner empirischer Basis und in der Gewinnung einer kooperierenden Wissenschaftseinrichtung, die mit entsprechender Drittmittelunterstützung die empirischen Grundlagen des Berichts herstellt. Die Niederschrift soll im Jahr 2025 abgeschlossen sein.

II.2. Zweiter Literaturbericht: Die literarische Bildung in den Schulen
Laufzeit: 2025 bis 2027

Der Stellenwert der Literatur im schulischen Unterricht unterliegt einem dramatischen Wandel. Der literarische Kanon, aus dem die im Unterricht gelesenen Texte bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts stammten, hat seine Verbindlichkeit verloren; Umfang und Stellenwert der im Unterricht zu besprechenden „Ganztexte“ gehen signifikant zurück. Auf der anderen Seite steht die Bedeutung des Literaturunterrichts für die Generierung sprachlicher Kompetenz, für die Förderung historischen Denkens, für die Ausbildung der Fähigkeit zur Entwicklung alternativer Lebenskonzepte, für die Entdeckung der eigenen Kreativität und die Empathiebildung außer Frage.

Es geht der Akademie in diesem Bericht wieder um eine empirisch fundierte und bildungspolitisch produktive, keineswegs um eine kulturkonservative oder kulturkritische Diskussion der mit der literarischen Bildung in den Schulen verbundenen Fragen. Sie sind einzubinden in eine generelle Analyse der Veränderungen des Leseverhaltens bei Kindern und Jugendlichen, die die digitalen Medien mit sich bringen, und in Untersuchungen zu den aktuellen Lektürepräferenzen der Schüler. Gegenstand des Berichts kann deshalb nicht allein die Bedeutung sein, die die Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern dem Literaturunterricht in den unterschiedlichen Schultypen einräumen, sondern es muss vor allem auch um die praktische Einsicht in die tatsächlichen Lektürepraktiken im Unterricht gehen. Hier bedarf es der Kooperation nicht allein mit Didaktikern des Deutschunterrichts in den Universitäten, sondern vor allem mit Deutschlehrern an den Schulen selbst. Dies ist auch deshalb unabdingbar notwendig, weil nur sie über eine in der Praxis des Deutschunterrichts gewonnene Kenntnis der veränderten Vermittlungserfordernisse durch mehrsprachige Schülerinnen und Schüler verfügen.

Die Akademie setzt es sich zum Ziel, die Lage des Literaturunterrichts in den Schulen nicht nur Deutschlands, sondern auch Österreichs und der Schweiz in den Blick zu nehmen. Sie tut dies in dem Bewusstsein, dass vom Deutschunterricht ganz wesentlich die Zukunft der literarischen Bildung und mit ihr diejenige des literarischen Lebens insgesamt abhängt.

Zur Vorbereitung des Zweiten Berichts zur Lage des literarischen Lebens wird die Akademie im Jahr 2023 eine Arbeitsgruppe einsetzen, die die künftigen Projektleiter bestimmt und die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Arbeiten an dem Projekt mit dem Beginn der Laufzeit zügig und strukturiert aufgenommen werden können.

III. Strukturierung und Intensivierung der Verbindungen zu den Literaturvermittlern in nicht-deutschsprachigen Ländern

Laufzeit: ab 2023

Zu den vielfältigen Aufgaben, die die Akademie auf dem Gebiet des Kulturaustauschs zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen (nicht allein Europas) wahrnimmt, tritt eine weitere hinzu. Sie wird veranlasst durch den dramatischen Bedeutungsschwund, den die Germanistik in den weitaus meisten Ländern der Welt seit Jahrzehnten erfährt. Selbst in den Ländern, in denen sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der Wissenschaftsemigration besonders prominent vertreten war, z. B. in den USA, hat sie in den meisten Universitäten längst den Status eines Orchideenfachs gewonnen; kaum anders verhält es sich in der Mehrzahl unserer Nachbarländer. Das führt auf der einen Seite dazu, dass wesentliche Vermittlerpositionen für die deutsche Sprache und Literatur im Ausland verloren gehen, und hat auf der anderen Seite zur Konsequenz, dass den Germanisten in den nicht-deutschsprachigen Ländern ihre Gesprächspartner abhandenkommen und sie aus der wissenschaftlichen und literarischen Community herauszufallen drohen, zumal auch ihre jeweiligen Medien (z.B. die Fachzeitschriften in den einzelnen Ländern) durch den disziplinären Schrumpfungsprozess bedroht sind. Die IVG (Internationale Vereinigung für Germanische Sprach- und Literaturwissenschaft) kann zur Sicherung und Stabilisierung des Austauschs zwischen den Germanisten aller Länder schon deshalb kaum beitragen, weil sie nur alle fünf Jahre zu einem Kongress zusammentritt, dessen Organisation die Hauptaufgabe der IVG ist.

