Steffen Popp

Writer
Born 18/7/1978
Member since 2018

Erfreulich, bedenklich, mindestens aber interessant ists, aus Anlass einer Rede wie dieser in Alben zu blättern, realen und imaginären. Meine Alben zeigen, kurz, das Greifswald der späten siebziger, dann einigermaßen ausführlich das Dresden der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Ingenieure, Ärzte und Architekten, nicht weniger Frauen als Männer, klebten hier Bilder ein. Diese beschreibend, wäre von poetischen Dingen wie Beton zu sprechen, von Ruinen und futuristischen Schneisen, von Artefakten wie Pionierschlössern, Kollektiven, Betriebsweihnachtsfeiern und davon, wie einer mit all dem und all das selbstverständlich – und was genau hieße das – lebte. Sowjetisches Jugendbuch, Mineralien und Plüsch, ringsum Ideen von Gemeinsinn, Fortschritt, schon leicht schäbige Weltraumepik – eine Zeit, in der ich Konsum für eine Ladenkette hielt, Nivea für eine ostdeutsche Firma und Religion für einen historischen Modus wie Bogenjagd oder Commedia dell’Arte. Diese Welt, die bis weit in die neunziger Jahre reicht, füllt einen versponnenen, spannenden, nicht leicht begehbaren biographischen Container. Stringente Prosa lässt sich daraus nicht gewinnen, eher schon ein Gedicht, vorstellbar als gemalte Scheibe, ein bronziertes Palastfenster mit Blick auf diese Gemengelage:

Zeit des Kaninchenfells. Des Kranichzugs, irgendwo
fand er statt. Echtes Kaninchenfell, echter Kaninchen-
Fellersatz. Gecracktes Öl reichte so in private Zellen
wir lauschten seinem Strömen, global, rieben uns

an seiner lokalen Struktur. Geschmack von Benzol
Sukkulenten, Weltraumbahnhof, etwas wie Gülle auch
darin, prähistorische Pisse – Aufklärung schwieg
wenn man die Frage stellte. Eine Systemfrage, klar

wie der Kaninchen-Fellersatz, der sich nach Jahren
wider Erwarten als echt herausstellte – du übergabst
dich in einen Graben. Meinem Gedächtnis nach, das

der Zeit voraus, sie einhegt in Schleifen. Du standest
im Rahmen des Möglichen – schief, wenig Licht –
kläglich war untertrieben, wie vieles. Bitter war süß.

Schaut man genau, endet der Text wohl zu schlicht. Wo aber traf ich
diesen genauen Blick, vielleicht bei Elke Erb. Wo traf ich überhaupt Literatur – fast nur an prekären, wenig begeisternden Orten. Universitäten, wo die Philologen in alten Schulgebäuden, einem heruntergekommenen Palais oder gleich in Baracken hausten. Verrauchte, schwach ausgeleuchtete Hinterzimmer von Lesekreisen und -bühnen. Bibliotheken – allmählich versprödende Fuchsbauten aus den Siebzigerjahren, in denen ich zwischen Regalen stand, las, nicht selten im Stehen schlief. Fand an diesen Orten eine Begegnung statt, im Wachen, im Schlaf, in einem geträumten Dazwischen. War mir Literatur nicht vollkommen egal. Schlief ich nicht überhaupt, träumend, und war das der Grund, der narkotisch-euphorische Humus, auf dem die Gedichte wuchsen.
Gedichte, die vielleicht nur entstehen, wo sich eine Welt schneller
dreht als ihr Begriff, die diese Unwucht anzeigen in schräg orchestriertem, sprunghaftem, überschießendem Text. An den ersten Container schließt sich ein zweiter an, ganz anders dimensioniert, digital und vernetzt, wieder voll großer Ideen. Die früheste, fast unwirklich offene Phase dieser Zeit, in der so viel kluge, abgefahrene Lyrik geschrieben wurde und ich das Glück hatte, schreibend zu beginnen, lässt sich bereits archäologisch besichtigen:

Grabungsnotiz: Duschtasse o. Ausflugtrichter von
Seelen
, nachweisbar, wie Neutrinos, in Sedimenten
einer Sponsorenzeit (bei Aristoteles Psyche
Ohrenschmalz). Zeit, in der man brütete, sprühte

schräg durch Herz, Banane, Koksveranda, was war
Punk (Badesalz für Soziologen), wer hinter Mascara
(Kohle, Esprit). Schlacke sein, seltene Erden
träumen war Sport einer Generation, die Wunder

was schäumte, Gischt. Oben fahrendes Dröhnen
industrieller Komplex – diese Verstrebung selbst
Wolke aus Pfeilen. Treten wir später hinaus, ist Licht

eine Matrix, in der Zellen sich teilen, durchdringen
Zittern des Mediums, Eindruck von Schreien
kaum spürbarer Wind reinigt die Luft von Schall.

Wo immer Bemühen um Stil ist, schreibt Mallarmé, ist Versifikation.
Das Poetische schreibt sich ein, wird Texten eingeschrieben, wie man
Tattoos subkutan in Haut einarbeitet vielleicht. Das Poesieding insgesamt ist, für mich, ein solches, forciertes, Bemühen – das sich selbst zusieht, nicht recht glauben kann, was ihm begegnet, das immer wieder nach Luft schnappt, sich auslacht, dann wieder feiert, mit unegalen Füßen in heilig nüchterne Wasser, Säuren, Essenzen tritt. Hier steht es, das Gedicht, in seltsamer Allianz mit einem Gegenstand seiner Kritik: Nichts ist ihm gut genug. Dass es, in meinem Fall, der Akademie für Sprache und Dichtung dennoch genügt, macht mich betroffen – und froh. Ich danke Ihnen, in diesem Sinn, für Ihre Wahl.