Miguel Sáenz

Translator and Germanist
Born 7/8/1932
Member since 1999

Friedrich-Gundolf-Preis

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren,
fünf Minuten sind nicht viel, aber wahrscheinlich mehr als genug, um die Geschichte meines Lebens zu erzählen. Unmöglich dagegen ist es, in so kurzer Zeit über die Geschichte meiner Liebe zur deutschen Sprache und zur deutschen Literatur zu berichten.
Die zur Sprache ist ziemlich romantisch, beginnt in Heidelberg, wo ich die Deutsche kennenlernte, die noch heute, nahezu vierzig Jahre später, meine Ehefrau ist. Wir heirateten in Berlin, und ich würde gern behaupten, unsere »Liebesprache« sei immer das Deutsche gewesen, aber das stimmt keineswegs. Mein Deutsch war zu elementar, ihr Spanisch zu gut, ich kann also höchstens sagen, daß wir immer mit viel Liebe von der deutschen Sprache gesprochen haben.
Die Geschichte meiner Liebe zur deutschen Literatur ist sehr viel prosaischer. Ich war vom Beruf her Jurist, hatte aber zeit meines Lebens einen Hang, ja eine gewisse Unersättlichkeit nach Literatur. Und als ich Ende der siebziger Jahre, nach mehrjährigem Aufenthalt in New York und Wien im Dienste der Vereinten Nationen, nach Madrid zurückkehrte und von einem Verlag aufgefordert wurde, im »comité de lectura« mitzuwirken, sagte ich sofort zu. Das »comité de lectura«, der »Leseausschuß«, ein Zwischending zwischen Verlagsberatungsorgan und Literaturcafé, zählte nicht wenige Schriftsteller zu ihren Mitgliedern (Juan Benet, Juan Goytisolo oder das damals noch beinahe unbeschriebene Blatt Javier Marias), aber benötigte ganz dringend Deutschlesende. Als der Verlagsdirektor von meinen Deutschkenntnissen erfuhr, erkor er mich sogleich zum Experten in deutscher Literatur. Umsonst führte ich meine enzyklopädische Ignoranz ins Feld oder machte ihm meine Kenntnisse in französischer, englischer oder amerikanischer Literatur schmackhaft ...

Unter dem Zwang, Stellungnahmen zu literarischen Werken zu erarbeiten, welche Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung deutscher zeitgenössischer Autoren bedeutete, galt es, sich zu qualifizieren. Was letztlich dazu führte, daß ich, weit über Vierzig (und während ich mich nach wie vor mit Völkerrecht beschäftigte, in dem ich auch promoviert habe), anfing, Germanistik an der Madrider Universidad Complutense zu studieren. Meine Erinnerung an jene Jahre ist verklärt, es war eine Rückkehr zur Studentenzeit, ich lernte die deutschen Klassiker kennen und entdeckte zum Beispiel den genialen Büchner, dessen Name so eng mit diesem Hause verbunden ist.

Immer habe ich gern übersetzt, diese intensivste Form des Lesens praktiziert, dieses faszinierende Spiel mit den Worten gespielt, und als mich Jaime Salinas, der Verleger von Günter Grass, eines Tages fragte, ob ich bereit sei, den Butt zu übersetzen, sagte ich ja. Zwei Jahre später, nach Beendigung dieser Aufgabe, hatte ich nebenbei eine Menge Deutsch dazugelernt.
Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört, aus dem Deutschen zu übersetzen. Und nicht nur deutsche, sondern auch und mit allergrößtem Vergnügen österreichische Literatur. Mein großes Glück war, daß ich nicht vom Übersetzen lebte und auch wußte, daß ich davon nicht leben konnte (Prostitution und Übersetzen sind die beiden ältesten Berufe der Welt, aber Übersetzen wird schlechter bezahlt). Dadurch konnte ich es mir leisten, nur Bücher zu übersetzen, die mir gefielen.

Irgendjemand hat gesagt (oder habe ich es mir ausgedacht), Übersetzen ist, als kenne man wunderbare Leute, die man seinen Freunden, den Lesern, vorstellen möchte. Daß alle Schriftsteller wunderbare Leute sind, ließe sich nuancieren, aber sicher ist andererseits, daß ich Übersetzenderweise viele Freunde gewonnen habe: Arthur Schnitzler oder Josef Roth, Alfred Döblin oder Franz Kafka, Mozart oder Mörike, Christa Wolf oder Emine Sevgi Özdamar... Aber es sind vor allem drei, deren ich hier speziell gedenken möchte, obgleich ihre Beziehungen zu dieser Akademie vielleicht nicht immer ganz einfach gewesen sind.

Als erstem gilt Bertolt Brecht mein Tribut. Beim Übersetzen seines gesamten Theaters ist mir klargeworden, wie aktuell Brecht noch immer ist. Puntila, Galileo oder Arturo Ui auf der Bühne Texte sprechen zu hören, die ich auf spanisch geschrieben habe, das waren für mich Momente echter Emotion. Brecht ist nach wie vor für viele Spanier um die Fünfzig eine Legende, aber auch bei Jugendlichen kommen heute seine Stücke sehr gut an.
Mein zweiter Freund ist Thomas Bernhard. Bernhard ist erstaunlicherweise in Spanien zu einem Kultautor geworden (ein Kritiker nannte sogar eine ganze Generation spanischer Schriftsteller »Bernhard-Kinder«.) Und ich bin eitel genug, zu denken, daß meine Übersetzungen das Ihre dazu beigetragen haben. Übrigens, eine Bernhard-Biographie habe ich auch geschrieben.
Und der letzte große Freund, obgleich meinem Herzen der nächste, ist Günter Grass. Er hat nicht nur den Nobelpreis, sondern auch – und zwar einen Monat vorher – den großen spanischen Literaturpreis erhalten, den »Principe de Asturias«, der zum ersten Mal an einen nicht Spanisch schreibenden Autor erging. Aber von meinem Verhältnis zu Grass und von den beispielhaften Beziehungen zwischen Grass und seinen Übersetzern zu sprechen — dazu fehlt es mir nun wirklich an Zeit.
Zusammenfassend glaube ich, sagen zu können: meine Beziehung zur deutschen Sprache ist die eines Liebenden und meine Beziehung zur deutschen Literatur die eines obsessionierten Lesers, der seinen Lesegenuß an Büchern, die er bewundert, mit allen teilen möchte.

»Fünf Minuten, ein ewiges Leben«, sang der Chilene Victor Jara. Von meinen im Laufe der Jahre erhaltenen Auszeichnungen und Ehrungen soll hier nicht die Rede sein, denn sie sind nur ein Beweis für das Alter des Geehrten. Aber ich wäre undankbar, wollte ich nicht die Goethe-Medaille erwähnen, die mir wichtig ist, und den Aristeion-Preis der Europäischen Union, von dem man gesagt hat, er sei eine Art Mini-Nobelpreis für Übersetzer.
Alles in allem ist die Ehre, die mir hier erwiesen wird, sicherlich die am wenigsten im Verhältnis zu meinen Verdiensten Stehende und dennoch die, die mir die größte Genugtuung bereitet. Für diese Ehre möchte ich mich – Herr Präsident, meine Damen und Herren — mit aller Herzlichkeit bedanken.