In dieser Situation sollte sich die Akademie, die immer stolz darauf gewesen ist, herausragende Germanisten und Übersetzer aus aller Welt zu ihren Mitgliedern zu zählen, als eine Anlaufstelle für die Germanisten aus nicht-deutschsprachigen Ländern profilieren, die sich darum bemüht, den Austausch dieser in ihren Ländern oft isolierten Vermittler der deutschen Literatur und Sprache nicht nur mit anderen Germanisten, sondern auch mit Übersetzern und Kulturvermittlern zu intensivieren. Das bietet sich auch deshalb an, weil insbesondere in den Ländern, die noch über eine starke Germanistik verfügen (z. B. Korea, China, Italien), fast alle Germanisten auch als Übersetzer deutscher Literatur tätig sind. Deshalb wird in der Akademie eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Kommissionen des Friedrich-Gundolf-Preises und des Johann-Heinrich-Voß-Preises eingerichtet, deren Ziel es ist, die Auslandsgermanisten (nicht nur diejenigen, die Mitglieder der Akademie sind) stärker einzubinden in die Aktivitäten der Akademie, ihre Arbeit für die deutsche Sprache, Literatur und Kultur sichtbar zu machen und sie nicht allein untereinander, sondern auch mit anderen Literatur- und Kulturvermittlern zu vernetzen.

Hierzu wird es notwendig sein, sich mit Hilfe des DAAD und des Goethe-Instituts, dessen Präsidentin Carola Lentz Mitglied unseres Kuratoriums ist, einen systematischen Überblick über die Protagonisten der Germanistik in den nicht-deutschsprachigen Ländern zu verschaffen und von hier aus strukturierte Formate zu entwickeln, die sie in einen produktiven Austausch untereinander und mit der Akademie bringen. Dazu soll auch ein Einladungsprogramm beitragen, das einzelnen Germanisten und Übersetzern aus anderen Ländern die Möglichkeit zur Teilnahme an den Frühjahrs- und Herbsttagungen eröffnet.

IV. Weitere langfristig verfolgte Aktivitäten

Neben diesen langfristigen Projekten führt die Akademie kontinuierlich je einmal im Jahr ihre Frankfurter Debatten über die Sprache und ihre Leipziger Debatten über Literatur fort, deren Themen sich auf aktuelle Probleme von großer öffentlicher Relevanz beziehen und mit sechs- bis zwölfmonatigem Vorlauf festgelegt werden. Das Format ist so eingerichtet, dass es die gründliche Diskussion komplexer Fragestellungen aus vielfältigen Perspektiven ermöglicht; 8 bis 10 Diskutanten nehmen an zwei Gesprächsrunden von insgesamt vierstündiger Dauer teil.

Weitere öffentliche Diskussionsveranstaltungen der Akademie finden im Frühjahr und Herbst auf den Jahrestagungen statt. Auch hier wird jeweils versucht, Themen von aktueller Bedeutung, die die Entwicklung der deutschen Sprache und Konfliktfelder des literarischen Lebens betreffen, im Austausch zwischen Mitgliedern der Akademie und Gästen öffentlichkeitswirksam zu diskutieren.

Ihrer Verantwortung für die Vermittlung des literarischen Erbes an die heutige Leserschaft und für den lebendigen Austausch zwischen den Literaturen Europas wird die Akademie beispielsweise durch die kontinuierliche Fortführung ambitionierter Publikationsreihen gerecht. In der von der Wüstenrot Stiftung finanzierten Reihe Autorinnen des 20. Jahrhunderts mit jeweils mehrbändigen Werkausgaben bedeutender Autorinnen werden in den kommenden Jahren die Werke Hilde Spiels und Christa Reinigs erscheinen; eine Ausweitung des Editionsprogramms ins 19. Jahrhundert wird erwogen. Die vielbeachtete Reihe zweisprachiger Anthologien Europa im Gedicht wird fortgesetzt mit einem Band zur jiddischen Lyrik, der konzeptionell soweit gediehen ist, dass er im Jahr 2025 erscheinen kann. Weitere Bände sind geplant.

Exemplarisch für die vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Literaturvermittlung seien hier noch die Lyrik-Empfehlungen genannt. Sie wurden 2013 vom Lyrik Kabinett München und der Akademie ins Leben gerufen, 2015 kamen das Haus für Poesie Berlin und der Deutsche Bibliotheksverband hinzu, seit 2019 beteiligt sich der Deutsche Literaturfonds als weiterer Projektpartner. Das Ziel der Lyrik-Empfehlungen war und ist, dieser öffentlich weithin im Schatten der Prosa stehenden, für die kreative Entwicklung der deutschsprachigen Literatur jedoch zentralen Gattung zu größerer Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Das hierfür mit den Lyrik-Empfehlungen verbundene Vermittlungsangebot wurde in den Jahren seit der Gründung systematisch ausgebaut. Die jährliche Vorstellung der aktuellen Empfehlungen im Rahmen der Leipziger Buchmesse und ihre Präsentation zum Welttag der Poesie am 21. März in zahlreichen Buchhandlungen und Bibliotheken im gesamten Bundesgebiet wurden 2019 durch ein bundesweites Lesungsprogramm und digitale Vermittlungsformen ergänzt. 2020 kam mit „Praktisch:Lyrik“ ein seitdem kontinuierlich ausgebautes Angebot für die Vermittlung von Lyrik in der Schule hinzu. Seit 2015 existiert eine eigene Website der Lyrik-Empfehlungen (https://www.lyrik-empfehlungen.de), die das stetig wachsende Angebot dokumentiert.

2023 beginnt der Aufbau eines ganz neuen Bereichs mit Lyrik-Empfehlungen für Kinder, unterstützt durch neu hinzukommende Partner wie die Stiftung Internationale Jugendbibliothek, mit der die Akademie bereits seit Jahren im Bereich Kinder- und Jugendliteratur kooperiert.

Schließlich gehören unabdingbar zum Arbeitsprogramm der Akademie die seit 2012 gemeinsam mit der sowie mit Kooperationspartnern vor Ort veranstalteten Debates on Europe, in denen die Vorstellungen und Programme für ein europäisches Miteinander und die aktuellen Gefährdungen demokratischer Freiheiten in den Ländern Europas über die Grenzen nationaler, kultureller, ethnischer und religiöser Zugehörigkeiten hinweg diskutiert werden. In den Zeiten der Pandemie wurde die notwendige Kontinuität dieser Debatten durch ihre Übertragung in ein digitales Format gewährleistet. Auch wenn inzwischen wieder größere und kleinere europäische Debatten in Präsenz stattfinden können, wie im Mai 2022 in Dresden zum russischen Angriff auf die Ukraine und zuletzt im Februar 2023 mit großer Resonanz in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, werden die Akademie und die S. Fischer Stiftung künftig kontinuierlich Planungen für analoge wie auch digitale Formate verfolgen.

Den in diesem Arbeitsprogramm erwähnten Aktivitäten lassen sich viele weitere zur Seite stellen, wie die POETICA, die seit 2015 in Kooperation mit der Universität Köln stattfindet. Auch die kritische Aufarbeitung der Geschichte der Akademie als Teil der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte wird spätestens seit der großen Ausstellung „Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland“ (2009) vorangetrieben, seit 2021 auch mit einem stetig ausgebauten digitalen Angebot zum Georg-Büchner-Preis (www.buechnerpreis.de) und künftig auch zu den anderen Akademiepreisen. Diese digitale Präsentation zentraler Kapitel aus der Akademiegeschichte wird in die vielfältigen Planungen für das fünfundsiebzigjährige Jubiläum der Akademie im Herbst 2024 eingehen.

Wenn diese und weitere Aktivitäten in diesem Arbeitsprogramm nicht im Detail vorgestellt werden, so heißt dies nicht, dass nicht auch sie eine wichtige Rolle in der Arbeit der Akademie spielen und erhebliche Kapazitäten an sich binden.

Verabschiedet durch das Erweiterte Präsidium am 27. Juli 2022, mit Ergänzungen erneut beraten am 20. Januar 2023, nach Überarbeitung verabschiedet am 7. Juli 2023.